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Wa(h)re Gefühle

Wie Gefühle zu Waren wurden

Wahre Gefühle. Ware Gefühl. Das Eindringen des Kommerzes in unsere Intimität ist das Thema dieser Anthologie, das von der renommierten Soziologin Eva Illouz herausgegeben wurde. In der Spätphase des Kapitalismus werden Gefühle zu Waren und Emotion zu Konsum. Aber was bedeutet das für die Identität des modernen Subjekts? Und wie lassen sich wahre Gefühle erkennen und Warengefühle kritisieren?

Emodities als Schmiermittel im Kapitalverwertungsprozess

Emily West, eine der Autorinnen, stellt eine Episode aus der populären Sitcom "Seinfeld" an den Beginn ihrer Betrachtungen. Darin erregt sich Seinfeld über die allgegenwärtigen Grußkarten, die mit vorgedruckten Texten das aussagen wollen, was wir fühlen. Dabei fühlen wir vielleicht ganz anders und wagen es einfach nicht, diese Gefühle selbst auszudrücken. Wir halten uns lieber an vorgedruckte Texte, statt zu sagen, was wir fühlen. Aber was sind denn unsere "wahren" Gefühle? "Emodities" werden diese Gefühlswaren von Illouz genannt, eine Wortschöpfung aus emotion und commodity, also Gefühl und Ware. Der wachsende Druck der Verwertbarkeit allen Verhaltens sei es, so Axel Honneth im Vorwort, der dazu geführt hat, dass unsere Gefühle die Form von jederzeit einsatzfähigen Waren angenommen hätten. Diese würden dann "zum Zwecke der Erzielung von beliebigen Gewinnen" auch entsprechend eingesetzt. Gefühlsschablonen als Bitcoins der Neuen Warenwelt, profitable Geschäfte mit vorgetäuschten Emotionen. Profitieren werden davon vor allem Tourismus, das Kino, neue Trends in der Sexindustrie, Geschenkartikelindustrie (Grußkarten!) und nicht zuletzt Psychotherapeuten und die pharmazeutische Industrie.

Paradoxien der kapitalistischen Modernisierung

Die kapitalistische Kultur habe ganz im Gegensatz zu den Erwartungen an sie keinen Verlust an Emotionalität eingeläutet, sondern vielmehr eine beispiellose Intensivierung des Gefühlslebens, wie Eva Illouz schreibt. "Die Entwicklung des persönlichen Lebens gehört nicht weniger zur Geschichte und Soziologie des Kapitalismus als die Tatsache, dass Gefühle zu einem Teil des Produktionsprozesses des Privatlebens und der Öffentlichkeit geworden sind. Gefühle werden (...) als das betrachtet, was uns dazu motiviert, zu kaufen und zu konsumieren, ohne dass wir eine Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen", so Illouz erklärend. Die Herstellung dieser Waren ende aber nicht am Fabriktor, sondern werden während des Konsums in einer Interaktion mit dem Konsumenten abgeschlossen. Der "affektive Kapitalismus" verbinde das emotionale Erlebnis und die zum Zweck der Erzeugung dieses Erlebnisses entwickelte Ware performativ. Erzeugung und/oder Stimulierung von Gefühlen sind die neuen Akkumulationsmodelle des modernen Kapitals. Dichotomien zwischen Rationalität und Emotion sowie Authentizität und Kommerzialisierung lassen sich tatsächlich nahtlos und mühelose in Konsumpraktiken überführen, so Illouz. 

Yaara Benger Alaluf beschäftigt sich mit den Auswirkungen auf den Tourismus und weist nach, dass das Verkaufsmodell "All inclusive" tatsächlich für Überlebende der Konzentrationslager erfunden wurde. Die "Club Méditerannée-Resorts" der Nachkriegszeit wurden zuerst auf Mallorca eröffnet. Ori Schwarz schreibt über die Musikindustrie und die sog. "Playlist-Medizin", Daniel Gilon über das Kino und die Kommodifizierung der Angst im Horrorfilm sowie den Hays-Code in sog. "Teenpics". Dana Kaplan beschreibt die Rolle von Sex-Werbekarten in Tel Aviv, Mattan Shachak widmet sich der Psychotherapie und Edgar Cabanas mit "Psychobürgern". Das Fazit kommt von der Herausgeberin Eva Illouz und beschäftigt sich mit der postnormativen Kritik der emotionalen Authentizität. Gerade zu Weihnachten eine unersetzliche Lektüre, die unter keinem Weihnachtsbaum fehlen sollte. Voll mit echtem Gefühl!


von Juergen Weber - 14. Januar 2024
Wa(h)re Gefühle
Eva Illouz (Hrsg.)
Wa(h)re Gefühle

Authentizität im Konsumkapitalismus
Suhrkamp 2023
Originalsprache: Englisch
332 Seiten, broschiert
EAN 978-3518298084