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Miriam Meckel: Brief an mein Leben

Bitte liebt mich!

Sie war die jüngste Professorin in der BRD mit einem eigenem Lehrstuhl, sie war Regierungssprecherin des Ministerpräsidenten Wolfgang Clement in NRW, sie war offensichtlich immer bereit, für eine systemimmanent definierte Karriere alles zu geben. Wirklich alles! Sollte der verunsicherte Leser jetzt dem Selbstzweifel zu verfallen drohen, in die Rubrik der Nachrufe gerutscht zu sein, so irrt er. Die mittelalte Mittvierzigerin Miriam Meckel ist nicht von uns gegangen, nicht im physischen Sinne (das ist auch gut so!) aber - leider - auch nicht dahingehend, dass sie uns als Öffentlichkeit fortan mit ihren eitlen Selbstdarstellungen diverser Natur verschont. So etwas segensreiches kann Meckel nicht, sie wird es auch in Zukunft nicht mehr lernen zu können. Die Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin braucht die (ver-) öffentlich(t)e (Selbst-) Darstellung wie Pumuckl Meister Eder benötigte, um - endlich sichtbar - das scheinbar eigene Ich zu inszenieren. Wahrscheinlich sogar sich selber gegenüber.

"Wie viele Aufsätze muss ich schreiben, um geliebt zu werden? Wie viele Flugmeilen muss ich pro Jahr absolvieren, um attraktiv zu bleiben?" Diese unerwartet kommende Offenheit lässt Spott dem Mitleid weichen. Sofern hier nicht die Aufführung, sondern Ehrlichkeit zählt, sind diese Fragen ihrem Wesen nach Hilfeschreie. Tritt man als psychologischer Laie an die Sache heran, so schleicht sich die Vermutung heimlich ins Oberstübchen, dass die Dame an einer Form der entmenschlichten Vereinsamung leidet, an einer erheblichen emotionalen Distanziertheit zu ihrem wahren Ich als auch zu ihrer Partnerin Anne Will, welche offensichtlich nicht weniger karrierefixiert ihr Leben fristet. Übrigens: Das alles geht uns eigentlich nichts an. Ihr ganzes Buch ist normalerweise ausschließlich privat, es könnte - im doppelten Sinne emanzipatorisch - jedoch auch politisch sein. Bei der kühlen Blonden bleibt es leider beim "könnte". Meckel scheint subjektiv die Reduzierung der eigenen Person ausschließlich auf den Stellenwert austauscharen Humankapitals im marktwirtschaftlichen Verwertungssystem wahrzunehmen, ohne es aber objektiv begreifen zu wollen - das Können kann man ihr ja nicht absprechen.

Miriam Meckel gilt im medien- und kommunikationswissenschaftlichen Mainstream als Erfolgsmodell, als durchaus angesehen, gar als Ikone derjenigen, die die herrschenden Verhältnisse im Interesse der Herrschenden wissenschaftlich begleiteten. Intellektuell verfügte sie bestimmt über das Potential, sich dem nicht zu unterwerfen, sondern kritisch zu positionieren. Es wäre nicht falsch gewesen, hätte die Wissenschaftlerin bei Zeiten das eine oder andere mal zu Marx gegriffen. Falls die sich als sehr belesen Darstellende es tat, so verarbeitete der Verstand recht wenig - oder sollte es nicht. Erkenntnis als Gefahr für die konstruierte als auch inszenierte eigene öffentliche Identität. Wie sonst kann eine intelligente, erwachsene Frau beispielsweise schreiben, dass man der Hilfe seitens jener weltweiten aktuellen Finanzkrise bedürfe, um das Funktionieren des Systems zu erkennen. "Wir haben sie (die Finanzkrise; d. V.) vielleicht gebraucht, um endlich zu verstehen, dass diese Welt im Wesentlichen ein globaler Markt ist, auf dem alles gehandelt wird - Geld, Güter, Macht, Menschen, Liebe." Ach. Tatsächlich?

Frau Professorin hat sich nicht mit den tatsächlichen (Macht-)Verhältnissen des real existierenden Kapitalismus auseinandergesetzt - und wurde dafür belohnt: Mit der von ihr so benötigten öffentlichen Anerkennung, mit Professuren, mit Pöstchen, mit Posten, mit einer mehr als gesicherten ökonomischen Existenz als Angehörige der oberen Mittelschicht. Damit kein falscher Eindruck der Kritik entsteht: Meckel hat dafür auch sehr, sehr viel gearbeitet, vielleicht sogar gerackert, ihre mainstream-Ziele wurden ihr garantiert nicht geschenkt. Der Kapitalismus verschenkt - außer Verelendung auf der einen und das Produktionsmittel Kapital für die Erben auf der anderen Seite - recht wenig. Ihren Einsatz, ihr Engagement, ihre Arbeitswut beschreibt sie sehr glaubwürdig. Dieses Ringen für den in unserer Gesellschaft einseitig definierten Erfolg führte dazu, dass die Wissenschaftlerin immer mehr öffentlich, also immer erreichbar, also omnipräsent, also ständig verfügbar sein wollte und sein musste. Als Folge dessen stellte sich dann ihr Burnout ein. Und den versucht Frau Meckel nunmehr zu bekämpfen, indem sie ihn publik macht. Es ist erneut der für sie offensichtlich so unwiderstehliche Kick, mit allen Mitteln in die Öffentlichkeit zu drängen. Dieses mal vielleicht, um endlich als sympathisch empfunden und "geliebt" statt nur geachtet zu werden? Ihren Burnout beschreibt Frau Meckel anschaulich und interessant und nachvollziehbar. Nett kommt sie jedoch nicht rüber. Das muss die Vorzeigeakademikerin auch nicht - es ist aber zu fürchten, dass Meckel gerade jenes wollte. Und ganz am Ende bleibt eine Frage offen, der sich die Autorin stellen muss, macht sie scheinbar Privates sowie Persönliches in der Form massiv öffentlich, wie sie es tat: Wer ist eigentlich Miriam Meckel?


von Frank Lukaszewski - 10. April 2010
Brief an mein Leben
Miriam Meckel
Brief an mein Leben

Erfahrungen mit einem Burnout
Rowohlt 2010
224 Seiten, gebunden
EAN 978-3498045166