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Du darfst nicht alles glauben, was du denkst

Humorvolle, individuelle Beschreibung einer depressiven Erkrankung

Raten Dumpfbacken an Depressionen leidenden Menschen heute noch immer, einen Schnaps zu trinken, zu joggen oder einfach mal zur Schokolade zu greifen, um als 'schlechte Laune' denunzierte Krankheit zu verharmlosen, so tun sie dies aus Dummheit, Ignoranz, Boshaftigkeit - oder aus allem kombiniert. 

Depressionen sind kein Stimmungstief einer betroffenen Person, keine emotional-psychischen Schwächen Erkrankter und erst recht keine akzeptierbaren Spekulationsobjekte potenzieller Simulationsvorwürfe. Es handelt sich um ein anerkanntes, ernsthaftes Leiden mit unterschiedlichsten Facetten. Wird die Krankheit nicht, auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend, primär unter schulmedizinischer Verantwortung stehend, zu therapieren versucht, kann dies sehr böse enden. Der breiteren Öffentlichkeit wird möglicherweise noch der wohl weniger freiwillige, oft euphemistisch genannte  'Freitod' des BRD-Fussballnationalspielers Robert Enke im Jahr 2009 bekannt sein, welcher ursächlich mit seiner diagnostizierten Depression in Zusammenhang stand. 

Nunmehr macht der mehr oder weniger bekannte TV-Entertainer Kurt Krömer das Thema mit seinen persönlichen Erfahrungen publik. Im echten Leben darf er sich Alexander Bojcan nennen, wobei an dieser Stelle nicht diskutiert werden kann und soll, was nun das 'echte Leben' ist: das in der Öffentlichkeit oder jenes außerhalb. Besagter gehört, unter anderem neben dem Kabarettisten Torsten Sträter, zu einem der Wenigen, die ihre Erkrankung prominent positionieren. Ökonomisch auch positionieren können. Für Krömers und Sträters damaliges Gespräch über ihre Depressionen in des Autors Sendung 'Chez Krömer' erhielten beide übrigens, nicht zu Unrecht, 2021 einen der renommierten Grimme-Preise der BRD. 

In seinem Buch "Du darfst nicht alles glauben, was Du denkst" setzt sich der Verfasser mittels seiner eher unkonventionellen, eigenen Art, direkt und durch Nutzung einer gelungenen, einfachen Sprache mit der nicht nur ihn betreffenden Erkrankung auseinander.

"Ich kann nicht akut helfen, alles, was ich kann, ist meine Geschichte erzählen".

Viel wichtiger: Er spricht, neben Betroffene, auch jene an, die es noch zu wissen lernen müssen, selbst krank zu sein. Auf erstere bezogen macht der Autor mit Blick auf die wohl weite Verbreitung jener Malaise in diesem Kontext deutlich: "Ich kann nicht akut helfen, alles, was ich kann, ist meine Geschichte erzählen". Sein Fokus liegt auch und gerade darin, breitere Teile der Bevölkerung für dieses, meist noch tabuisierte Thema zu sensibilisieren. Er verfasst folglich keinen Ratgeber für Depressive, sondern verknüpft, amüsanten Stil nutzend, unkompliziert und ohne Scheu seine persönlichen Erlebnisse thematisierend, mit dem Ziel der Aufklärung. Dies gelingt ihm auch recht gut. 

Krömer erzählt von sich, nicht wissenschaftlich und nicht verallgemeinerbar. Aber er vermag, dem Leser anschaulich Einblicke in verschiedene, individuelle Details seiner Erkrankung zu bieten. Gleichzeitig schafft es der Autor sogar, humorvoll zu faszinieren. Mithilfe mehrerer Beispiele schildert Krömer Erscheinungen seiner persönlichen, sicherlich nicht generalisierbaren Erfahrungen aufgrund selbst erlebter Depressionen:
"Draußen habe ich eigentlich immer funktioniert. Auf der Arbeit ... war ich fit. ... Aber wenn ich nach Hause kam, bin ich regelmäßig in mich zusammengefallen, wie sehr böse Menschen, die nach außen hin den schönen Schein bewahren ... und dann nach Hause kommen und da alle zusammenscheissen ..."

"Nachts im Bett habe ich dann geweint, weil ich nicht wusste, was mit mir los war ..."

Über einen weiteren Schub seines Leidens während einer Reise nach Rom berichtend heißt es:
"Mein Kumpel hätte den ganzen Tag heulen können, weil alles so schön war für ihn, der hat jede Säule umarmt und in Rom kann man sehr viele Säulen umarmen. Und ich habe ihm vorgegaukelt, dass ich das alles schön finde und dass mich das rührt. Ich habe ihn angelogen: 'Das ist so schön hier.' Aber für mich war es nicht schön."
Genau so oder auch anders können sich ernsthafte Erscheinungsformen dieser Erkrankung zeigen. Das Problem ist: Viele Menschen wissen nicht oder dürfen nicht wissen wollen, dass es Depressionen sind. Auch das macht der Autor an verschiedenen Stellen seines Buches deutlich, schreibt seine Erfahrungen mit Mechanismen der Verdrängungen auf und stellt für sich selber fest, dass es lange dauern kann, bis man merke, was Fakt sei. "Nachts im Bett habe ich dann geweint, weil ich nicht wusste, was mit mir los war ..."

Krömer formuliert, wie gesagt, in einfacher Sprache und bleibt nicht zuletzt deshalb gut zu verstehen. Gerade inhaltlich. Und das ist wichtig. Seine eigene, nicht abschließbare Vergangenheit mit dieser Erkrankung an prominenter Stelle auf diese Art öffentlich zu machen, ist mutig. Es sind wohl keine vermarktungstechnischen Motive zu unterstellen, solch ein heikles Thema personalisiert in dieser Form publik zu machen. Liest man das Buch, erkennt man vielmehr die sehr ernsthafte Grundierung des Inhaltes und den Wunsch des Autors, betroffene Menschen, auch wenn sie ob ihrer Erkrankung noch nicht wissen oder selbige nur ahnen, der professionellen Hilfe zuzuführen. Zuzuführen klingt jetzt, zugegeben, eher faschistisch, ist aber gegenteilig gemeint. 

Letztendlich darf das Buch als sehr empfehlenswert gelten. Humorvolle, individuelle Beschreibungen verschiedener Aspekte einer noch immer in weiten Teilen des öffentlichen und/oder privaten Diskurses tabuisierten Krankheit durch einen sogenannten Prominenten wird gelungen publiziert. Im Gegensatz zu selbstmitleidigen und -beweihräuchernden Darstellungen Anderer, Miriam Meckels Burnout-Buch 'Brief an mein Leben' sei exemplarisch negativ erwähnt, sticht Bojcan, alias Krömer, sehr positiv hervor.


von Frank Lukaszewski und Olga Rupp - 11. Oktober 2022
Du darfst nicht alles glauben, was du denkst
Kurt Krömer
Du darfst nicht alles glauben, was du denkst

Meine Depression
Kiepenheuer & Witsch 2022
192 Seiten, gebunden
EAN 978-3462002546