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Bernardo Atxaga: Der Sohn des Akkordeonspielers

Bernardo Atxaga - ein kritischer Poet und moderner Europäer

Der mehrfach ausgezeichnete und über die Grenzen Spaniens erfolgreiche baskische Autor Bernardo Atxaga war auf Einladung des Instituto Cervantes im Dezember 2006 nach Berlin gereist: Hier präsentierte er seinem deutschen Publikum Auszüge seines jüngsten Romans "Der Sohn des Akkordeonspielers" (OV: "el hijo del acordeonista"), erschienen im Suhrkamp-Insel Verlag. Der Roman, eine Art Generalanalyse aller Aspekte, die Atxaga jemals zum Thema Baskenland veröffentlichte, wurde in Spanien bereits 120’000 Mal verkauft. Dazu begleitete er im Rahmen des Themas "Baskenland" die Aufführung zweier spanischer Spielfilme, "Esos Cielos" (Diese Himmel) und "Obaba", die nach seinen früheren Werken gedreht wurden und im Kino Arsenal am Potsdamer Platz gezeigt wurden.

Über Atxagas neues Buch

Als Joseba nach über zwanzig Jahren seinen Jugendfreund David in Kalifornien wiedersieht, müssen die beiden sich erst an ihre gemeinsame Vergangenheit herantasten - zu viele offene Fragen stehen zwischen ihnen, zuviel Verheimlichtes, Unausgesprochenes. Als ehemalige Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation haben sie zwar Abstand gewonnen zu ihren Verstrickungen von damals, doch lasten quälende Schuldgefühle auf ihnen - Schuldgefühle angesichts eines Verrats, von dem sie beide wissen, daß er notwendig war. Wie war es dazu gekommen, daß sie, die jugendlichen Freunde und späteren Studenten, in den Bannkreis der militanten baskischen Idee gerieten?

Sie müssen ins reine kommen mit ihrer Vergangenheit, die sie auseinandergetrieben hat und die erst im Angesicht von Davids nahem Tod ihre Macht über sie verliert. Es ist eine beklemmende, zunehmend dramatische Geschichte, und Atxaga erzählt sie ebenso eindringlich wie differenziert. Denn hinter dem Gewissenskonflikt, den David und Joseba durchmachen müssen, liegt die ganz andere Geschichte ihrer unwiderruflichen Entfernung aus dem, was ein ländliches Paradies sein könnte.

Wie konnte es geschehen, daß aus den musisch begabten, zweifelnden Jugendlichen, die sie waren, militante Aktivisten der ETA wurden? Daß der eine dafür seine erste große Liebe verriet; daß der andere in ein zwielichtiges Verhältnis zu all seinen ehemaligen Freunden geriet? Welchen menschlichen Preis mußten sie zahlen? Und wer, vor allem, hat damals im Jahr 1976 das Kommando verraten, dem sie beide angehörten? Eine Geschichte von Freundschaft, Liebe und Verrat, aus dem Zentrum einer terroristischen Vereinigung

Bernardo Atxaga Im Gespräch mit Yolanda García Hernández äußert sich Bernardo Atxaga über das Baskenland, seine Literatur, das spanische Kino, seine deutschen Leser und seine Beziehung zur deutschen Hauptstadt.

García Hernández: Guten Tag , Herr Atxaga und willkommen in Berlin. Sie gelten als einer der renommiertesten zeitgenössischen spanischen Schriftsteller, doch vor ihrer literarischen Karriere begannen Sie als diplomierter Ökonom. Von der Marktwirtschaft zur Poesie - wie kam es zu diesem diametralen Wechsel?
Atxaga: Nun, ein deutscher Maler sagte einmal: "Nicht ich schreite zum Licht - es ist die Dunkelheit, die mich antreibt!"...das trifft es wohl am Besten. Mit 24 Jahren begann ich direkt nach der Hochschule als Betriebswirt zu arbeiten - und mit 28 Jahren habe ich jegliche Arbeit dieser Art verlassen. Es waren die Dunkelheit und die Kälte in diesem Umfeld, welche mich antrieb, denn eigentlich hatte ich zwar seit jeher immer viel gelesen, aber ich habe nie beabsichtigt, hauptberuflich zu schreiben - doch die Umstände jener Zeit bewogen mich dazu: Ich war völlig unzufrieden mit meiner wirtschaftlichen Arbeit, immer nur beschäftigt mit Krediten, Wachstum, Provisionen und Prozenten...ich habe fast nichts mehr um mich herum wahr genommen. Schließlich zog ich nach Barcelona, wo ich noch einmal zu studieren begann, dieses Mal Philosophie und Literaturwissenschaften. Bald begann ich endlich, vollkommen selbstständig zu schreiben und zunächst war ich in der Literaturwelt natürlich vollkommen neu und unerfahren. Dieser radikale Wechsel von der Wirtschaftlichen Basis zu den Sphären der Literatur war definitiv wichtig und richtig.

Ihr richtiger Name lautet Joseba Irazu. Weshalb benutzen Sie für ihre schriftstellerische Arbeit ein Pseudonym?
Mein erste größere Publikation, eine Anthologie, wurde 1972 veröffentlicht - komplett in baskischer Sprache geschrieben. Und das zu einer Zeit, wo wir alle noch unter der Knute der Franco - Diktatur lebten. Daß Franco versuchte, die iberischen Sprachen, vor allem die baskische, zu unterdrücken, hat meine Situation nicht gerade vereinfacht: Schon alleine die Tatsache, auf Baskisch zu schreiben, hat jeden Autor sofort in den Verdacht separatistischer oder gar extremistischer Ideen gerückt. Baskisch zu schreiben, war in politischer Hinsicht absolut verwerflich und verdächtig! Egal, was man schrieb! Der Pfarrer meines Heimatortes sagte mir einmal: "Alle Welt redet schlecht von der Schlange. Doch in der Bibel wird sie als weise und klug beschrieben. Und Weisheit und Klugheit sind eine große Tugend!" Diese Lektion habe ich mir immer gemerkt und es ist tatsächlich klug gewesen, mir dieses Pseudonym zuzulegen. Der Kunstname hat mir wirklich verdammt viel geholfen: Dreimal wurde ich, vielmehr mein Alter Ego Bernardo Atxaga angeklagt, doch niemand kam, um mich vor Gericht zu holen, denn ein Bernardo Atxaga war nirgends registriert. Das wäre heute bestimmt anders, doch nun habe ich seit vielen Jahren diesen Namen benutzt, er ist wie eine Marke. Noch etwas: Wenn Du mit Pseudonym schreibst, ist die Hälfte des Weges schon geschafft...(Schmunzelt)...das hat beinahe etwas Romantisches!


Sie sind nun im Rahmen der Veranstaltungsreihe des Instituto Cervantes in Berlin. Sind Sie das erste Mal zu Gast in Berlin? Wie nehmen Sie diese junge Metropole wahr und wie empfinden Sie es, ihren vielen jungen Leser hier zu begegnen?
Ach, ich komme häufig nach Deutschland. Als Schriftsteller ist das hier mein zweiter Besuch in Berlin: Für die Präsentation einer meiner Kindergeschichten, die vom Berliner Ensemble in Theaterform umgeschrieben wurde, kam ich bereits einmal hierher. Nun, ich glaube, daß diese Metropole wie die meisten Metropolen sehr geeignet ist, um neue kulturelle Inhalte und kulturelle Avantgarde zu entwickeln. Die richtige Frage könnte aber eher lauten: Warum scheint es notwendig, sich stets an einem Ort zu versammeln? Nun, damit sich die kühnsten Ideen einmal behaupten und durchsetzen können, ist es immanent wichtig, daß sie auf einer kleinen gemeinschaftlichen Basis stehen, daß sie auf ein Ohr von mehreren Menschen treffen. Pablo Picasso wurde mit zunehmendem Erfolg nicht nur als Künstler, sondern auch als Kunsthistoriker befragt, weshalb der Kubismus, mit dem neben vielen anderen Künstlern auch seine internationale Karriere begann, ausgerechnet in Paris seinen Anfang nahm. Er gab zur Antwort, daß sich die Künstler stets gegenseitig halfen, sich unterstützten, ihre Arbeiten begutachteten und weiter empfahlen. Sie schufen einen eigenen sozialen Humus, der ihren Gedanken zum Blühen verhalf. Dann, durch und vor allem direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, verfiel die Avantgarde in einen Rückschritt. Paris war praktisch ein geistiges Vakuum und die Künstler waren alleine mit sich und der Welt. Sogar Picasso änderte seinen Stil und arbeitete weniger pittoresk als mehr naturalistisch. Es sind die Menschen, die den Ort gestalten. Für junge Menschen, speziell junge Künstler ist die soziale, d.h. gemeinschaftliche Basis - in diesem Sinne sozial - absolut lebenswichtig, damit sie sich verstanden und geschätzt fühlen können. Wir leben in einer sehr harten Welt. Kreative Kokons bilden hier einen Ausweg.
Bernardo AtxagaLuis Buñuel wäre vermutlich niemals bekannt geworden, hätte er seine Filme in seinem Heimatdorf präsentiert - viel zu modern für eine konservative Umgebung. Da muß man raus! Die Stadt bietet dem Geist Platz! Und Berlin ist eine sehr kosmopolite Stadt mit Menschen aus vielen Nationen, Ethnien und Religionen. Da kann man sich entfalten!

Wenn Sie unter dem kosmopoliten Aspekt Berlin mit Madrid vergleichen, so stellen Sie fest, daß Spanien traditionell viel weniger Immigranten hatte, weniger heterogen war. Spanien war eher eine Auswanderernation. Seit ein paar Jahren hat sich dieser Zustand um 180 Grad gedreht. Die Spanier bleiben im Land und mehr Ausländer ziehen hinzu, gerade durch die afrikanischen Flüchtlinge. Wie bewerten Sie die heutige Situation Spaniens als Einwandererland?
Schwierig! Es gibt eine Minderheit, die meint, wenn man alle von außen mit offenen Armen empfänge, dann sei die Integration schon vollzogen, obwohl hier ein gesellschaftlicher Veränderungsprozeß mit vielen Komplikationen stattfindet, der für beide Seiten riskant sein kann. Einfach rein, nicht nachdenken, das ist naiv. Es ist sehr wichtig, daß die neuen Mitbürger die gleichen Rechte erhalten wie die Spanier. Fakt ist, daß die Immigranten längst unter uns sind. Sie sind auch nicht mehr wegzudenken, da sie die Produktionsfähigkeit unseres Landes gewährleisten. Schauen Sie auf die Obstplantagen: Wer arbeitet denn da? Spanier? Nein! Und im Sanitärwesen? Im Transport? So, und gleichzeitig sind diese Menschen nicht integriert, sie haben keine richtigen Pässen, sind keine EU-Bürger, sprechen schlecht spanisch, nehmen nicht am kulturellen und traditionellen Leben teil. Was folgt? Ghettobildung. Aufstiegschancen Null. Saatgut rechter Gedanken für die Xenophoben. Kann unser Land das menschenwürdige Leben nicht besser organisieren? Ich glaube, daß die meisten Spanier - psychologisch - leider nicht sehr vorbereitet sind, um die Immigranten wirklich aufzunehmen. Wir führen seit langer Zeit einen Diskurs über die rassistischen USA und die Gettoisierung dort. Nun werden wir mit ähnlichen Problemen konfrontiert, aber unsere Gesellschaft ist im eigenen Land nicht vorbereitet. Das Thema Immigration hat uns durch die Flüchtlinge auf schlimmste Art und Weise eingeholt: Ohne richtige Kenntnis über ihre Herkunftsländer, ohne Ideen zur sinnvollen Integration und leider auch ohne Respekt für die Menschen.

Ich sage Ihnen: In weniger als zehn Jahren werden wir es in Spanien mit einer extremen Rechten zu tun haben, die bereits existiert und weiter wächst, so wie die FN in Frankreich. Sehen Sie, was gerade in Frankreich und anderswo in der EU passiert, Le Pen hier, randalierende maghrebinische Jugend dort. Beides verankert in der Gesellschaft ohne Rezept zur Diffusion. Und wir werden in Spanien auch unseren Le Pen aufsteigen sehen. Und wenn nicht: Umso schlimmer, denn dann bedeutet das, daß die überwiegende Mehrheit der Spanier bereits auf den Spuren Le Pens folgt!!!

Wollen wir Besseres hoffen! Kommen wir nun zur Adaption ihrer literarischen Werke im Kino: Was halten Sie von den Spielfilmadaptionen ihrer Werke?
Die Protagonisten meiner Erzählungen sind wie ein Traum, der sich auf der Leinwand materialisiert: Sie bekommen Stimme, Körper und Gestik. Irgendwann sind diese Figuren durch ihre visuelle Umsetzung festgelegt. Das dringt ins kollektive Gedächtnis: Wir alle kennen das Bild von Miguel de Cervantes` Don Quijote als hagere Gestalt auf klapprigem Roß mehr, als daß wir Cervantes’ Roman gelesen haben, was an den vielen Illustrationen und Filmadaptionen zu Don Quijote liegt.
Sie können sich das wie einen ersten Strich auf einem Pergament vorstellen, ein Entwurf, der in der Erzählung wie ein Drehbuch klar festgelegt wird. Und dann später, je mehr Linien hinzukommen, desto mehr formt sich für den Betrachter ein Bild, das mit Ausmalung der Farben schließlich zur Figur wird. Das ist wundervoll! Ich glaube, daß die filmische Adaptation meiner Figuren größtenteils gut gemacht ist. Der Film"Esos Cielos" basiert praktisch völlig auf seinem weiblichen Protagonisten. Eine großartige Interpretation von Schauspielerin Nagore Aranburu und von Regisseurin Aizpea Goenaga, beides Basken.
"Obaba" ist ein Spielfilm mit weit mehr filmischen Effekten. Er weicht etwas von meinem Buch ab, doch er reflektiert fast vollständig alle Kapitel und Perspektiven, die in meinem Buch erzählt werden. Die für mich spannendste Person, die in "Obaba" filmisch dargestellt ist, ist die des deutschen Kindes und seines deutschen Vaters, dem Ingenieur (gespielt von Peter Lohmeyer). Gut dargestellt, Faszinierend umgesetzt ist auch das Thema mit den Minen und das Phänomen der Fremde, als Deutscher in Spanien kurz nach dem Krieg.

Ihre Geschichten, vor allem "esos cielos" handeln viel vom Baskenland. Das Thema Separatismus und Terrorismus wird entsprechend oft von Ihnen beleuchtet. Terrorismus in Spanien bedeutete über Dekaden "Baskenland". Das hat sich seit einigen Jahren verändert: Wie bewerten Sie aus ihrer persönlichen Sicht den nunmehr weltweiten Diskurs zum Thema "Terrorismus"?
Pfah! Unter dem Decknamen des Terrorismus verstecken sich viele Formen von Gewalt, eine brutale Gewalt, die im Laufe der Geschichte immer wieder neue Gesichter und neue Formen entwickelt hat. Gegenwärtig befinden wir uns in einer neuen Epoche, in einer neuen Phase von Gewalt: Heutzutage scheint diese Gewalt viel präsenter und viel bekannter in unserem täglichen Leben zu sein. Durch das Phänomen Al-Qaeda und ihre radikalreligiöse Ausrichtung wird auch die Politik weltweit stark beeinflußt. Das politische Gesicht dieses Planeten wird durch die Aktivitäten Al-Quaedas völlig verändert werden - es scheint sich um einen unbezwingbaren Gegner zu handeln, da die Formeln simpel sind: Es wäre irreführend, für die Ursache dieser Form von Terror Gründe wie Armut, Rassismus und Benachteiligung als Erklärung für religiösen Fanatismus zu bemühen. Es ist genauso irreführend, zu glauben, man könne sich mit einer Bombe bewaffnet in irgendeine Gruppe Menschen hineinschmeißen und mit einem lauten Knall ins Paradies aufsteigen. Wahnsinnige Aktionen entstehen im Wahn. Man wähnt sich im Recht, doch der Wahn blendet.
Und was folgt? Ich habe selber miterlebt, wie viele Länder wie die Vereinigten Staaten sich dadurch bereits verändert haben: Der gesamte politische Diskurs ist verschmutzt, fast emotionslos werden sämtliche Utopien, Ideale und Alternativen für ein modernes, ein besseres Leben umgestürzt, alles zum Wohle der Sicherheit, wie es heißt: Wir schlittern munter in einen weltweiten Totalitarismus hinein und keinen kümmert’s. Wo es früher Demonstrationen gab, wie beispielsweise beim Einschnitt in die persönliche Freiheit, gibt es heute höchstens Pressemeldungen. So einfach geht Diktatur. Schauen Sie: Als anläßlich der Gräuel im Vietnamkrieg viele US - amerikanische Künstler, Poeten, Intellektuelle auf den Straßen protestierten, um gegen den Irrsinn ihrer Regierung zu protestieren, waren die Medien wochenlang gefüllt mit den Bildern der Protestaktionen. Das wurde zum eigentlichen Problem für die Kriegsfalken im amerikanischen Kongreß. Das hat das Kriegsende in Vietnam mehr beschleunigt als der Widerstand des Vietcong.
Und heute? Alle Bibliotheken in Spanien, ob Stadt oder Land, organisierten lange Zeit Lesungen und Diskussionen gegen den Irakkrieg. Kein Medium, keine offizielle Pressestelle hat das groß interessiert. wäre das Internet nicht gewesen, wo in entsprechenden Portalen regelmäßig über die Proteste seitens der spanischen Intellektuellen berichtet worden wäre, hätte man meinen können, es gäbe in Spanien keinen Protest gegen den Irakkrieg. Das Internet hat sich längst als einziger Ausweg aus diesem Mediendiktat entwickelt. Leider ist das so.
Bernardo Atxaga
Im "Sohn des Akkordeonspielers" geht es um alles, was ich jemals über das Baskenland geschrieben habe, es ist eine Art Zusammenfassung über seine Bewohner, seine Kultur und das baskische Leben. Es ist ein Ort auf dieser Welt, wo die Welt den Namen "País Vasco/Baskenland" vernimmt. Ich spreche hier über aktuelle Ereignisse und wenn man die Gegenwart beschreibt, dann gibt es natürlich immer jemanden, den das stört, der sich auf den Schlips getreten fühlt und der plötzlich anfängt, Tomaten oder Steine zu schmeißen. Heutzutage sucht man die Polemik und das Spektakel mehr als die inhaltliche Diskussion. Ist effektvoller für viele. Mir ist ähnliche Polemik schon in meinen früheren Werken zuteil geworden, doch dieses Mal bin ich den Kritiken vorher entkommen. Das Buch wird sehr gut von den spanischen Lesern aufgenommen (bereits über 120’000 verkaufte Exemplare in Spanien, Übersetzungen in 16 Sprachen, Anm. d. Verf.) und damit ist den Polemiken auch etwas der Wind aus den Segeln genommen worden.

Wissen Sie schon, wie "Der Sohn des Akkordeonspielers" in Deutschland aufgenommen wurde?
Normalerweise reichen meine deutschen Ausgaben hälftig an ihre spanischen Auflagen an. Kurioserweise ist das Buch, welches in Deutschland am meisten verkauft wurde, nämlich "Memoiren einer baskischen Kuh", in Spanien gar nicht so populär. Sogar die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" besprach das Werk: In der Rezension wird etwas schmunzelnd von einem Buch gesprochen, das einen "agrofilosofischen" Humor besitzt, wie auch immer das gemeint sei, aber es war auf jeden Fall positiv. Ich glaube, das aktuelle Buch könnte etwas besser in Deutschland laufen - ich hoffe, daß die aktuelle Auflage verkauft wird.

Wie weit kann Sie das Instituto Cervantes, das Sie heute nach Berlin eingeladen hat, bei der Promotion ihres und anderer spanischsprachiger Werke helfen?
Also, das Instituto Cervantes funktioniert und arbeitet in Deutschland tadellos, ich glaube, weit besser vielleicht, als in manch anderen Ländern. Das Institut leistet auf vielen Ebenen eine enorm wichtige und brillante Arbeit, um die spanischen Schriftsteller zu promoten und zu unterstützen und bedeutet für uns Autoren einen besonderen Schub nach vorn. Wir könnten alleine kaum für die mediale Präsentation in anderen Ländern sorgen. Denn: Man muß sich vor Augen halten, daß die Präsentation eines Autors im Ausland für einen Verlag immer sehr teuer ist. Gerade nordamerikanische Autoren drängen einfacher auf internationale Buchmärkte, weil ihre Verleger mehr Kapital für die Verbreitung ihrer Werke im Ausland ausgeben - das bedeutet mehr Übersetzungen, mehr Marketing, mehr Networking, mehr Reisen etc. Das kostet eine Menge Geld. Als Nicht-Amerikaner wird das dann schon schwieriger. Von daher: Die Arbeit des Instituto Cervantes ist von unschätzbarem Wert, wirklich! Und: Die Übersetzer, die immer wieder viel zu kurz kommen, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich für ihre Leistung erwähnen: Ohne Übersetzer wäre ein Über-setzen durch die Wüste in eine andere Sprachwelt gar nicht möglich, Respekt vor dieser minutiösen und aufwändigen Arbeit!

Welche Projekte verfolgen Sie aktuell. Woran schreiben Sie?
Oh, gerade jetzt möchte ich mich vor allem inhaltlich verändern: Zum Thema Baskenland ist von meiner Seite jetzt alles gesagt und erzählt. Nun brauche ich etwas mehr Humor, mehr Freude in meiner Literatur: Ein Art Humor, die für mich wie ein "Surfen auf der Sprache" ist: Es handelt sich um eine Analyse der Zeitungssprache, speziell Sport und hier speziell, wenn es sich um Fußball dreht: Die Reporter schreiben in einer rhetorisch-episch-heroischen Fabulierkunst - man spricht heute über Ronaldinho wie man früher über Alexander den Großen schrieb. Der Stil ist überzogen, euphorisch und - absurd. Es gibt kaum etwas aufgeladeneres als die fast schrill-poetische Sprache, die für den Fußball verwendet wird. Das ist etwas, was ich übernehmen oder beschreiben werde.

Woher nehmen Sie ihre Inspiration, wenn Sie schreiben?
Hmmm...Novalis sagte einmal: "Fragen sind wie Netze!": Sofern jemand feines Gedankengut besitzt, sind auch die Gitter im Netz sehr fein und man wird auch die kleinsten Fische fangen können. Doch wenn das Gedankengut tumb und ignorant ist, dann wird man nicht mal einen Pottwal fangen können, so groß sind die Lücken. Man muß die Gedanken und die Fragen ordnen, sichten und verfeinern, ständig verfeinern.
So ist das mit der Inspiration...man verfeinert und sensibilisiert das Geschehen um sich herum...ich habe das Glück, ein Hotelzimmer hier in Berlin zu bewohnen, das mir einen wunderbaren Blick auf die Züge und Bahnen erlaubt. Mir gefallen Züge sehr, sie haben mich immer fasziniert...diese rasenden Stahlkolosse auf zwei Linien, da gibt es etwas, was ich nicht beschreiben kann und was mich sehr inspiriert, was mich zum Denken anregt. Alles folgt in Serien...und man muß wissen, wann man aussteigt.

Und so steigen wir aus unserem Gespräch aus: Herr Atxaga, vielen Dank für diese Gespräch, weiterhin viel Erfolg und viel Inspiration in Berlin!


von Yolanda García Hernández - 10. Februar 2007
Der Sohn des Akkordeonspielers
Bernardo Atxaga
Der Sohn des Akkordeonspielers

Insel 2006
460 Seiten, gebunden
EAN 978-3458173113