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Stefano Sollima: Suburra

Apokalypse des "Systems"

Ein opulenter Mafia-Thriller über die Verstrickungen von Politik, Verbrechen und Vatikan mit einem betörenden Soundtrack (M83), dazu noch Gesellschaftskritik und eine Menge Sex & Crime: die Bilder dieses Filmes wird man so schnell nicht wieder vergessen, auch weil die Apokalypse mit einem Countdown eingezählt wird, der die Spannung beinahe zum Zerbersten bringt. "Suburra", nach ACAB der zweite Film des italienischen Regisseurs des durch die Gomorrha-Serie bekannt gewordenen Stefano Sollima, übertrifft nicht nur alles bisher Dagewesene des Genres, sondern weist auch durch seine bestechende Atmosphäre weit über dessen enge Grenzen hinaus: das Mafia-Genre quasi zu Kunst erhoben. Ein Film, wie man ihn sich nicht besser vorstellen könnte, es sei, mit sich selbst in der Hauptrolle.

Countdown zur Apokalypse

12. November 2011 - noch 1 Tag bis zur Apokalypse. Der Papst muss zurücktreten, da die Verstrickungen zwischen Politik und Verbrechen bis zum Vatikan reichen. Das der Hauptstadt Italiens vorgelagerte Hafengebiet Ostia soll durch Bauinvestitionen aufgewertet werden und die Mafia will über den Abgeordneten Filippo Malgradi ein Gesetz im Stadtrat verabschieden, das das alles für sie legalisiert. Sollima lässt es in seinem Film viel regnen, aber auch der gelb-goldene Farbton seiner opulenten Bildsprache wirkt sehr nachhaltig. Aureliano Adami (Alessandro Borghi), genannt Numero 8, hat auf diesem Gebiet ein Mitspracherecht, da er seinem Vater nachfolgt. Er will Ostia zum neuen Las Vegas machen. Aber der geheimnisvolle "Samurai" (Claudio Amendola), der die "Familien des Südens" in Rom vertritt, stellt gleich von Anfang an klar, was Aureliono von seinem Vater unterscheidet: "infatti hai più palle che testa". Der Glatzkopf hat allerdings schon doppelt so viel wie sein Vater reingebracht und will von Samurai nun mehr Anerkennung und Mitsprache.

Politik & Verbrechen

Der Hauptstrang dieser wilden Geschichte um die Verfassung des italienischen Staates dreht sich aber um den Politiker Filippo Malgradi (Pierfrancesco Favino), der vis à vis des Quirinalpalastes mit zwei Prostituierten schläft und eine Pfeife raucht, durch deren Inhalt die Minderjährige der beiden stirbt. Malgradi lässt Ninni, die überlebende Prostituierte, die Spuren beseitigen. Aber an wen wendet sie sich damit? So kommt die Mafia in’s Spiel und will mitschneiden, denn ein Politiker der solche Laster hat, ist erpressbar. Und der junge Alberto Anacleti (Giacomo Ferrara), genannt Spadino, wittert Höhenluft. Sein älterer Bruder Manfredi wiederum ist der Boss eines "Zigeuner"-Mafiaclans, der in Konkurrenz zu Numero 8 und dem Samurai steht und so entwickelt sich eine interessante Geschichte um die Frage, wer von den Beteiligten wohl das Rennen machen wird. Die "Zigeuner" werden immer mit viel Familie gezeigt, was man aber durchaus als Spiegelung der eigenen (italienischen) Zustände verstehen könnte: denn was gibt es in Italien wichtigeres als die liebe Familie?

Gesellschaftskritik in opulenter Bildästhetik

Aureliano träumt von seinem Großreich und schreibt in die vom Regen beschlagenen Scheiben seine Wünsche hinein. Seine drogensüchtige Freundin Viola (Greta Scarano) hört ihm zu, aber sie schaut nicht auf seine Finger, sondern auf den Regen. Eine "antikapitalistische" Schießerei im Supermarkt zwischen Anacletis und Aurelios Bande erinnert an Romeros Zombiefilme: Die Rolltreppen werden zu Fließbändern, die die menschliche Ware zum Abschlachten in die Tiefgarage bringt. Eine Kameraaufnahme aus der Vogelperspektive zeigt die "Massenproduktion der Schlächter" von oben und dabei gibt es kein Entrinnen. Gerade mit dieser Aufnahme wird die Absurdität des Kapitalismus und seines Profitstrebens augenscheinlich: ein Fließband in den Tod. Und was ist die Mafia anderes als Kapitalismus in Reinform? Eine der brutalsten Szenen des Films ist aber die Rache auf Violas Rache: sie schießt sich gerade ihr Heroin in die Venen und im Hintergrund wird ihre Bande von Samurais Männern abgeschlachtet. L’Apocalisse hat begonnen.

Ein Junkie und ein Schwuler als Helden, das ist mal etwas ganz anderes. Am Ende gibt es wieder Regen, Regen, Regen. Der Tiber und die gelb-goldene Engelsburg geben eine neue Perspektive auf Rom, die ewige Stadt, frei. Der Papst und die Regierung treten zurück und die Mafia meint abschließend: "cerchiamo un altro politico, magari dall’altra parte" ("Dann suchen wir uns eben einen anderen Politiker, womöglich vom andern Lager"). Auch nach der Apokalypse sind wir wieder: vor der Apokalypse. Der beste Mafia-Film des Jahrhunderts. Absolute Empfehlung.


von Juergen Weber - 04. Juni 2017
Suburra
Stefano Sollima (Regie)
Suburra

7 Tage bis zur Apokalypse
Plaion 2017
Laufzeit: ca. 130 min
EAN 4020628827274