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Vladimir Nabokov: Briefe an Véra

Opulenz und Aroma Nabokovs

Schon mit 23 Jahren erlitt Nabokov einen Liebesverlust, der ihn Zeit seines Lebens prägen sollte. Das Verlöbnis mit der 17-jährigen Svetlana Siewert wurde mit der Begründung aufgelöst, dass sie zu jung und er "als Dichter eine viele zu unsichere Partie" sei. Seine Beziehung zu Véra Jewsejewna Slonim sollte etwas erfolgreicher und wohl auch glücklicher verlaufen: Sie heirateten am 15. April 1925 im Rathaus Wilmersdorf in Berlin. "Du rufst - und in einem Granatapfelbäumchen bellt ein Eulenjunges" schrieb er in einem Gedicht an sie, den er einem Brief beilegte, denn durch das Exil waren sie oft getrennt und es entstand die vorliegende Korrespondenz, die nun bei Rowohlt erschienen ist. Ab dem ersten Brief an Véra wird der Spur chronologisch gefolgt, wie Brian Boyd im Vorwort schreibt, "um dann darüber nachzudenken, was diese Korrespondenz so besonders macht und welches Licht sie auf Nabokov als Mann und als Schriftsteller wirft".

Nabokov: Phönix der Revolution

"Du verwandelst das Leben für mich in etwas Leichtes, Erstaunliches, Hoffnungsfrohes - Du tauchst alles in einen Glücksschimmer.", schrieb er ihr in einem weiteren Brief und wer würde solche Worte nicht gerne hören? Seine Briefe begann er jedes Mal mit einer neuen Anrede, offenbar zu Ehren der kleinen Spielzeugtiere, die sie sammelten (Knäuelchen, Puschel, Alterchen, Mückilein) oder er chiffrierte Texte, Labyrinthe, Scherzfragen, Wortkombinationsspiele und erfand sogar einen deutschen Redakteur, "Herrn Liebling", der ihn - angeblich - bei seinen Schreibabsichten störte, erklärt Boyd im Vorwort. Vladimir Nabokov, der "Phönix aus dem Feuer der Revolution und der Asche des Exils" - wie ihn Nina Berberova einmal nannte, wurde zum Sprachrohr einer neuen Generation russischer Schriftsteller und frönte in seinen Briefen an Véra der Liebe. Der Herausgeber Brian Boyd, der auch an einer Biographie zu Nabokov arbeitete, hatte Véra im Zuge seiner Recherchen persönlich kennengelernt und sie nach den Briefen befragt. Sie las ihm einige der Briefe auf Kassettenrekorder, ohne sie ihm aber auszuhändigen. Aber natürlich hat ein Biograph mit noch viel größeren Hürden zu kämpfen, wie auch aus dem Vorwort von Boyd hervorgeht.

Ratgeber für verirrte Seelen

Oft erwartete sich Vladimir mehr Feedback von seiner Véra und beklagte sich in seinen Briefen auch über ihr Schweigen: auf fünf von ihm kam etwa einer von ihr. "Er war ein gewissenhafter, ja blind ergebener Briefeschreiber, der über ihre Stille zwar oft aufgebracht war, aber mit bemerkenswerter Geduld hinnahm, was manch anderer in seiner Lage als ein Fehlen der in einer liebevollen Beziehung erwartbaren Gegenseitigkeit ausgelegt hätte", schreibt Boyd. Trotz oder wegen dieser Enttäuschung konnte er sich dann aber umso überbordender über einen Brief von ihr freuen. "Du bist in mein Leben gekommen - nicht wie man auf Besuch kommt, sondern wie man in ein Königreich kommt, wo alle Flüsse auf Dein Spiegelbild gewartet haben, alle Wege auf Deine Schritte.", schreibt er an sie. Auch Olga Voronina sieht in Nabokov einen "Bezauberer", "Erfinder von Schachproblemen, begeisterten Konstrukteur von Labyrinthen und eingefleischten Wortspieler", der seine Briefe mit einem Spiel von Chiffren oder kurzen Abstechern in die Fiktion würzte. Seine Einkünfte nannte er ja auch seine "Schmetterlingsammlung", einer davon befindet sich übrigens auch auf dem Buchinnencover der vorliegenden Rowohlt Ausgabe. "Unsere Übersetzung", schreibt Voronina, "richtet sich an Leser, die Nabokov in erster Linie als Meister der englischen Prosa kennen, und zielt darauf ab, die Opulenz, den Fluss und das Aroma von Nabokovs privaterem Stil zu bewahren".


von Juergen Weber - 09. Januar 2018
Briefe an Véra
Vladimir Nabokov
Ludger Tolksdorf (Übersetzung)
Briefe an Véra

Rowohlt 2017
1152 Seiten, gebunden
EAN 978-3498046613