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Patti Smith: Im Jahr des Affen

All das, was wirklich Bedeutung hat

"Mein Bruder ist tot. Meine Mutter ist tot. Mein Vater ist tot. Mein Mann ist tot. Meine Katze ist tot. Und mein Hund, der 1957 starb, ist immer noch tot. Trotzdem glaube ich nach wie vor, dass bald etwas Wunderbares passsiert. Vielleicht morgen." Patti Smith, die Poetin des Rock wurde im Jahr des Affen, das Anfang Februar 2016 begann, 70 Jahre alt. Aber nicht nur das nimmt sie als Anlass für ein ganz besonderes "Road-Memoir", das sie ihren in jenem Jahr verstorbenen Freunden Sandy und Sam widmet. Auch all die anderen Toten ihres Lebens.

Im Jahr des Affen

Im chinesischen Horoskop das Jahr des Affen war 2016 nicht nur das Jahr persönlicher Niederlagen und Verluste, sondern auch das Jahr eines politischen Unterganges. Im November des Jahres wurde Trump von 24% der Wählerinnen und Wähler der USA zum Präsidenten gewählt und noch im Jahr des Affen, im Januar 2017 als solcher vereidigt. Dieses Jahr, 2020, wird in den USA wieder gewählt werden und wieder wird im darauffolgenden Januar ein Präsident vereidigt werden. Das Buch von Patti Smith erscheint also zu einem äußerst passenden Zeitpunkt, denn wie damals, im Jahr des Affen, sind auch dieses Jahr wieder viele Hoffnungen auf ein Land gerichtet, das so gerne und immer wieder die Hoffnungen anderer Länder enttäuscht hat. Aber nicht so Patti Smith, denn ihre Poesie, die zwischen den Zeilen des vorliegenden Essays liegt, ist so zauberhaft und wunderbar, dass man trotz aller Hoffnungslosigkeit wieder einmal wagt, zu hoffen. Auf ein besseres Leben? Auf ein Leben nach dem Tod? Auf ein besseres Leben vor dem Tod!

Eine Reise durch die Zeit

Patti Smith ist eine Reisende. Sie führt den Leser vom Dream Inn Hotel in Santa Cruz/Kalifornien zum Strand vor ihrem Häuschen in Rockaway Beach in New York oder zurück nach San Francisco und Los Angeles, aber auch Angkor Wat in Kambodscha oder Uluru beim Ayers Rock. Stets geht sie behutsam mit sich und ihrer Umwelt um, hält inne, denkt nach, macht sich Gedanken. Sie erweist vielen anderen Künstlern ihre Referenzen, verstorbenen, aber auch noch lebenden. Die einzelnen Kapitel ihrer Wanderung durch das Jahr des Affen werden von Polaroid-Fotos, die sie selbst geschossen hat, begleitet und zeigen ein ebenso poetisches Leben wie ihre Sprache und ihr Werk. Denn sie korrespendiert mit dem, was um sie geschieht und bezieht es in ihre Überlegungen und Erinnerungen mit ein. "Trotz aller Mühen schwindet der Februar dahin, auch wenn mir das Schaltjahr einen zusätzlichen Tag beschert. Auf dem Tageskalender starre ich auf die Zahl 29 und reiße dann zögernd die Seite ab. Erster März. Mein Hochzeitstag, zwanzig Jahre ohne ihn." Trotz ihrer herben Verluste, verzagt Patti Smith nie und es ist bewunderungswürdig, wie gelassen sie ihrem Schicksal entgegentritt. Jeder Tag ist ein Geschenk, trotz allem, das weiß sie und vermittelt es dem Trost suchenden Leser. Ihre Sicht auf die Welt ist die einer Poetin und so versöhnt sie das Leben mit dem Tod und die Liebe mit der Sehnsucht. Mehr als nur ein Buch. Eine Meditation über all das, was wirklich Bedeutung hat.


von Juergen Weber - 17. Oktober 2020
Im Jahr des Affen
Patti Smith
Brigitte Jakobeit (Übersetzung)
Im Jahr des Affen

Kiepenheuer & Witsch 2020
Originalsprache: Englisch
208 Seiten, gebunden
EAN 978-3462053845