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Nikola Sarić - Kreis unvollendet

Eigenwillige Formen moderner Kunst

Traditionell am Aschermittwoch finden in vielen Bistümern in Deutschland Begegnungen mit zeitgenössischen Künstlern statt, die religiös musikalisch, kirchlich gebunden oder Suchende sind. Im Hildesheimer Dommuseum werden Werke des serbisch-deutschen Künstlers Nikola Sarić ausgestellt, die in diesem Band bildlich vorgestellt und von Wilfried Köpke betrachtet und erläutert werden.

Claudia Höhl, die Direktorin des Dommuseums, beschreibt diese tatsächlich irritierend anmutenden Objekte als "Interventionen in den Ausstellungsräumen", die "gewohnte Denkweisen" aufbrechen und den "Besucher:innen neue Seh- und Denkperspektiven" ermöglichen sollen. Tatsächlich werden die Betrachter noch nie Totenschädel gesehen haben, die auf dem im Museum nach der Sanierung des Hildesheimer Domes zersägten Lettner, eine ehemalige raumhohe Chorschranke, die vormals in der profanierten St. Antonius-Kirche im Dom beheimatet war, zu sehen sind.

Die säkular anmutenden Kunstwerke von Sarić, die in diesem Band auch großformatig abgebildet sind, laden zu Meditationen ein, werden aber möglicherweise einige Gäste in der Ausstellung oder Leser des Bandes verstören. Wilfried Köpke schreibt zu Beginn geradezu philosophisch: "Der Kreis ist eine Form, die nur in der Vollendung gelingt – sonst wird aus dem Kreis das ungelenke Oval, das Ei, ein zerstörtes Perfektes. Der Kreis schließt ein, der Erdkreis alle Menschen oder diejenigen aus, die außerhalb des Kreises stehen." Der Kreis des Künstlers bleibt bewusst unvollendet, die Ausführungen hierzu ermöglichen ästhetische Gedanken, ebenso auch ein ratloses Achselzucken. Eine persönliche und "gesellschaftliche Auseinandersetzung" finde statt, so wird dargelegt, die biblischen Motive und Geschichten werden mit existenziellen Dimensionen und Fragen verknüpft. Der Künstler möchte keine "Bebilderung des Lebens Jesu" vorstellen, sondern die "Darstellung des menschlichen Narrativs" vornehmen, um Antworten auf die Frage zu finden: "Was bedeuten Liebe, Leben und Tod für mich?" Nun klingt das indessen eher trivial als innovativ. In manche Kunstwerke spielt deutlich die Gegenwart hinein, etwa wenn bei "Oh Father … I Am Hardly Sorry!" überdeutliche, plakative Anspielungen auf den Skandal des sexuellen Missbrauchs erfolgen. Dazu schreibt Köpke: "Die Schlange am Bischofsstab ist so auch Bild der Kirche und ihrer Sakramente als Heilmittel. Der geistliche, sexuelle und der Machtmissbrauch der Kirchen macht die Pervertierung der Hirtensorge zur lebensfeindlichen Machtkontrolle offensichtlich. Und so wird ein Gläubiger als blutiggebissene Figur von Sarić dem Hirtenstab zwischen die Mäuler gesetzt, zerfleischt statt gerettet, und die Stola, als Symbol der priesterlichen Vollmacht, ist gefertigt aus der (hier künstlichen) Schlangenhaut der Versuchung und des Bösen."

Es sind höchst eigene, auch eigenartige Perspektiven, die – und das mag man loben oder missbilligen – im Dommuseum sichtbar werden.

Wie mögen Betrachter vor Ort auf Kunstwerke wie diese reagieren? Manche könnten antworten: "Das muss heute gezeigt werden!" Andere würden sich abwenden, vielleicht mit den Worten: "Ich muss so etwas wirklich nicht sehen." Es sind höchst eigene, auch eigenartige Perspektiven, die – und das mag man loben oder missbilligen – im Dommuseum sichtbar werden. Warum das so ist, darüber kann gerätselt werden. Möchte die Institution Kirche hier zeigen: Wir öffnen dieser sehr besonderen Kunst unsere Räume? Auch der Autor des Bandes nimmt eine säkulare Perspektive ein und beschließt seine Betrachtungen wiederum philosophisch und nicht theologisch: "Der Leib des Auferstandenen wird später die Wundmale tragen. Keine Perfektion. Aber auch da hat sich ein Kreis geschlossen." Fragen bleiben offen: Was mag hier mit "Perfektion" gemeint sein? Die Wundmale gehören zu Christus, warum sollte er unversehrt von den Toten auferstehen?

Das aufwendig gestaltete Buch zeigt die in Hildesheim ausgestellten Kunstwerke von Nikola Sarić sehr anschaulich – und alle, die diesen Band in die Hand nehmen, werden über einige dieser Artefakte noch eine Weile nachdenken. Ob sich die katholische Kirche in Deutschland so ein Gespräch über moderne Kunst vorstellt? Ein Besucher, der sich nur den Hildesheimer Domschatz ansehen möchte, wird staunen über die Vielfalt der Kunstwerke, mit denen er konfrontiert wird – und mit Blick auf die Werke von Nikola Sarić vielleicht fragen: Muss und will ich diese Art Kunst unter dem Dach einer Einrichtung sehen, die "Dommuseum" genannt ist? Vielleicht könnte mit einer solchen Frage ein interessantes Gespräch über Kunst und Kirche heute beginnen.


von Thorsten Paprotny - 24. April 2023
Nikola Sarić - Kreis unvollendet
Claudia Höhl (Hrsg.)
Wilfried Köpke
Nikola Sarić - Kreis unvollendet

Schnell & Steiner 2023
34 Seiten, broschiert
EAN 978-3795438432