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Gerhard Feldbauer: Der heilige Vater: Benedikt XVI.

Kirchliche Ränkespiele

"Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks." (Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie). Diese Ansicht des ollen Marx kann man sicherlich teilen - man muss es aber nicht. Das relevante Problem für die Menschen und deren Gesellschaften ist allerdings, dass sich das Opium in der westlichen Welt schon seit etwa 2000 Jahren institutionalisiert hat und global zu einem nicht übersehbaren sowie gefährlichen Machtfaktor wurde, der bis heute seine Fäden zieht.

Der habilitierte Publizist und Journalist Gerhard Feldbauer hat aktuell ein Buch vorgelegt, das den Titel "Der Heilige Vater Benedikt XVI: Ein Papst und seine Tradition" trägt. Selbiger ist ein wenig irreführend, erwartet der interessierte Leser im Zuge dessen doch in erster Linie eine altbewährte Biographie des Herrn Joseph Ratzinger. Erst - oder schon (?) - im Vorwort macht der Verfasser jedoch deutlich, was man dem Inhaltsverzeichnis allerdings im Groben bereits selber zu entnehmen vermag: "Der Autor legt keine Biographie im klassischen Sinne über den neuen Papst vor. …Er skizziert die zweitausendjährige Geschichte der katholischen Kirche (…). (S. 7). Letzteres ist ihm meines Erachtens erstaunlich gut gelungen, wenn auch in dem einen oder anderen Punkt zu oberflächlich und zu wenig differenziert.

Feldbauer ätzt, er kritisiert, stellt reihenweise Behauptungen auf, argumentiert mit einschlägigen Belegen gegen die katholische Kirche im Allgemeinen und deren elitären Führungszirkeln und -personen wie eben am Bespiel des Papstes im Besonderen. Dies gelingt ihm meist ohne dabei gläubige Menschen zu beleidigen. Der Autor steht, so ist es seinem Werk unschwer zu entnehmen, auf der Seite eines humanistischen Menschenbildes, welches (erste) erkämpfte emanzipatorische Werte in unseren Gesellschaften, wozu die (zumindest formale) Gleichberechtigung der Frau, die Meinungsfreiheit, die formale Gleichheit aller Menschen, der Respekt vor dem Anderen, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung usw. sicherlich zählen, zu verteidigen auf seine Fahnen geschrieben hat. In der aktuellen Führung der katholischen Kirche seit Karol Wojtyla sieht er genau gegenteilige Kräfte am Werk, nämlich äußerst reaktionäre (S. 10). Und dies belegt der Verfasser recht anschaulich.

Unter der bezeichnenden Fragestellung "Wie wird man Papst?", geht Feldbauer im ersten Kapitel seines Buches der Frage nach, wie die rechten Kreise der Kirche (nutzen wir ruhig diese alte politische Klassifizierung mal wieder) nach den liberalen Ansätzen des II. Vatikanischen Konzils unter dem Papst Johannes XXIII. die Macht an sich reißen konnte. Im Zuge des nicht gerade geringen Einflusses der USA und ihrer Geheimdienste in der Mitte des heftig geführten "Kalten Krieges" brachte erst die sogenannte "Wahl" des Kommunistenhassers Wojtila als Johannes Paul II. diejenige Person in das Amt, welche im Sinne der Nordamerikaner die konsequentesten Positionen bezog. Mit reichlich Fakten ausgestattet deckt der Verfasser verschiedenste Kanäle und Geldflüsse zwischen den USA, dem Vatikan und präferierten politischen Organisationen (bspw. der polnischen "Solidarnosc") auf, die nur dem Ziel dienten, den sogenannten Ostblock, also das sozialistische Staatensystem, zu destabilisieren, da es nach Auffassung Ratzingers "Teufelswerk" (S. 32) sei.

Ferner wird in diesem Kapitel der religiöse, politische und karrieretechnische Werdegang des Joseph Ratzinger beschrieben, welcher beispielsweise die Errungenschaften der 1968er Jahre als "marxistische Revolution" (S. 28) bezeichnete und in einer inhaltlich prinzipiell sinnvollen Synthese von Christentum sowie Marxismus eine bedrohliche Gefahr sah und sieht (S. 30). Mit dem Amt des Präfekten der Glaubenskongregation, so macht Feldbauer weiter deutlich, also der Nachfolgeorganisation der Heiligen Inquisition, wurde Ratzinger seinerzeit sozusagen zum Chefideologen des Karol Wojtila (S. 45) und ebnete damit den Weg seines Einflusses sowie seiner Ansichten über das Wesen des Katholizismus im Vatikan.

Wo Ratzinger als schon amtierender Papst in der politischen Landschaft der BRD stand sowie steht, ist auch daran zu erkennen, dass er den angeschlagenen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) 2005 "mit seinem gesamten Kabinett zur Privataudienz" (S. 32) einlud. Dabei muss Stoiber noch als harmlos angesehen werden, im Gegensatz zum italienischen "Mediendiktator Silvio Berlusconi" (S. 48), den Ratzinger mittelbar unterstützte.

Im weiteren Verlauf dieses Kapitels legt Gerhard Feldbauer ein Reihe von Kontakten, Maßnahmen und politische Ränkespiele des Joseph Ratzinger offen, die seinen Zielen der reaktionären Gegenoffensive innerhalb der katholischen Kirche und außerhalb in der Gesellschaft dienten. Hinzu kommt, so der Autor, dass "der Papst Protestanten, von Freikirchen nicht zu reden, das Existenzrecht "einer kirchlichen Gemeinde in der Christenheit" abgesprochen" habe (S. 81). Der Vatikan unter Benedikt XVI. erneuert also seinen Alleinvertretungsanspruch für alle Christen.

Das zweite Kapitel dieses zu hitzigen Diskursen anregende und klar positionierten Buches beschäftigt sich mit der Geschichte der katholischen Kirche vom Beginn der Papstmonarchie bishin zum (theoretischen) Ende ihrer weltlichen Macht durch den Einmarsch italienischer Truppen in die ewige Stadt Rom am 20.09.1870 und ihrer faktischen Eingliederung in das italienische Königreich nur wenige Wochen später. Der weltlichen Macht formal verlustig gegangen, endet dieser Teil des Buches mit dem Kampf des Klerus zusammen mit konservativen aber auch bürgerlichen Verbündeten gegen die Arbeiterbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Unnötigerweise kann es der Autor nicht unterlassen, zu Beginn dieses Abschnittes zwei Seiten (S. 82-83) damit zu verschwenden, die Existenz Jesus sowie die Glaubwürdigkeit der Evangelien und damit das Fundament vieler Gläubiger in Frage zu stellen, statt sich ausschließlich auf das Entstehen der Institution Kirche und ihre historischen Genese inklusive ihrer Verbrechen, in denen die Inquisition nicht zu den geringsten gehörte, zu beschränken. Stattdessen wäre beispielsweise ein Satz zu der aus der Bibel absolut nicht ableitbaren, hanebüchenden Behauptung der katholischen Kirche interessant gewesen, dass der Papst Stellvertreter Christi auf Erden oder Nachfolger des Apostel Petrus sei.

Im dritten Teil des Buches beschäftigt sich Gerhard Feldbauer mit den Verstrickungen des Vatikans und seiner Funktionsträger in den verschiedenen Spielarten des Faschismus. So hat Papst Pius XI. offen den Putsch des italienischen "Duce" gleichermaßen unterstützt (S. 116) wie er auch mit dem Reichskonkordat schon 1933 die Regierung Hitler guthieß, da ""das neue Deutschland eine entscheidende Schlacht gegen den Bolschewismus" schlage" (S. 122-123). Nicht unerwähnt lässt der Autor auch die sogenannte "Rattenlinie", bei der führende katholische Würdenträger unter Leitung von Pius XII. entmachteten Faschisten den Fluchtweg nach Südamerika ermöglichten. Übrigens: Dass der Autor in italienischer Geschichte habilitierte verwundert nicht, da er ein recht intensives Augenmerk auf den italienischen Faschismus wirft.

Das vierte Kapitel des Werkes thematisiert die Kontakte und Kooperationen der Kirche mit CIA, Mafia sowie Logenbrüdern in der Nachkriegsära unter der gemeinsamen Perspektive der Eindämmung des sozialistischen Lagers. Dabei wird unter anderem das schon erwähnte II. Vatikanische Konzil als liberaler Ausbruchsversuch aus der generell konservativ-reaktionären Ausrichtung des Vatikans genauso beleuchtet, wie der Opus Dei. Dieser erzreaktionäre Geheimbund, welcher bis heute unter Billigung des Benedikt XVI. liberale Strömungen im Katholizismus offen als auch verdeckt, mit legalen und illegalen Methoden bekämpft, muss als gefährliche Vereinigung angesehen werden. So waren Mitglieder dieser Organisation nach Ansicht des Verfassers unter anderem aktiv am blutigen Putsch gegen die rechtmäßige Regierung Salvador Allendes in Chile 1973 beteiligt (S. 149).

Der fünfte und - mit Ausnahme des Schlusswortes - letzte Teil des Buches widmet sich dann dem bisherigen Pontifikat Joseph Ratzingers. Zunächst geht der Verfasser nochmals auf die von diesem selig gesprochenen Anhänger des spanischen faschistischen Diktators Franco ein, indem er Verbindungslinie zwischen den Päpsten Pius XI., Pius XII. und eben Benedikt XVI. zieht (S. 164-170). Ferner darf die sogenannte Piusbruderschaft, eine extrem reaktionäre Abspaltung, und deren versuchte Rückführung durch Ratzinger in den sogenannten Schoß von Mutter Kirche nicht fehlen. Diese rechtsextreme Gruppierung zeichnet sich nach Auffassung Feldbauers nicht alleine durch ihren "Hass auf Juden, Muslime, Homosexuelle und alle irgendwie Abtrünnigen" (S. 171) des wahren Katholizismus aus, dessen Definitionshoheit sie beanspruchen.

Auch die anderen Fettnäpfchen beziehungsweise klar rechten Ausrichtungen des deutschen Papstes lässt Feldbauer nicht aus. Ob Afrika-Reise oder Israel-Besuch, ob 2000. Geburtstag des Apostel Paulus oder der Versuch des "(schein)heiligen Vaters" (Udo Lindenberg), die finanzkapitalistischen Eskapaden zu kritisieren, thematisiert der Verfasser auf interessante Weise.

Letztlich ist das Buch mit all seinen Stärken ("Fakten, Fakten, Fakten" und einer klaren politischen Positionierung des Autors, der nicht versucht, seine Weltanschauung unter wissenschaftlichem Schein zu verbergen) aber auch seinen partiellen Schwächen (teilweise suboptimale Einordnung geschichtlicher Ereignisse in den historischen Kontext) kurzweilig und lesenswert. Wer allerdings ein Vogel-Strauß-Anhänger der katholischen Kirche ist (also Kopf in den Sand und nichts sehen, hören, sagen), dem wird das Werk wenig bekommen. Dem fortschrittlichen Katholiken, dem gläubigen Katholiken, dem wird das Werk, bis auf wenige Ausnahme, vielleicht dazu bringen, seiner Kirche und deren Machtapparat kritischer gegenüber zu stehen und eben auch Joseph Ratzinger.


von Frank Lukaszewski - 23. Februar 2010
Der heilige Vater: Benedikt XVI.
Gerhard Feldbauer
Der heilige Vater: Benedikt XVI.

Ein Papst und seine Tradition
PapyRossa 2010
209 Seiten, broschiert
EAN 978-3894384159