https://www.rezensionen.ch/die-buechse-der-pandora/B08QWBZBSF/

Die Büchse der Pandora

Paneuropäische Restauration eines Meisterwerks

"Töte dich selbst, damit du mich nicht auch noch zum Mörder machst", bettelt Dr. Schön (Fritz Kortner) die Femme Fatale Lulu (Louise Brooks) an, doch am Ende des vierten Aktes ist er dann der Tote. Nachdem sein Versuch, seine gesellschaftliche Reputation durch die Heirat mit der Tochter des Innenministers wiederherzustellen, gescheitert ist, hat der Zeitungsmogul Dr. Schön keine Wahl mehr. Durch einen von Lulu inszenierten Skandal muss er nun doch sie heiraten, dabei hatte er seinen Sohn Alwa (Franz Lederer) kurz zuvor noch vor ihr gewarnt: "Solche Frauen heiratet man nicht, das wäre Selbstmord".

Durch eine 2009 vom George Eastman House, der Cinémathèque Française, der Cineteca Bologna, dem Gosfilmofond of Russia, und dem Narodni Filmovy Archiv Prag und der Deutschen Kinemathek koordinierte Kooperation, konnte dieses deutsche Stummfilmjuwel aus dem Jahre 1928/29 wieder in sehr guter Qualität restauriert werden und ist nun bei Atlas Film erstmals auch als DVD und BluRay erschienen. Die Wiederherstellung des Filmes kann durchaus als kleine europäische Sensation bezeichnet werden. Denn es ist weder das Originalnegativ noch eine Kopie aus der Entstehungszeit erhalten geblieben. Verfügbar waren nur noch Umkopierungen aus den 1950er und 1960er Jahren . Der Film verdankte seine Wiederentdeckung auch der Schauspielerin Louise Brooks, die in den 50ern ein Comeback feierte (Artikelserie "Lulu in Hollywood"). Aus drei Fassungen des Films, die überlebt hatten, wurde ein 1952 angefertigtes Duplikatnegativ hergestellt und durch die Kombination dreier Materialien wurde es erst möglich, die Bildfolge Pabsts berühmter fließender Montage wiederherzustellen und fehlende Bildkader und Szenen soweit wie möglich wieder einzusetzen. Mit Hilfe digitaler Bildbearbeitungen wurde versucht, die photographischen Charakteristika der verschieden Materialien so einander anzugleichen, dass erneut ein stimmiger Gesamteindruck entsteht. Von der restaurierten Fassung wurden neue 35mm Sicherungsnegative und -kopien gezogen sowie eine digitale Kinofassung erstellt, die 2009 erstmals wieder im Kino gezeigt wurde.

Wedekinds Lulu als Kindfrau 

In der griechischen Mythologie war die Büchse der Pandora ein Behälter, in dem alles Übel der Welt eingeschlossen war, neben Arbeit, Krankheit und Tod auch die Hoffnung. Pandora selbst war auf Weisung des Zeus eine von Hephaistos aus Lehm erschaffene Frau als Teil der Strafe für die Menschheit wegen des Feuerdiebstahls durch Prometheus. Der Film ist nach den Skandal-Dramen "Erdgeist" und "Die Büchse der Pandora" von Frank Wedekind entstanden. Das Skandalöse dabei war nicht nur die liederliche Lulu, sondern auch die Darstellung homosexueller, lesbischer Liebe, die es erstmals in einem Film zu sehen gab. Lulu vermag es nämlich, nicht nur Vater und Sohn zu verführen, sondern auch die Bühnendesignerin Gräfin Geschwitz, die in sie verschossen ist und ihr bereitwillig Geld borgt, um wieder auf die Beine zu kommen. Nach dem "Mord" an Dr. Schön (Vater) muss Lulu mit Alwa Schön (Sohn) nämlich nach London fliehen, wo sie in den Armen eines gewissen Jack the Ripper (Gustav Diessl) stirbt. Alle Versuche Alwas und ihres Ziehvaters, Schigolch (Carl Goetz), für sie zu sorgen, scheitern. Das Glücksspiel Alwas kann sie ebenso wenig retten wie ihre Prostitution. Lulu ist verdammt, denn sie verkörpert einen Frauentyp, der damals als inakzeptabel galt. Dabei ist sie mehr unschuldiges Kind als Femme Fatale.

Aber "Die Büchse der Pandora" ist nicht belehrend oder kommt mit dem erhobenen Zeigefinger daher, im Gegenteil. Die Darstellung ist so überzeugend und authentisch, dass man mehr als zwei Stunden kein Wort zu sagen wagt. Ein Film wie eine Offenbarung. Der österreichische Regisseur Georg Wilhelm Pabst verdankte den Erfolg seines (achten) Stummfilmes vor allem auch dem amerikanischen Schauspiel-Star Louise Brooks, die neben Greta Garbo und Marlene Dietrich ein neues selbstbewusstes Frauenideal verkörperte. Sie galt auch als sog. Flapper-Girl, das waren in den Zwanziger Frauen, die rauchten und in der Öffentlichkeit Alkohol tranken. Während des Nationalsozialismus wurde der Film verboten und als "entartete Kunst" gebrandmarkt.

Durch akribische Kleinarbeit und Recherche konnte der Film aus drei unterschiedlichen und teilweise stark beschädigten Kopien wiederhergestellt werden. Nun steht dieses Filmjuwel wieder einem größeren Publikum zur Verfügung. Ein großer Dank gebührt den oben genannten Institutionen, dass sie dies möglich machten. Auch die Ausstattung der DVD/BluRay ist lobenswert. Die Cover sind, wie auch bei den Mediabooks, dem Original-Kinoplakat nachempfunden. Den Softboxen liegt ein Booklet mit spannenden Infos zur Restaurierung und Entstehungsgeschichte der Filme bei.

Gewinnspiel/Preisrätsel
rezensionen.ch veranstaltet ein Gewinnspiel, bei dem jeweils eine DVD des Films verlost wird. Wer an jrw@rezensionen.ch die Lösung zu folgendem Rätsel sendet, bekommt eine Kopie zugeschickt: Wofür steht der Ausdruck Femme Fatale? Die originellsten Antworten gewinnen.

von Juergen Weber - 21. April 2021
Die Büchse der Pandora
Georg Wilhelm Pabst (Regie)
Die Büchse der Pandora

Atlas Film 2021
Laufzeit: ca. 130 Minuten
EAN 4042564212310