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Justin Cartwright: Das Geld anderer Leute

Banker haben das Irrenhaus übernommen

Justin Cartwright war mir anhin kein Begriff, ich wurde durch ein Interview im Fernsehkanal der BBC auf ihn aufmerksam, wo er unter anderem seine Hochachtung vor Nadine Gordimer und J.M. Cotzee zum Ausdruck brachte und dabei betonte - auch er stammt aus Südafrika - wie anders sein eigenes Schreiben sei. Und das ist es in der Tat: "Das Geld anderer Leute" mutet wie das Buch eines Engländers an. Im positivsten Sinn: eloquent und witzig und dabei aufklärend - toll, ja super toll, es sei heiss empfohlen.

Worum geht's? Die traditionsreiche, über 300 Jahre alte Privatbank Tubal & Co. steckt in Schwierigkeiten, weil sie ihre Prinzipien (tu nur das, wovon du was verstehst) über Bord geworfen und dem Zeitgeist, "der es im Grunde nur darauf anlegte, aus nichts Geld zu machen", gehuldigt hat. Jetzt soll die Bank verkauft werden, doch weil ein rachsüchtiger Informant die Presse über dubiose Transaktionen ins Bild setzt, scheint nicht nur dieser Verkauf, sondern die Existenz der Bank auf dem Spiel.

"Es gibt stets einen Anfang und ein Ende und viele verschiedene Wege, eine Geschichte zu erzählen". Dieses Motto wird gleich mehrfach zitiert und es charakterisiert diesen Roman auch sehr treffend, denn der Autor zeigt zum einen sehr schön auf, wie alles mit allem verknüpft ist, und zum andern, dass die Vorstellung einer einzigen Realität ein Irrglaube ist. Folgerichtig erzählt dieses Buch nicht nur eine Geschichte, sondern ganz viele. Es ist sowohl Finanzkrimi (mit einem überraschenden Schluss) als auch wenig schmeichelhaftes Porträt der englischen Oberschicht ("Sie pflegen eine höfliche, ererbte Konversation, aber tief im Innern sind sie geringschätzig und voller Verachtung."), Auseinandersetzung mit Fragen der Kunst ("Melissa, Artair MacCleod ist einer jener höheren Irren, deren ganzes Leben eine paranoide Performance ist. Im Theater ist das gerade noch akzeptabel. Aber wir leben in einer härteren Welt. Ich habe keine Zeit, mir sein Geschwafel anzuhören.") und der richtigen Art zu leben ("Il faut regarder toute la vie avec les yeux des enfants"). All das ist spannend und auf vielfältige Art anregend erzählt.

Und so schildert Justin Cartwright die Finanzwelt: "Hinter diesen Derivaten standen keine Vermögensmittel, keine Werte, keine menschlichen Unternehmungen. Sie erwiesen sich als Fantasieprodukte. Es ist fast unglaublich, dass eine gigantische Industrie auf Fabeln hereinfallen konnte." Nicht etwa, weil Banker dümmer wären als der Durchschnitt der Bevölkerung, doch möglicherweise weil Überheblichkeit ignorant macht: "Bei all seiner Liebe zu Malerei und Ballett war Harry davon überzeugt, dass die Banker der Leim sind, der die Gesellschaft zusammenhält. Sie gehören zu einer höheren Elite, die allein wirklich versteht, wie die Welt funktioniert. Ihre Kenntnis des Gelds gibt ihnen etwas, das für Politiker und gewöhnliche Menschen unfassbar ist."

"Das Geld anderer Leute" ist jedoch weit mehr als ein aufregendes und erhellendes Buch über Zeitgeist und Finanzkrise, es ist auch ein intelligentes Werk darüber, wie die Welt funktioniert. Und worüber sich nachzudenken lohnt. Hier ein paar Zitate, um dies zu illustrieren:

Sie ist wie immer gut vorbereitet. Ethische Fragen werden nicht angesprochen oder erörtert. Amanda befasst sich ausschliesslich mit Rechtsdingen.

Vielleicht liegt es in der Natur des Rechts, dass es das menschliche Leben - Liebe, Gefühle und so weiter - in Dinge verwandelt. Die menschliche Seite der Transaktion bleibt dabei auf der Strecke.

Regierungsarbeit ist im Kern Opportunismus.

Die da oben mauern, weil sie dicke Brieftaschen haben, und wenn die kleinen Leute beharrlich werden, hetzen sie ihre Anwälte auf sie und treiben sie in den Ruin mit gerichtlichen Verfügungen und Verleumdungsklagen und allem Möglichen.

Die dicken Nebelkerzen, die diese Leute aufgestellt haben, sollen den Eindruck erwecken, sie täten etwas immens Bedeutendes, etwas, dass das Verständnis der Normalsterblichen weit übersteigt. Es stellt sich aber heraus, dass sie gar nicht wussten, was sie taten, und dass sie Schindluder mit dem Geld anderer Leute getrieben haben, oftmals am Rande der Legalität.

Was ihn bewegte, war nicht so sehr die Religion selbst, als vielmehr die unausweichliche Erkenntnis, dass niemand auf der Welt mit seiner eigenen Sterblichkeit zurechtkommt.

Wissen Sie, Melinda, Flann O'Brien hat ein Buch geschrieben, in dem die Figuren sich weigern, dem Autor zu gehorchen, und die Geschichte selbst übernehmen. Klingelt's da bei Ihnen? Die Bankiers haben das Irrenhaus übernommen. Flann O'Brien war ein seltener Vogel: nämlich ein Seher.

Fazit: ein grossartiges Buch!


von Hans Durrer - 01. Januar 2012
Das Geld anderer Leute
Justin Cartwright
Rainer Schmidt (Übersetzung)
Das Geld anderer Leute

Bloomsbury 2011
Originalsprache: Englisch
320 Seiten, gebunden
EAN 978-3827010391