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Petra Morsbach: Gottesdiener

Die Höhen und Tiefen des Priesters Isidor Rattenhuber

Es gibt Bücher, über die zu schreiben, man sich hüten sollte. Weil man darin alles so gut und witzig, unterhaltend und einfühlsam, lehr- und kenntnisreich beschrieben findet, wie man es selber nicht vermöchte. Von Petra Morsbachs "Gottesdiener’ ist die Rede. Für diejenigen, die aus dem Titel nicht schlau werden, sei hier festgehalten, dass dieser Roman von Priestern handelt und besonders von den alltäglichen Höhen und Tiefen des Priesters Isidor Rattenhuber. Es ist ein ganz wunderbarer Text, ein wirklicher Lesegenuss. Und das ist nicht einfach so dahin gesagt. Um dies zu belegen, hier ein paar Auszüge:

Pfarrer Stettner hat auch beschlossen, dass Isidor aufs Gymnasium gehöre. Isidors Eltern wehrten sich nur fünf Minuten, denn mit dem Buben war eh nichts anzufangen.

Seit er nicht mehr trinkt, halten die Boderinger ihn für arrogant.

Gregor hat recht, überlegt er, während er auf sein Schnitzel wartet. Abenteuer der Phantasie sind sich selbst genug und befriedigen nur scheinbar ein echtes Bedürfnis. Manche Menschen gehen zum Beispiel in die Oper, um dort rasende Leidenschaften zu erleben: Liebe bis zum Wahnsinn, Inzest, Schlachten, Folter, Mord. Aber daheim ist ihnen vor allem wichtig, dass die Haushaltskasse stimmt. Ist es vielleicht ebenso mit der Kirche? Sie gehen nicht hin, weil sie fromm sein wollen, sondern um vorübergehend eine Ahnung von Erhabenheit und Sinn zu spüren. Aus der Kirche zurück, stellen sie augenblicklich den Fernseher an, gewissermassen als Gegengift. Wohlgemerkt: Auch diese Angebote - Blödheit, Konsum, Hochstapelei - nehmen sie nicht richtig ernst. Wegen der Haushaltskasse.

Erst durch Begrenzung werden Dimensionen spürbar, merkte sich Isidor. Der in Höhe und Weite begrenzte Innenraum einer Kathedrale kann grösser wirken als der viel höhere und weitere Himmel. Weniges blendet so wie eine weisse Stelle auf einer bemalten Leinwand. Es geht nie um die Optik, sondern immer um die Intention, und die Intention lebt von der Idee. Ähnlich verhält es sich mit dem Menschen: Erst durch eine Idee, die ihn konzentriert und diszipliniert, erfüllt er seine Bestimmung, nicht durch Trägheit und Genuss. Individualität ist zu formendes Material, sonst nichts. Wer ohne Idee lebt, existiert wirkungslos wie eine Amöbe und beleidigt Gottes Plan.

"Schauen und Glauben ist kein Gegensatz", sagte Pater Ulrich. "Denn Gott ist immer in dem, was du siehst. Wenn du ihn darin nicht erkennst, erkennst du ihn nirgends - das, was du siehst, ist das Eigentliche. Näher kannst du der Wahrheit nicht kommen."

"Weil nämlich - ", lallt sie, "dös mit die drei Kinder, dös war i!"Sie erklärt händeringend, aber für ihre Verhältnisse bündig. Sie habe drei Mal abgetrieben. Zuerst ist sie zur Caritas in Zwam gegangen wegen der Bescheinigung. Weil sie die nicht bekam, hat sie behauptet, sie sei schwanger vom Pfarrer. Da bekam sie die Bescheinigung sofort, und beim nächsten Mal musste sie nichts mehr sagen. Isidor ist nicht sicher, ob das so stimmt. Fakt aber ist, dass entsprechende Daten in verstümmelter Form nach Bodering gelangten, wo inzwischen das Gerücht umgeht, Isidor habe drei Kinder. Natürlich weiss Isidor von dem Gerücht. Es läuft unter dem Tenor: Oa Kindl hot jeder Pfarrer, aber drei, dös is a Unverschämtheit! Isidor hütete sich, es zu kommentieren.


von Hans Durrer - 19. Juni 2008
Gottesdiener
Petra Morsbach
Gottesdiener

Eichborn 2004
372 Seiten, gebunden
EAN 978-3821808932