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Michel Houellebecq: Unterwerfung

Es geht nicht um Religion, sondern um Macht

Damit es gleich gesagt sei: das ist ein tolles Buch! Anregend und differenziert erzählt es vom Kampf der Kulturen, der heutzutage selten mehr als solcher bezeichnet werden darf, da er den sensiblen Gemütern der politischen Korrektheit sauer aufstösst.

Worum geht's? Der Literaturwissenschaftler François, Spezialist für J.-K. Huysmans, lehrt an einer Pariser Uni (er selber habe an keiner Uni studiert, so Houellebecq, die diesbezüglichen Informationen verdanke er der Hochschullehrerin Agathe Novak-Lechevalier), hat Affären mit Studentinnen, als er eines Tages seinen Job verliert. Ein Muslim wurde mit Hilfe der Bürgerlichen, der rückgratlosen politischen Mitte, zum französischen Präsidenten gewählt. Der neue Uni-Rektor, ein zum Islam konvertierter Belgier, der sich in seinen an das breite Publikum gerichteten Schriften moderat gibt, sich in denen an seine engere Klientel aber wesentlich weniger moderat zeigt, will François zurück an die Uni holen, vorausgesetzt, er konvertiere zum Islam.

Houllebecq nimmt den Islam Ernst und sieht ihn keineswegs einseitig, sondern, wie sich das für einen Intellektuellen geziemt, kritisch, doch nicht ohne Wohlwollen. Vor allem jedoch - und dies zeichnet "Unterwerfung" nicht zuletzt aus - verschliesst er nicht die Augen vor dem Offensichtlichen, er ist schliesslich Schriftsteller und kein Ideologe: Es geht nicht um Religion, sondern um Macht und Herrschaft. "Wenn der Islam nicht politisch ist, ist er nichts", zitiert er Ajatollah Chomeini.

"Unterwerfung" zeigt höchst überzeugend auf, wie Europa Gefahr läuft zugrunde zu gehen. Das liegt nicht nur am selbstgefälligen, politisch überkorrekten (jeder Forderung jeder noch so kleiner Randgruppe wird opportunistisch nachgegeben), nur an der eigenen Karriere interessierten politischen Mainstream, es liegt auch daran, dass man sich mit den Vertretern des Islam nicht auseinandersetzt. " ... der Intellektuelle in Frankreich musste nicht verantwortlich sein, das lag nicht in seinem Wesen."

Worin unterscheidet sich eigentlich der Islam von anderen Glaubensrichtungen? Houllebecq lässt den muslimischen Uni-Rektor ausführen, dass sowohl das Christentum als auch der Buddhismus die Welt als mangelhaft beschreiben, der Islam sie hingegen als vollkommen sieht. "Was ist der Koran letztlich anderes als eine sehr lange, schwärmerische Lobeshymne? Ein Lob des Schöpfers und der Unterwerfung unter seine Gesetze."

So spannend sich die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Islam in "Unterwerfung" gestaltet, sie erschöpft sich nicht darin, sondern führt an praktischen (und sehr realitätsnahen) Beispielen aus, worin sich die muslimische Macht im Alltag manifestieren würde. So hat etwa die Unterwerfung der Frau unter die Herrschaft des Mannes zur Folge, dass die Arbeitslosenzahlen sinken, denn die Frauen bleiben jetzt zu Hause. Sodann ordnen Bürger der Golf-Monarchien den Immobilienmarkt in Paris und der Côte d'Azur neu, da sie für ihre Zweitwohnsitze mehr bieten als Chinesen und Russen. Die Kleidung der Frauen veränderte sich: Nicht, dass es viel mehr Verschleierungen gab, doch sie war jetzt merklich züchtiger. Und auch das Bordrestaurant des Thalys von Paris nach Brüssel ist von den politischen Veränderungen betroffen: Man hat jetzt die Wahl zwischen einem traditionellen Menü und einem Halal-Menü.

"Unterwerfung" ist eine gut lesbare, geistreiche und witzige Aufklärung darüber, dass sich hinter dem Kampf der Kulturen ein Kampf um Macht und Einfluss, ein Kampf um Herrschaft verbirgt. Damit leistet Houllebecq, was so recht eigentlich Aufgabe der Journalisten ("... da Journalisten jedoch naturgemäss dazu neigen, Informationen zu ignorieren, die sie nicht verstehen ...") wäre, diese jedoch allzu oft nicht zu leisten vermögen.


von Hans Durrer - 30. Oktober 2016
Unterwerfung
Michel Houellebecq
Norma Cassau (Übersetzung)
Bernd Wilczek (Übersetzung)
Unterwerfung

Dumont 2016
272 Seiten, broschiert
EAN 978-3832163594