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Carsten Regel, Alexander Broicher: Slumlords

Biotop einer Schattenwelt

"A slumlord is a derogatory term for a landlord, generally an absentee landlord with more than one property, who attempts to maximize profit by minimizing spending on property maintenance, often in deteriorating neighborhoods. Severe housing shortages allow slumlords to charge higher rents, and when they can get away with it, to break rental laws. (…) " (aus Wikipedia, engl.)

Es geht um Geld. Es geht um Macht. Um Sex. Und wie Drogen, Trieb und Gier das sinistre Biotop einer Schattenwelt erzeugen, deren bitterglitzernder Nektar Top-Manager und Kriminelle gleichermaßen anzieht, ja nährt. Kalt und menschenleer wirkt die Skyline von Frankfurt am Main, im Kontext seiner Finanz- und Geschäftswelt landläufig auch treffend als Mainhattan bezeichnet. Kalt und seelenlos ist auch der Treibstoff, welcher die Schnittmenge aus Rotlicht und Aktienkursen bildet: Kokain. Der Schmierstoff auf dem Weg nach oben. So sieht es auch Ronny, der sich als Dealer aus den tristen Vorstädten der Metropole herausgekämpft und mit dem Vertrieb des schnellen Schnees zumindest wirtschaftlich etabliert hat.

Ronny, der Koksdealer, ist der Protagonist des Romans "Slumlords", der gemeinsam vom Autorenteam Carsten Regel und Alexander Broicher für deren gemeinsame Edition Rebell entwickelt wurde und jüngst beim Berliner Dittrich-Verlag erschienen ist. Beide Autoren schrieben in ihren früheren Romanen bereits über bewegende Themen unserer Zeit, doch verlassen sie für Slumlords radikal ihren bislang heiter gewobenen Sprachduktus und führen ihre Leser in ein gänzlich neues, dunkles und hartes Universum, wobei der selbstironische und teils humorvolle, oft sarkastische Unterton immer wieder durchblitzt, so gut das in Zeiten der Finanzkrise eben geht. "Krisenfest ist sie, die Drogenbranche. Gerade in unruhigen Zeiten, wenn es schnell hoch und wieder runter geht.", schreibt Carolin Rosales im Kulturteil der Berliner Morgenpost vom 24.11.2017 in ihrer Buchbesprechung von "Slumlords". So wie Banker und Fondsmanager, Analysten und Rating - Experten schnell im Elfenbeinturm der Finanzwelt aufsteigen, können auch Dealer und Gangster rasant an den Vorzügen des schnellen Geldes teilnehmen. Die einen auf dieser, die anderen auf jener Seite des Gesetzes. Und beiden Milieus ist ihre Rücksichtslosigkeit, ihr Egoismus und ihre Sucht nach materiellem Erfolg gemein.

Doch es gibt stets eine Kehrseite der Medaille: Der jähe Fall ins Bodenlose, wenn Märkte zusammenbrechen. Das Scheitern, die Angst vor Konkurrenz und der Verrat gehören zum temporeichen Geschäft zu beiden Branchen. "Wie oben so unten", lautet ein altes Sprichwort, das Licht und Schatten Mainhattans gut zusammen faßt. Dabei geht es in Slumlords nur vordergründig um die deutsche Finanzmetropole, denn "der Roman steht archetypisch für den Einfluß von Drogen und Macht in der Finanzwelt und könnte genau so gut auch in New York, London oder Paris spielen", erklärt Autor Carsten Regel. Sein Mitautor Alexander Broicher ergänzt: "Slumlords spielt hier in Frankfurt am Main, weil wir uns zunächst an ein deutschsprachiges Publikum wenden und die Großstadt in einem der größten Ballungsräume Europas eben der Finanzplatz hierzulande ist, mit der Börse, den Banken und dem Großflughafen." Damit kontrastiert Slumlords ein durchaus internationales Thema, das in der ersten Ebene die Machenschaften von Drogendealern und Rotlichtgrößen, aber auch von Spitzenmanagern und den oberen Zehntausend erzählt.

Aus Perspektive derjenigen, die in der Hochfinanz am Hebel sitzen, erzählt der packende Roman beinahe en passant von den Folgen, welche das Investmentbanking regional wie global anrichten kann: Argentinien, Spanien, Portugal, die USA, Großbritannien und weite Teile Süd- und Osteuropas sind seit dem amerikanischen Enron-Skandal, dem Zusammenbruch des neuen Markts und spätestens seit der Finanzkrise 2008 in schwerste Wirtschaftskrisen getrudelt, die ihren Ursprung im Finanzsektor finden: Verbrannte Rentenkassen, faule Kredite, geplatzte Fonds, verlorene Immobilien vernichteten zuerst die Existenzen der Kleinanleger, Sparer und Rentner. Dann folgten Mittelstand und schließlich die Banken selbst. Am Ende stehen Währungsturbulenzen, Inflation und ein tiefgehender Riß der gesellschaftlichen Mitte, die als Rückgrat der Gesellschaft, ja als Kitt des sozialen Friedens immer mehr auseinander driftet. Wenige schaffen den Sprung nach oben … und ein großer Teil stürzt ins Existenzminimum, sofern in den "fetten Jahren" keine Rücklagen gebildet werden konnten.

Das Gesellschaftsmodell des ehrbaren Bürgers, der tagein tagaus arbeitet, seinen Wohlstand in vielen Jahren aufbaut und schließlich vom angesparten Besitz lebt und diesen an die nächste Generation vererbt, war das Feuer der Wirtschaftswunderzeit, an dem sich Staat und Bürger lange wärmten. Aber dessen Glut, die in den 80ern und 90ern des letzten Jahrhunderts noch lange die Stuben auch gering Verdienender wärmte, dimmt spätestens mit der letzten Finanzkrise ihrer kalten Asche entgegen. Ronnie erlebt, wie sich seine Eltern am Rande ihrer Existenz durchwurschteln. Er wollte niemals so enden wie sie und hängt an seiner Familie, will sie aus ihrem Ghetto rausholen. Und wußte schon früh, daß der Weg heraus nur durch seine eigene Interpretation von Gesetz und Treue führen konnte.

Nach erfolgreichen Geschäftsabschlüssen feiern seine Banker Ronnie und sein Koks. Euphorie. Auch wenn sie ihr Geld verlieren, saugen sie die Droge durch ihre Nasen, um die Nerven zu behalten. Wer die Machenschaften von Ronnies Kunden, Finanzexperten, Hedgefondsmanagern und Investmentbankern verfolgt, sieht eher in Ihnen, denn in dem eher rational, ja konservativ auftretenden Ronnie die größeren Kriminellen. Ronnie führt sein illegales Unternehmen fast wie den Betrieb eines Schweizer Uhrmachers: Sauber, präzise, still und verläßlich. Stets bedacht, keine Spuren zu hinterlassen, keine Eitelkeit und keine Blöße zu liefern. Bieder und diskret. Eine Bar tarnt sein Doppelleben, wäscht seine Einkünfte rein. Und obschon er bei den Mächtigen der Stadt ein- und ausgeht, fühlt er sich bei ihnen niemals wohl, niemals akzeptiert. Er schämt sich, trotz wirtschaftlichen Erfolges, seiner Herkunft. Sucht kurze Erfüllung im Schoß von Prostituierten, nur um sich kurz nach dem Austausch gekaufter und entladener Sekrete leer und muffig zu fühlen. Alter Schweiß anonymer Freier klebt an seinem Oberkörper. Er sorgt sich um sein Sakko und ist froh, daß dieses nichts von dem abweisenden Geruch vergorener Milchsäure abbekam, als er wieder auf die Straße tritt.

Es sind detaillierte Szenen wie diese, welche den Figuren in "Slumlords" eine plastische Authentizität verleihen; es ist ihre direkte, harte und offene Sprache, welche ihre Leser am knallharten Alltag im Milieu teilhaben läßt und sich nicht um Verluste schert. Sowohl Carsten Regel wie Alexander Broicher sind neben dem Buchmarkt auch in der Kinowelt zuhause, was man ihren schnellen Schnitten beim Erzählen, dem Perspektivwechsel, Schuß/Gegenschuß-Dialogen deutlich anmerkt. Nach der Einführung in Ronnies Alltag, unmittelbar, geradeaus und unverschnörkelt geht es gleich in medias res: Die Frau eines prominenten Bankiers wird entführt. Ronnies Kumpel Hakan, seit jeher ein fester Anker in Ronnies sehr eng gefaßtem Freundeskreis, scheint mutmaßlich der Entführer der Bankiersfrau zu ein. Sowohl das Gesetz als auch die Unterwelt rücken Ronnie immer mehr auf den Pelz. Er versucht eine Strecke lang, sich zu ducken, zwischen beiden Welten, Licht und Dunkel zu lavieren, sich nicht in den Sog von Hakans Untergang hinein ziehen zu lassen. Doch das geht natürlich kaum lange gut. Ronnie weiß das. Seine ursprünglichen Lebensziele muß er hintenanstellen. Er muß aus der Deckung, handeln und um seine Existenz, ja, sein Leben kämpfen.

Slumlords ist von der ersten bis zur letzten seiner 263 Seiten ein rasanter, packend und kenntnisreich geschriebener Roman, der zwischen Gesellschaftstopos und Crime Thriller angesiedelt ist und in seiner Sprache an die explizite hard boiled speech der amerikanischen Schriftsteller Dashiel Hammett ("The Maltese Falcon") oder James Ellroy ("Die schwarze Dahlie") erinnert, die den Mob in ihren Romanen genau so reden lassen, wie sie eben reden.


von Daniel Khafif - 15. Dezember 2017
Slumlords
Carsten Regel
Alexander Broicher
Slumlords

Ihnen gehört die Stadt
Dittrich 2017
263 Seiten, broschiert
EAN 978-3943941982