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Rainer Fabian: Das Rauschen der Welt

Nichts ist, wie es den Anschein macht

Bei einem Attentat im fiktiven südamerikanischen Land Matatudo (unschwer als Brasilien auszumachen) hat Kohner, Reporter bei einem Hamburger Magazin (der Autor, Rainer Fabian, war Stern-Reporter und während 15 Jahren Korrespondent für Lateinamerika) seine Frau Anna verloren. Jahre später wird Kohner eine Kassette mit mysteriösen Alltagsgeräuschen (aus der Grossstadt, aber auch aus dem Urwald) zugespielt. Ist es ein Köder, der zum Versteck des Attentäters führt? Kohner, sein Stringer João und die Amerikanerin Jenny machen sich auf eine Reise durch Brasilien.

Sich bei der Erkundung eines Landes von Geräuschen leiten zu lassen, ist eine originelle Idee, die einem nicht zuletzt zu unvermuteten Einsichten verhilft ("Jeder wahrgenommene Klang … löscht den zuvor gehörten Klang vollkommen aus, und es ist, als hätte es ihn nie gegeben. Klänge kann man nicht nacherzählen."), doch die Stärke dieses unbedingt lesenswerten Romans, ist nicht der Plot, sondern die vielen Gedanken, die sich Kohner über Brasilien, den Beruf des Journalisten, das Leben in einem fremden Land sowie über das Leben allgemein so macht.

Dass Rainer Fabian Filmdramaturgie und Filmregie studiert hat, ist unschwer zu spüren; seine Fähigkeit, mittels Sprache Bilder im Kopf des Lesers entstehen zu lassen, ist eindrücklich. Die Reise durch dieses Riesenland Brasilien beschreibt er so: "Sie holperten über Erdstrassen, die die Farbe von verrosteten Maschinen hatten, fuhren zwischen mit Sommersprossen gefleckten Weidenflächen dahin, und die Sommersprossen waren Termitenhügel, die auf den Wiesen standen. An Herden von Zeburindern kamen sie vorbei und an Zuckerrohrfabriken mit dem sich im Wind kräuselnden Rauch. Auf den Strassen lag Pferdestreu. Es raschelte und knisterte, wenn sie über die Streu fuhren, aber auch dies war nicht das, was es schien, es war keine Streu, es waren die Rippen des Zuckerrohrs, die von den Erntewagen gefallen waren."

Nichts ist, wie es den Anschein macht. Das ist überall so, doch fern der Heimat fällt es einem eher auf. "Er reiste dorthin, wo er fremd ist und nicht wirklich sein wird, und er wird in zwei, drei Wochen an einen Ort zurückkehren, wo er auch nicht wirklich ist und nie gewesen war."

Rainer Fabian hat viel erlebt und er hat viel nachgedacht, und so handelt sein Buch von seinen reflektierten Erfahrungen und die sind es wert, dass man von ihnen Kenntnis nimmt - und mehr: dass man sich mit ihnen auseinander setzt. Über den Ruf des Reporters lässt er Kohner sagen: "Es ist die Scham meines Berufes, dachte er, immer genauer hinsehen zu müssen und immer weniger dabei zu empfinden." Über das Älterwerden dies: "Er wusste es, er wusste es … man stirbt an Lebensschwäche, lange bevor man an Altersschwäche stirbt, ja, noch war er Kohner, aber das ist er jeden Tag weniger. Das Gefühl des Alleinseins hatte ihn erreicht. Selbst die Freunde zogen sich von ihm zurück, seit er ihnen predigte, was er als Quintessenz seines Lebens empfand - dass sie nichts Besonderes sind und Probleme haben wie alle anderen Menschen auch … dass sie dieselben Fehler bis an ihr Lebensende wiederholen werden … dass alles im Leben Zufall ist und alles, das heisst alles … dass sie eines Tages entdecken werden, nicht derjenige zu sein, für den sie sich halten … dass sie alles im Leben tun, nur um nicht allein zu sein … dass sie bald jeden Tag wünschen werden, der Tag wäre schon vorbei … dass kein Mensch der Herr seines Schicksals ist … dass niemand ihnen sagen kann, wie sie leben sollen … dass das grösste Glück darin besteht, an nichts, an gar nichts zu denken - ". Über die Gründe des Reisens äussert er sich so: "Wenn einer zu dir sagt, "ich will nach Japan, weil ich dort noch nie war’, dann ist das eine Lüge, denn er war natürlich schon in Japan, sonst wüsste er ja nicht, dass er dorthin will. Er war in Japan, weil er Bilder von Japan kennt, und er will zu den Bildern reisen, die er kennt."

Wer eine Reise nach Matatudo (das Brasilien Rainer Fabians) plant, wird dieses Buch mit Gewinn lesen. Und auch wer zu seinen eigenen Bildern von Brasilien reisen will, wird nach der Lektüre dieses einsichtsvollen und eindringlich erzählten Buches um zusätzliche Bilder bereichert sich dorthin aufmachen.


von Hans Durrer - 02. April 2008
Das Rauschen der Welt
Rainer Fabian
Das Rauschen der Welt

Klett-Cotta 2003
HC: 377 Seiten / TB: 383 Seiten (Berliner Taschenbuch Verlag)