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Achim Wambach: Klima muss sich lohnen

Für mehr ökonomische Vernunft im Diskurs über Klimapolitik

Bewirkt der Bezug von Ökostrom tatsächlich keinen CO₂-Rückgang? Führen mehr innereuropäische Flüge wirklich nicht zu mehr und weniger Flüge nicht zu weniger Gesamtemissionen an CO₂? Können Solaranlagen auf Gebäuden zwar wirtschaftlichen Sinn machen, die europäischen Emissionen dadurch dennoch nicht reduzieren? Weshalb ist es klimapolitisch gar nicht so schlimm, wenn als eine Folge des Kriegs in der Ukraine der Kohleausstieg etwas verzögert wird, da der Strom aus Kohle Teil des Zertifikatehandels ist? Weshalb kann der Bau eines Radschnellwegs und weiterer Infrastruktur einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten? Und schließlich, warum eigentlich ist Klimapolitik so verwirrend?

Die Antworten auf alle solche Fragen lassen sich – so der Verfasser des vorliegenden Buches – nur finden, wenn man die Märkte und die ökonomischen Wirkungszusammenhänge der verschiedenen Instrumente und Mechanismen versteht, welche helfen, die Klimaziele in Deutschland und Europa zu erreichen. Mit dem nicht wenig provokanten Titel "Klima muss sich lohnen" geht es Achim Wambach vor allem darum, mehr ökonomische Vernunft in den Diskurs über Klimapolitik einzubringen und Wege aufzuzeigen, wie man die soziale Marktwirtschaft in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft überführen kann. Wambach ist Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Mannheim. In Oxford promovierte er in Physik, wandte sich dann der Ökonomie zu und gehört laut Ranking der FAZ zwischenzeitlich zu den einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, einige Jahre als dessen Vorsitzender. Viele Jahre war er Mitglied der Monopolkommission und bis vor zwei Jahren auch deren Vorsitzender. In dieser Zeit hat sich Wambach regelmäßig auch systematisch mit wettbewerblichen Fragen der Energiewirtschaft auseinandergesetzt. Da Energiepolitik einen Großteil der Klimapolitik ausmacht, liegt für den Wettbewerbsökonomen nahe, dass sich gute Klimapolitik über den Hebel des Wettbewerbs deutlich besser erreichen lässt.

Einzelne Maßnahmen überraschen in ihrer Wirkung, manchmal verursachen sie sogar das Gegenteil dessen, was erwartet wird oder erwünscht ist.

Für Wambach ist Klimaschutz primär Aufgabe der Regierungen, nicht Einzelner, ohne diese aus der Verantwortung zu entlassen. "Die Betonung der individuellen Verantwortung ist eine Besonderheit der Klimapolitik. Bei anderen Politikfeldern ist dies anders." Darüber hinaus stellt Wambach klar: "Die Klimapolitik besteht aus vielen Bausteinen, und wie bei einem Puzzlespiel kommt es auf die richtige Kombination der Teile an, damit ein sinnvolles Ganzes entsteht. Wenn man nur ein Puzzleteil betrachtet, lässt sich das Gesamtbild nicht erkennen und häufig passen Teile nicht zueinander. Genau das ist in der Klimapolitik oft der Fall: Einzelne Maßnahmen überraschen in ihrer Wirkung, manchmal verursachen sie sogar das Gegenteil dessen, was erwartet wird oder erwünscht ist. … Klimaschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die auf verschiedenen Ebenen angegangen werden muss: global, europäisch, national und regional."

Der Autor analysiert im Einzelnen, welche aktuell diskutierten bzw. bereits praktizierten Maßnahmen wirken und welche nicht oder gar kontraproduktiv ausfallen. Vieles, was gut gemeint sei, helfe dem Klimaschutz wenig und erschöpfe sich gar nur in wirkungsloser Symbolpolitik aufgrund des "Wasserbetteffekts".

Für Wambach stellt sich nicht die Frage "Markt oder Staat?", er macht vielmehr deutlich, dass beide Player gebraucht werden.

Wambach plädiert i. S. von Max Weber für weniger Gesinnungsethik und für mehr Verantwortungsethik, verweist darauf, dass Wettbewerb und die Preise die zentralen Instrumente der Marktwirtschaft ausmachen und sich deshalb klimafreundliches Verhalten auch in den Preisen widerspiegeln muss. Darauf zielt schließlich das Motto "Klima muss sich lohnen" ab. Für Wambach stellt sich nicht die Frage "Markt oder Staat?", er macht vielmehr deutlich, dass beide Player gebraucht werden. In diesem Zusammenhang verweist er auf ein spezielles Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre, das in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat: das sogenannte Marktdesign. "Dabei schaut man sich die Spielregeln einzelner Märkte genauer an, überlegt, mit welchen Regeln am besten die gewünschten Ziele erreicht werden können, und designt die Märkte dann entsprechend." Einen solchen Markt stellt der europäische Emissionshandel dar, d. h. durch den EU-ETS soll für die darin enthaltenen Sektoren eine Senkung der Emissionen erreicht werden. Für die Sektoren Gebäude und Verkehr soll dies der 2021 eingeführte nationale Emissionshandel bewerkstelligen. Nach Plänen der EU-Kommission soll eine solche Regelung auf ein europaweites Zertifikatesystem, den EU-ETS 2, erweitert werden.

Zwar ist das Buch mit 160 Seiten relativ knapp ausgefallen; dennoch beschränkt sich der Verfasser nicht nur auf die Beschreibung, Analyse und Bewertung bestehender klimapolitischen Einzelmaßnahmen, sondern stellt interessante, jedoch heute teilweise noch schwer vorstellbare Ideen zur Diskussion, z. B.:

  • Weil die großen Windparks im Norden und große industrielle Verbraucher mehr im Süden angesiedelt sind, könnten zwei Preiszonen nützlich sein. "Sie würden dazu führen, dass der Strom häufig im Norden billiger wäre als im Süden. Windstrombetreiber, die auf Marktpreise reagieren, hätten mehr Anreiz, sich im Süden anzusiedeln, selbst wenn dort weniger Wind weht, weil dort die Strompreise höher wären und sie mehr Geld mit dem Windstrom verdienen könnten. Und Unternehmen hätten einen Anreiz, sich im Norden niederzulassen, wo die Strompreise günstiger sind." Dabei sieht dieses ökonomische Idealmodell nicht nur zwei Preise vor – wie im Vorschlag der EU-Kommission –, sondern noch viel mehr. In diesem Kontext stellt Wambach das Modell der sog. Knotenpreise (Nodal Pricing) vor, welches schon in den 1980er Jahren entwickelt wurde und heute in Teilen der USA, in Neuseeland und Singapur üblich ist und auch Engpässe bzw. knappe Stromleitungskapazitäten preismäßig berücksichtigt.
  • Wambach macht deutlich, dass zwar die USA, Kanada und Europa eine Entkoppelung von Wirtschaftsleistung und Emissionen erfolgreich in die Wege geleitet haben, dennoch die Klimakrise ohne eine gemeinsame Anstrengung aller (oder zumindest der emissionsstärksten) Länder nicht zu meistern ist. Deshalb greift er einen Vorschlag von William Nordhaus auf, der für seine Forschung zur Ökonomie des Klimawandels 2018 den Nobelpreis erhalten hat. Im Wesentlichen geht es dabei um die Gründung eines Klimaklubs, in dem sich "mehrere Länder und Weltregionen auf ein gemeinsames Vorgehen einigen und einen einheitlichen CO₂-(Mindest-)Preis einführen. Dieser Klub sollte dann gegenüber Ländern, die keine Anstrengungen zur Emissionsreduktion vornehmen, Zölle erheben."

"Diese internationale Perspektive sollte man auch immer berücksichtigen, wenn Maßnahmen auf nationaler Ebene ergriffen werden. Die Leitfrage ist deshalb: Trägt die jeweilige Maßnahme dazu bei, dass es zu einem solchen Klimaklub kommt? ... Wenn Deutschland mit seiner Klimapolitik Vorreiter sein will, dann wird es weniger relevant sein, wie viele Emissionen Deutschland genau einspart, sondern viel mehr, wie es diese Einsparungen hinbekommt, ob dies kosteneffizient erfolgt und ob andere Länder diese Methoden übernehmen, sprich kopieren, können." Ein besonders wichtiges Augenmerk der Klimapolitik gilt in diesem Zusammenhang den Innovationen und deshalb dem Bereich Forschung und Entwicklung (F&E). Hier sind Deutschland wie Europa besonders gefordert, um innovative Lösungen, etwa im Bereich der Wasserstofftechnologien, voranzutreiben.

Alles in allem ist dem Mannheimer Ökonomen wiederum ein spannend zu lesendes Werk voller kluger Ideen und mit manch überraschenden Erkenntnissen gelungen, das fundiert und dennoch gut verständlich aufzeigt, wie Klimaschutz auf der regionalen, nationalen, europäischen und globalen Ebene gelingen kann.


von Bernd W. Müller-Hedrich - 10. September 2022
Klima muss sich lohnen
Achim Wambach
Klima muss sich lohnen

Ökonomische Vernunft für ein gutes Gewissen
Herder 2022
160 Seiten, broschiert
EAN 978-3451393587