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Erich M. Remarque: Im Westen nichts Neues

Im Westen nichts Neues: Ungebrochen aktuell

Wenn man nach dem Antikriegsroman schlechthin des 20. Jahrhunderts fragt, wird unweigerlich das Werk "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque genannt. Leider ist, gerade in der heutigen Zeit des Irak-Krieges und anderer, weltweiter Krisenherde, die Aktualität des Themas ungebrochen. Doch merkwürdigerweise finden Nachrichten aus diesen Gebieten vergleichsweise selten Eingang in die Schlagzeilen der publikumsstarken Massenmedien.

Beim Hörverlag erscheint jetzt Remarques Roman als Lesung durch August Diehl und man kann die Publikation zum jetzigen Zeitpunkt durchaus als politisches, doch neutrales Statement werten. Denn bereits bei Erscheinen als Vorabdruck im November 1928 löste das als "authentisch und wertefrei" angekündigte Werk kontroverse Diskussionen aus.

Der Roman handelt von einer Gruppe Abiturienten, die im Schwalle der allgemeinen Kriegsbegeisterung 1914, angestachelt von ihrem Lehrer Kantorek, geschlossen in die Armee eintreten. Der Ich-Erzähler Paul Bäumer träumt dabei genauso von Ruhm und Ehre wie der gesamte Rest des Jahrgangs. Doch schnell erfolgt die Ernüchterung, als sie bei der Ausbildung an den Schleifer Himmelstoß geraten, der ein gnadenloses Regiment führt und die Gruppe schikaniert, wo er nur kann.

"Manchmal behandelt man uns sogar als Menschen"

Doch diese unmenschliche Behandlung ist noch gar nichts gegen die Verhältnisse an der Westfront, zu der sie nach Ende der Grundausbildung verlegt werden. Maschinengewehr- und Scharfschützen, Läuse- und Rattenplage, Trommelfeuer und Mann-gegen-Mann-Kämpfe, Gasangriffe und Flammenwerfer; zu Beginn noch Kanonenfutter, lernen sie jeden Tag das Überleben aufs Neue. Remarque beschränkt sich jedoch nicht auf die bloße Beschreibung von Kampfhandlungen, sondern stellt die psychischen und physischen Folgen des Kriegsdienstes in den Mittelpunkt. In Gesprächssequenzen der Kameraden wird das Schulwissen ad absurdum geführt; über die Möglichkeit eines "Lebens nach dem hier" diskutiert; eine häufige Frage ist, "wem der Krieg überhaupt nützt" und wie er hätte verhindert werden können - kein Wunder, dass die politische Rechte in dem Roman einen Affront gegen Volk, Vaterland und Patriotismus sah und Remarque unterstellte, den "Novemberverrätern" in die Hände zu spielen.

Erwartungen dadurch erfüllt, dass Erwartungen nicht erfüllt werden

August Diehl geht bei seiner Lesung einen unerwarteten Weg und erzielt dabei beim Hörer eine außergewöhnliche Wirkung. Der Klang seiner jugendlichen Stimme passt perfekt zum Alter der Protagonisten. Trotzdem hat man das Gefühl, dass unterschwellig ein für dieses Alter ungewöhnlicher Ernst mitschwingt, der in hörbarem Kontrast zu den Hurrarufen bei der Nachricht von der Kriegserklärung steht. Bereits ab hier wird man gewahr, dass etwas Beunruhigendes, Dunkles erzählt werden wird. Und diese Intuition täuscht nicht, denn schnell folgt nach dem demütigenden Drill der grauenhafte Frontalltag. Doch auch hier bleibt die Tonlage jugendlich-erwachsen-abgeklärt, unabhängig davon, ob unermessliche Gräuel, die Suche nach Lebensmitteln oder philosophische Fragen erörtert werden. Doch spätestens bei der Schilderung des 14-tägigen Heimaturlaubs von Paul wird deutlich, wieso August Diehl gerade diesen Sprachduktus- und rhythmus gewählt hat, denn jetzt ändert er sich schlagartig: Erwartet man gerade in den Passagen, in denen er bei seiner Familie weilt, liebevolle und emotionsgeladene Verve, so liest er hier distanziert, ja teils lieblos-gelangweilt und verdeutlicht so die drastische Abkehr Pauls vom gewohnten Leben; die Verachtung für die patriotisch-polternden Daheimgebliebenen; die Erkenntnis, mit dem Vater nichts mehr gemeinsam zu haben und zur Mutter keinen emotionalen Kontakt mehr herstellen zu können. Einzig bei seinen Kameraden in der Kaserne fühlt er sich heimisch und ohne große Worte und Erklärungen willkommen. Als Paul an die Front zurückkehrt, an der alles gewohnt und doch anders ist, schleicht sich ein dritter Ton langsam aber spürbar in seinen Vortrag ein. Die Intensität, mit der uns August Diehl an der Angst und den Panikattacken Pauls teilhaben lässt, gehört, neben dem fiktiven Gespräch mit der Mutter, zu den absoluten Highlights des Hörbuches.


von Wolfgang Haan - 11. Juni 2006
Im Westen nichts Neues
Erich M. Remarque
August Diehl (Sprecher)
Im Westen nichts Neues

Der Hörverlag 2006
4 Audio-CDs
EAN 978-3899406801