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Harry Zingel: Investitionsrechnung

Anregungen für Investitionsentscheidungen

Investitionsentscheidungen gehören zu den wichtigsten unternehmerischen Aufgaben. Die Investitionen beeinflussen die Rentabilität und Liquidität sowie die Sicherheit und Unabhängigkeit, so dass die Qualität der Investitionsentscheidungen ausschlaggebend für die Existenz und die weitere Entwicklung des Unternehmens ist. Im Kontext mit der Planung von Investitionen kommt den Investitionsrechnungen ein zentraler Stellenwert zu; denn diese sind geeignet, die finanziellen Konsequenzen einer Investition zu quantifizieren und zu verdichten, um darauf aufbauend Entscheidungsempfehlungen vorzubereiten. Hier knüpft der Verfasser der vorliegenden Publikation an.

Das erste Kapitel des Buches befasst sich in der gebotenen Kürze mit den Grundlagen der betrieblichen Investitionen (Begriffsklärung, Ziele des Investors, Investitionsarten), während sich das zweite Kapitel insbesondere den unterschiedlichen Möglichkeiten widmet, wie sich die mit der Investitionsentscheidung verbundene Unsicherheit berücksichtigen lässt. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen deshalb die diversen Entscheidungsregeln und die Entscheidungsbaumtechnik sowie die Szenario- und SWOT-Analysen. Im dritten Kapitel werden nicht nur die klassischen statischen Verfahren der Investitionsrechnung (Kostenvergleichs-, Gewinnvergleichs- und Rentabilitätsvergleichsrechnungen sowie die statische Amortisationsrechnung) vorgestellt, sondern auch die MAPI-Methode. Gegenstand des vierten Kapitels sind die dynamischen Methoden, vor allem die Kapitalwertmethode und die Methode des internen Zinssatzes. Besonderes Augenmerk liegt auf den Anwendungen dieser dynamischen Verfahren für den Bereich des Finanzsektors (Leasingzinsberechnungen, Überprüfung von Zinsangaben bei Krediten, Besonderheiten der Preisangabeverordnungen sowie der Spar- und Versicherungsverträge). Kapazitäts- und Leistungsprobleme der Investitionsrechnung, hauptsächlich die Verfahren der Modellierung und Lösung von Kapazitäts- und Budgetrestriktionen, werden im fünften Kapitel behandelt. Der Anhang des Buches ist zum sechsten Kapitel zusammengefasst und enthält eine Vielzahl von Informationen für die Praxis des Investitionscontrollings, u. a. eine Übersicht über die grundlegenden Begriffe des Rechnungswesens sowie ein Glossar wichtiger Definitionen, eine Zusammenstellung der Investitionsrechnungen, eine Übersicht über Zinsen bzw. Zinsrechnungsmethoden und eine Formelübersicht der Methoden der Investitionsrechnungen.

Das Buch hebt sich zweifelsohne durch die leicht verständliche Art der Stoffdarbietung zu den einschlägigen Methoden der Investitionsverfahren von der Vielzahl sonstiger Publikationen zu Investitionskalkülen ab. Für Praktiker, welche sich mit betriebswirtschaftlichen Investitionen befassen, bietet die Lektüre dieses Buches eine Fülle von Anregungen zur Aufbereitung und Analyse der für die Investitionsbeurteilung zugrunde liegenden Daten und zur Handhabung wichtiger Bewertungsverfahren. Viele Praxisbeispiele mit klar strukturierten und teils rechnergestützten Lösungsskizzen erleichtern das Verständnis der behandelten statischen und dynamischen Investitionsverfahren.

Dennoch kann dieses Buches den Studierenden betriebswirtschaftlicher Studiengänge an Hochschulen, die sich nach den einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen in die Grundlagen der Investitionsverfahren einarbeiten bzw. auf eine Klausur in diesem Fachgebiet vorbereiten wollen, nur mit etlichen Abstrichen empfohlen werden. Das Buch klammert zum einen eine Reihe von wichtigen themenrelevanten Grundfragen und Basiselementen einer modernen Investitionsplanung aus (z. B. das Konzept des CAPM/WACC für die Festlegung des Kalkulationszinssatzes; z. B. weitere grundlegende dynamische Verfahren, wie beispielsweise die Annuitätenmethode und die dynamische Amortisationsrechnung; z. B. klassische kapitaltheoretische Modelle zur simultanen Investitions- und Finanzprogrammplanung, wie das DEAN-Verfahren und z. B. die Ansätze zur Unternehmensbewertung), während es sich zum anderen mit sehr speziellen und für eine Einführung in Investitionsrechnungen kaum mehr relevanten Themen befasst.

Diese Schwachstelle des Buches soll anhand einiger Beispiele belegt werden:

- dem Investitionsverhalten der öffentlichen Hand wird ein eigener Teilabschnitt gewidmet. Im Hinblick auf den beträchtlichen Umfang öffentlicher Investitionen kann ein solches Vorgehen durchaus als zweckmäßig gelten. Der Rezensent teilt auch die Auffassung des Verfassers, dass insbesondere die Kommunen während der letzten Jahre (vor der Finanzkrise) oftmals schlichtweg überfordert waren, die vielfältigen Wirkungen von Leasinggeschäften, beispielsweise bei grenzüberschreitenden Sale-and-lease-back-Verträgen, abzuschätzen. Ursächlich hierfür war jedoch nicht (nur) das oftmals immer noch vorherrschende kameralistische Denken der Entscheidungsträger und das noch gelegentliche bzw, häufige Fehlen von Kostenansätzen innerhalb des staatlichen Rechnungswesens, sondern insbesondere das Unterlassen der hierfür konkret geforderten Nutzen-Kosten-Untersuchungen. An dieser Stelle hätte man sich im vorliegenden Lehrbuch deutliche Hinweise auf die einschlägigen gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Analysen und Kosten-Wirksamkeits-Analysen gewünscht. Denn derartige für öffentliche Investitionen spezifische Verfahren (in Anlehnung an die BHO, LHO und GemHVO) sind schon seit vielen Jahren entwickelt und werden - leider viel zu wenig - angewandt;
- der MAPI-Methode wird ein relativ breiter Raum gewidmet, ungeachtet der Tatsache, dass diese Methode für die betriebliche Praxis kaum mehr eine nennenswerte Bedeutung hat. Jüngsten Umfragen zufolge wird dieses Verfahren von lediglich 0,5% der Unternehmen angewandt. Dies hat auch damit zu tun, dass diese in den USA entwickelte Methode branchenspezifisch ausgerichtet ist und auf speziellen Prämissen basiert, welche (gegenwärtig) in den europäischen Ländern nicht mehr gelten;
- der Einfluss der Rechnungslegungsvorschriften auf die Auswahl und Ausgestaltung der Investitionsrechnungen ist ein zwar durchaus interessanter Aspekt, dennoch (sehr) umstritten und sollte zumindest in einem einführenden Lehrbuch nicht näher untersucht werden;
- die Platzierung von Finanzplanungsrechnungen, einschließlich der Eigenkapitalveränderungs- und Cashflow-Rechnungen, unmittelbar im Anschluss an den in die dynamischen Methoden einführenden Teilabschnitt, ist methodisch-didaktisch sehr problematisch, zumal solche Ausführungen das Verständnis für die dynamischen Investitionsrechnungen eher erschweren als erleichtern;
- weite Teile des Kapitels 5 "Kapazitäts- und Leistungsprobleme der Investitionsrechnung" sind speziellen Anwendungen der Produktions- bzw. Investitionsprogrammentscheidungen gewidmet (z. B. Simplex-Algorithmus) und gehören eher in ein Lehrbuch zur Produktionsplanung mittels der Methoden des OR (Operations Research);
- die Formelübersicht im Anhang enthält die Gauß`sche Methode zur Berechnung des Ostertermins, die u. a. auch die Bestimmung der weiteren beweglichen Feste ermöglicht. Der Nutzen solcher Algorithmen wird zwar in der vorliegenden Publikation am Beispiel der Bestimmung von Zinsterminen skizziert; er ist jedoch für ein in die Investitionsrechnungen einführendes Lehrbuch kaum erkennbar.


von Bernd W. Müller-Hedrich - 07. November 2009
Investitionsrechnung
Harry Zingel
Investitionsrechnung

Wiley-VCH 2009
284 Seiten, broschiert
EAN 978-3527504688