https://www.rezensionen.ch/la-noia/3803128285/

Alberto Moravia: La Noia

"Ich will dich heiraten, damit du mir langweilig wirst."

Erstmals 1960 erschienen und 1963 verfilmt, löste Moravias Roman beide Male einen veritablen Skandal aus. Denn der durch seine sexuelle Freizügigkeit und vom Klerus heftig bekämpfte Roman wurde mit Horst Buchholz und Bette Davis (Regie: Damiano Damiani) verfilmt, ohne irgendwelche Tabus auszulassen.

Langeweile als Lebensgefühl

"Und ich will dich heiraten, damit du mir langweilig wirst, damit ich nicht mehr leide, damit ich dich nicht mehr liebe – mit anderen Worte, damit du für mich nicht mehr existierst, wie für dich die Religion und eine Menge anderer Dinge nicht existieren." Dabei geht es in dem Roman vielmehr um ein Lebensgefühl, das etwa Jean-Paul Sartre in "Ekel" oder Albert Camus in "Der Fremde" beschrieb und später als Existentialismus zu einem Markenname für frustrierte Nachkriegsintellektuelle wurde, die in schwarzen Rollkragenpullovern gerne amerikanischen Jazz in irgendwelchen Kellerlokalen hörten.

Doch "La Noia" (deutsch: die Langeweile) ist vielmehr als das. Der Roman beschreibt das materiell gesicherte aber sinnentleerte Leben des jungen Dino, der sich gegen eine übermächtige Mutter wehrt, indem er eine hoffnungslose Beziehung zu Cecilia, einem Malermodell, aufnimmt. Die beiden begegnen sich in der Wohnung des verstorbenen Nachbars von Dino, Balestieri. Auch diesem stand Cecilia nicht nur als Model zur Verfügung. Balestieris Passion für Cecilia führte schließlich sogar so weit, dass er während eines Aktes mit ihr unter ihr verstarb. Kann man sich einen schöneren Tod wünschen? Auch Dino verfällt Cecilia zunehmend, denn zum Malen fehlt ihm das Talent und sonst findet er für sich keine andere Beschäftigung. Stattdessen versenkt er sich in ein Lebensgefühl, das er La Noia nennt und schreibt quasi eine eigene Schöpfungsgeschichte unter dem Aspekt der "Noia".

Flucht nach vorne

"Vor allem aber litt ich unter einer Art Lähmung aller meiner Fähigkeiten, so daß ich mir stumm, apathisch und dumpf vorkam, lebendig in mir selbst eingemauert – als befände ich mich in einem undurchdringlichen, erstickenden Gefängnis."  Die Noia selbst beschreibt er als Unfähigkeit zur Kommunikation, auch sein verstorbener Vater habe unter ihr gelitten, aber diese als Dromomanie ausgelebt: ein fröhliches Vagabundieren in der Welt. Dino hingegen versucht, durch seine Grausamkeit gegenüber Cecilia seine von der Langeweile unterbrochene Beziehung zur Welt wiederherzustellen. Cecilia bleibt selbst davon unbeeindruckt. Denn auch sie leidet unter Beziehungslosigkeit zur Welt, derselben Noia, die auch Dino plagt. Als Dino beginnt, Cecilia für ihre "Dienste" zu bezahlen, um sie damit zu "kaufen", ist ihr dies ebenso gleichgültig, wie wenn er mit ihr Schluss machen würde. "Vergangenheit und Zukunft existierten für sie nicht. Nur die unmittelbare Gegenwart, ja geradzu der flüchtige Augenblick war der Aufmerksamkeit wert." Doch dann entdeckt Dino, dass sie noch eine andere Affäre hat und beschließt, sich auf seine Weise zu rächen. Er will sie heiraten, um sie endgültig los zu werden. Denn erst dann würde er sie nicht mehr lieben. Aber was meint Cecilia dazu?

Alberto Moravia schreibt in einer gewinnenden, klaren Sprache, die einen tief eintauchen lässt in das Unterbewußte seines Protagonisten. Seine Dialoge sind pointiert und jedes Wort ist ein Schlagabtausch der Kommunikationslosigkeit der beiden Protagonisten. Neben der oben erwähnten Filmversion von 1963 gab es 1998 auch ein Remake von Cédric Kahn mit Charles Berling e Sophie Guillemin.


von Juergen Weber - 04. August 2020
La Noia
Alberto Moravia
Percy Eckstein (Übersetzung)
Wendla Lipsius (Übersetzung)
La Noia

Wagenbach 2020
Originalsprache: Italienisch
336 Seiten, broschiert
EAN 978-3803128287