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Inge Morath

Die Sprache ihrer Bilder

Inge Morath (1923-2002) war die erste Frau, die in der berühmten Photographengenossenschaft, der Fotografenagentur Magnum, Aufnahme gefunden hatte. Aus Anlass ihres 100. Geburtstags widmet der für Fotografie und Kunst renommierte Schirmer Mosel Verlag der in Graz geborenen Fotografin die vorliegende Hommage in Form einer 280-seitigen Retrospektive. Zudem enthält das Buch einen autobiographischen Text und ein Vorwort von Rebecca Miller, der Tochter Inge Moraths. Eine große Morath-Retrospektive im Münchner Kunstfoyer zeigt Originale.

"Ein Lama am Times Square"

In Graz geboren, aber in Darmstadt und Berlin aufgewachsen, erlernte sie die Photographie bei Ernst Haas in Wien, bei Simon Guttman in London und bei Henri Cartier-Bresson in Paris. Robert Capa holte sie 1955 zu Magnum. Die Kosmopolitin aus der Steiermark sprach fünf Sprachen, darunter Russisch und Mandarin, und hatte Umgang mit den Intellektuellen und Künstlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie produzierte Fotoreportagen aus Europa, Afrika, dem Mittleren Osten, Russland und China. Ikonisch geworden sind u. a. die Bilder "Ein Lama am Times Square" (1957) oder Still-Photos aus "Misfits", des letzten Filmes der kurz darauf verstorbenen Marilyn Monroe. Aber sie "schoss" auch auf Andy Warhol, Anthony Perkins, Yves Montand oder Pablo Picasso und Arthur Miller und verewigte damit geteilte Momente, die in die Foto- und private Geschichte eingingen. Nach der Scheidung von Marilyn Monroe und Arthur Miller heiratete Inge Morath den Dramatiker, der auch die Vorlage zu "Misfits" geliefert hatte. Sie blieben bis zu ihrem Tod 2002 ein Ehepaar. Die Tochter aus dieser Ehe, Rebecca Miller, schrieb für die vorliegende Hommage auch einen Geburtstagsgruß an ihre Mutter. Der Haupttext der deutsch-englischen Begleitpublikation zur großen Retrospektive in München ist aber eine autobiographische Rede, die sie 1994 in Berlin hielt.

Eine Kosmopolitin, die teilt

Ihr Verdienst als Fotografin lag vor allem darin, dass sie das fotografierte, was sie sah: "ein Auge aufs Motiv gerichtet, das andere auf die eigene Seele", so ihre eigenen Worte. Durch ihre zahlreichen Reisen in damals noch sehr schwer zugängliche und politisch isolierte Länder erlaubte sie es auch den Betrachtern ihrer Bilder, risikolos einen Einblick in unbekannte Welten zu wagen. Inge Morath zeigte schon sehr früh Porträts von Menschen, Alltagsszenen und Landschaftsaufnahmen aus dem Leben im Nahen Osten, in Russland und China, in Afrika und Südasien, aber auch in viele Regionen Europas und ins ländliche Amerika. "Ich hatte nach dem Krieg oft unter der Tatsache gelitten, dass Deutsch meine Muttersprache, für den Großteil der Welt die Sprache des Feindes war. Obwohl ich Artikel auch auf Englisch und Französisch schreiben konnte, trafen sie nicht den Kern. So war die Zuwendung zum Bild eine Notwendigkeit und eine Erleichterung.", schrieb Inge Morath in ihrer Autobiographie "Das Leben einer Photographin" (1999). Ihr Lebenslauf zeigt, dass ihre Sprache - egal welcher sprachlichen Provenienz der Betrachter zugehört - auf der ganzen Welt verstanden wurde: die Sprache ihrer Bilder. Ein paar Einblicke auf ausgewählte Fotos in vorliegendem Bildband - als Vorgeschmack auf den Katalog - gewährt auch der Artikel zur Kunstfoyer-Ausstellung in der Süddeutschen. Magnum wiederum ehrt die Fotografin mit einem Text auf der Homepage der Vereinigung.


von Juergen Weber - 29. Januar 2023
Inge Morath
Isabel Siben (Hrsg.)
Anna-Patricia Kahn (Hrsg.)
Inge Morath

Hommage
Schirmer/Mosel 2023
280 Seiten, gebunden
EAN 978-3829609722