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Christian Wipperfürth: Russlands Außenpolitik

Russlands Handlungsmotive in der Aussenpolitik der jüngsten Zeit

Der deutsche Politologe und anerkannte Russland-Experte Christian Wipperfürth präsentiert mit "Russlands Außenpolitik" eine konzentrierte, reichhaltige, chronologisch gegliederte Darstellung der russischen Aussenpolitik vom Zerfall der Sowjetunion 1991 bis Anfang 2011 in ihrer zeitlichen Dynamik. Im Mittelpunkt steht dabei die Zeit nach der Jahrtausendwende.

Der Autor verwendet für seine 151-seitige Analyse Faktoren wie die Soft- und Hardpower Russlands. Unter "Softpower" versteht sich die Einflussnahme in den internationalen Beziehungen als Vorbild oder moralische Autorität auf Grundlage kultureller Attraktivität, der Ideologie und auch mit Hilfe Internationaler Institutionen. "Hardpower" setzt hingegen die quantifizierbaren Ressourcen wie Bevölkerungsgrösse, Wirtschafts- und Militärstärke voraus. Deshalb untersucht Christian Wipperfürth eingehend die gesellschaftliche Situation und Handlungsfähigkeit Russlands und berücksichtigt dabei die Bedeutung und Auswirkung der innenpolitischen Kräfte sowie die Eigenheiten der Geschichte, Geographie bzw. sozialen Ordnung Russlands. Denn manchen "harten Worten und Handlungen der russischen Führung liegen eher innenpolitische Motive als aussenpolitisches Kalkül zugrunde". Der Autor wertet für seine Analyse mehrere Faktoren wie verschiedene Aspekte der wirtschaftlichen Situation, den Zustand der Streitkräfte oder die Weltanschauung aus. Auch Ergebnisse aus Meinungsumfragen werden herangezogen. Die Analyse wird mit zahlreichen übersichtlichen Tabellen, Grafiken und Karten untermauert.

Wipperfürth analysiert die Beziehungen Russlands zu nahen (GUS-Länder) und fernen Nachbarn, wobei die euro-atlantische Welt im Mittelpunkt seiner Arbeit steht. Der Westen sei jahrelang in kaum einer anderen Frage so gespalten gewesen wie in seiner Haltung zu Russland, hält der Autor fest. Dabei sei ein Einvernehmen mit dem Westen nicht nur für eine Modernisierung der russischen Wirtschaft unabdingbar, sondern auch, um innerhalb Europas nicht in Isolation zu geraten. Ein zentrales Ziel russischer Aussenpolitik war und ist die Fähigkeit, wieder als Grossmacht agieren zu können. Dabei vertritt der Autor den positiven Standpunkt, dass Russland grundsätzlich an kooperativen Beziehungen interessiert ist: vor allem zur euro-atlantischen Welt, aber auch zu seinen östlichen Nachbarn, hauptsächlich zu China.

In diesem Buch wird die russische Politik weniger aus dem Standpunkt des äusseren Beobachters, als eher aus der russischen Position heraus zu deuten versucht. Dieses Herangehen ermöglicht dem Autor tiefere Einsichten in die Motive und Hintergründe russischen Vorgehens.

Christian Wipperfürth wagt auch einen Einblick in die Zukunft - unter Vorbehalt unwahrscheinlicher oder unvorhersehbarer Ereignisse. Dabei bleibt seine Analyse ausgewogen: Der Leser finden sowohl Positiv- als auch Negativszenarien für mögliche Entwicklungen der russischen Aussenpolitik. Eines davon lautet, dass es, in Anbetracht der wachsenden Macht Chinas, "im dritten oder vierten Jahrzehnt zu einer russisch-westlichen Schicksalsgemeinschaft" kommen könnte.


von Alexander Schrepfer - 10. März 2012
Russlands Außenpolitik
Christian Wipperfürth
Russlands Außenpolitik

Springer VS 2011
151 Seiten, broschiert
EAN 978-3531160207