Wie weiter in der Zypern-Frage?
Christina Wendt weist in ihrer an der Humboldt Universität Berlin vorgelegten Dissertation eindrücklich darauf hin, dass der Zypern-Konflikt nicht erst 1974 mit der türkischen Eroberung des Nordens der Insel begann; die griechischen Zyprioten "haben über viele Jahre ein Bild in die Welt hinausgetragen, das sie als die Opfer einer dramatischen Katastrophe, der türkischen Invasion 1974, darstellte" (S. 15). Doch nur drei Jahre nach der Unabhängigkeit Zyperns von der britischen Kolonialherrschaft 1960 war die junge Republik bereits in der Krise. "Das Leben der türkisch zypriotischen Bevölkerungsminderheit war zwischen 1963 und 1974 gekennzeichnet durch den Rückzug in Enklaven und Bedrohung, ausgehend von paramilitärischen Kräften der griechischen Zyprioten" (S. 16). Ab 1963 wurde das Leben der türkischen Zyprioten zunehmend unerträglich und auch die Stationierung von UN-Friedenstruppen 1964 konnte ihnen Sicherheit für Leib und Leben nicht gewährleisten. Erst nachdem sich mit griechischer Unterstützung eine nationalistische Übergangsregierung blutig an die Macht geputscht hatte, die zypriotische Nationalgarde fünf Tage lang gegen türkische Zyprioten wütete und auf der Insel ein absolutes Chaos herrschte, marschierten türkische Truppen ein und setzten mit diesem Schritt auch den Kämpfen innerhalb der griechisch-zypriotischen Gemeinschaft ein Ende. Letztlich hat, wie Erzbischof Makarios 1977 kurz vor seinem Tode zugab, das Streben der griechischen Zyprioten nach Enosis, dem Anschluss Zyperns an Griechenland, die Republik Zypern zerstört.
Nach einem Abriss der Geschichte Zyperns und politiktheoretischen Erläuterungen zum Thema Föderalismus und Föderation stellt die Autorin die verschiedenen Versionen des Annan-Planes zur Überwindung der Teilung Zyperns detailliert dar. Den negativen Ausgang des Referendums auf griechisch-zypriotischer Seite führt sie in erster Linie auf die ablehnende Haltung der Regierung, die von ihr durchgeführte negative Propaganda und die unzureichende Information der Bevölkerung der Republik Zypern hinsichtlich der Einzelheiten des Planes zurück. Denn der Haupteinwand gegen den UN-Plan, dass nämlich nicht alle aus dem Norden vertriebenen griechischen Zyprioten hätten in ihre alte Heimat zurückkehren können, verliert an Schlagkraft, wenn man bedenkt, dass immerhin zwei Drittel doch hätten umsiedeln können. Andererseits wären etwa ein Viertel aller in Nordzypern lebenden türkischen Zyprioten umgesiedelt worden, manche von ihnen also zum dritten Mal in ihrem Leben.
Aber auch wirtschaftliche Interessen der Hotelbesitzer im Süden, welche die Konkurrenz des Nordens fürchteten, mögen zur Ablehnung der Vereinigung beigetragen haben. "Im politischen Diskurs nahm die anstehende EU-Aufnahme scheinbar einen wichtigeren Stellenwert ein als die Lösung des Zypern-Problems." (S. 174) Erstaunliches Ergebnis einer von Wendt durchgeführten Befragung ist, dass nur knapp 13% der griechischen Zyprioten, die gegen den UN-Plan eingestellt waren, als Alternative den Status quo erhalten wollten.
Unter der Drohung Griechenlands, den gesamten Erweiterungsprozess der Europäischen Union zu blockieren, nahm die EU die Republik Zypern auf, ohne dass der Zypernkonflikt gelöst worden wäre. Doch dadurch nahm man Anreiz und Druck zur Lösung des Problems von den griechischen Zyprioten. Umgekehrt blockiert Zypern nun die Aufhebung der Sanktionen gegen den türkischen Nordteil der Insel, dem dadurch jede Möglichkeit genommen ist, aus eigener Kraft seine Situation zu verändern. Nordzypern wurde nach Meinung der Autorin inzwischen von der Türkei regelrecht "kolonisiert"; durch die türkische Ansiedlungspolitik sind die türkischen Zyprioten inzwischen erneut zur Minderheit geworden. Die türkischen Immigranten - anatolische Bauern und türkisches Militär - unterscheiden sich kulturell erheblich von den Zyprioten. Die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Abhängigkeit Nordzyperns von der Türkei infolge des langjährigen Embargos und die Bevormundung durch Ankara führten dazu, dass die türkisch-zypriotische Kultur ausgelöscht zu werden droht, was bisweilen als "unblutige ethnische Säuberung" bezeichnet wird (S. 254). Aufschlussreich sind die Ergebnisse der Befragung Wendts, wonach sich unter den griechischen Zyprioten fast 40% in erster Linie als Zyprioten, weitere rund 30% als "griechische Zyprioten" definieren. Bei den türkischen Zyprioten ist die Identität mit 53% stärker auf "türkischer Zypriot" ausgerichtet. Dagegen spielt die Religion im Alltag bei den Griechisch-Orthodoxen eine wesentlich größere Rolle als bei den zyprischen Muslimen, von denen 57% die Religion als im Alltag unwichtig bezeichnen. Das gilt allerdings nicht für die türkischen Siedler, die im Gegenteil sehr religiös sind.
Stilistisch etwas störend an diesem Buch sind die sehr langen und zahlreichen Originalzitate aus der englischsprachigen, politikwissenschaftlichen Fachliteratur, was bisweilen zu englisch-deutschem Kauderwelsch führt. Interessant ist, dass es den Zypern-Konflikt von einer in Europa eher seltenen Perspektive aus beleuchtet, da hier die griechisch-zypriotische Deutung dominiert.
Wendt kommt hinsichtlich einer möglichen Lösung des Zypern-Problems zu einem vor diesem Hintergrund überraschenden Schluss: Sie gibt die Schuld für die gescheiterte Wiedervereinigung Zyperns den griechischen Zyprioten, welche dazu immer noch nicht bereit seien. Die türkischen Zyprioten hingegen waren zu Kompromissen bereit, können aber ihre Lage kaum beeinflussen. Folglich müsse die Europäische Union und die internationale Staatengemeinschaft ihnen die ihnen zustehenden Rechte zukommen lassen, den Boykott Nordzyperns aufheben, ja Nordzypern sogar als eigenen Staat anerkennen. Auf diese Weise könne den griechischen Zyprioten, die an einer Lösung des Problems nicht mehr ernsthaft interessiert sind, ihre ungeklärte Lage vor Augen geführt und Druck zur Kompromissbereitschaft erzeugt werden. Für eine baldige Wiedervereinigung sieht die Autorin derzeit keine Chance, weil es an dem dafür notwendigen Vertrauen fehle. Eine vorübergehende Zweistaatlichkeit sei deshalb der geeignete Weg, um auf lange Sicht eine Lösung in Form einer Föderation herbeizuführen. Der Annäherung zwischen beiden Teilen Zyperns muss Zeit gegeben werden; und beide Teile müssen sich auf gleicher Augenhöhe begegnen können, also als Staaten, und nicht so wie bisher als Republik auf der einen Seite und von der Türkei abhängiges und gesteuertes Land mit ungeklärtem Status auf der anderen: "Separierung als Vorstufe zur Wiedervereinigung" (S. 298).
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