Die Institution Zivildienst im Wandel
Wenn junge Menschen heute Post vom zuständigen Kreiswehrersatzamt bekommen und sich der Musterung für den bevorstehenden Wehr- oder Zivildienst unterziehen müssen, dann ist das nur mehr der Auftakt eines normalen bürokratischen Vorgangs unter vielen. Ein kurzer Gesundheitscheck, eine knackig formulierte Verweigerungsbegründung und schon kann es mit dem zivilen Ersatzdienst losgehen. Dem war nicht immer so. Als 1962 die gesetzliche Möglichkeit geschaffen wurde, statt dem Dienst an der Waffe den Dienst an der Gesellschaft zu leisten, war dies mit zahlreichen Hürden und z.T. Demütigungen verbunden. Patrick Bernhard zeigt in seiner Dissertation, wie zum einen die bundesdeutsche Institution Zivildienst entstand und wie sie sich im Lauf der Jahre bis 1982 veränderte. Leitfrage seiner Untersuchung, die aus dem Projekt "Reform und Revolte. Die Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren" des Instituts für Zeitgeschichte hervorgeht, ist, welchen Einfluss die "68er" auf die Veränderungen innerhalb der institutionellen Ausformung des zivilen Ersatzdienstes hatten. Waren die Veränderungen Ergebnis der Bemühungen der "68er"?
Seit dem Jahr 1960 - als der Bundestag das Gesetz über die Schaffung des zivilen Ersatzdienstes erließ - stieg die Zahl der Wehrverweigerer sehr langsam aber kontinuierlich an. Mit dem Aufkommen der Studentenunruhen in der Bundesrepublik kam es zu einem rasanten Anstieg der Anträge, was wiederum den Reformdruck erhöhte, die Rahmenbedingungen - also Unterbringung der Zivildienstleistenden und Angebot der Stellen - zu verbessern. Hauptreformbestrebung war allerdings die Praxis des Anerkennungsverfahrens. Während sich in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Modernisierungsbewegungen erkennen ließen, mussten sich angehende Wehrverweigerer einer z.T. inquisitorischen Gewissensprüfung unterziehen, die nicht nur von Demütigungen, sondern auch von purer Willkür gekennzeichnet war. All das passte nicht ins Bild einer modernen und zunehmend offener werdenden Gesellschaft. Allerdings sollte es bis ins Jahr 1984 dauern, ehe die Gewissensprüfung gänzlich abgeschafft wurde.
Die Studentenrevolte von 1968 hatte, um wieder die Leitfrage von Bernhards Untersuchung aufzugreifen, auf die "Wandlungsprozesse im Zivildienst" (S. 403) folgende Effekte: Zum einen wirkte sie als Katalysator bei der Veränderung des Sozialprofils der Kriegsdienstverweigerer. Zwar war schon vor dem Einsetzen der Bewegung der Anteil von Abiturientinnen und Abiturienten höher als im Bundesdurchschnitt. "Die "68er"-Bewegung hat diesen Trend [...] leicht beschleunigt" (S. 403). Zum anderen waren die Verweigerungsbeweggründe überwiegend ethisch-moralischer Natur. Politische Motive nahmen hier nur eine mittlere Position ein. Patrick Bernhard schlussfolgert nach sorgsamer Quellen- und Literaturlektüre, dass "die "68er"-Studentenbewegung [...] nicht als eigentlicher Auslöser für den drastischen Anstieg der Verweigererzahlen" verantwortlich gemacht werden kann (S. 404). Hier ist der einsetzende Wertewandel ein Erklärungsmotiv, der von Helmut Klages diagnostiziert wurde.
Patrick Bernhard ist es in seiner vorzüglichen und gut lesbaren Studie gelungen, deutlich zu machen, dass die Studentenbewegung nicht Auslöser von Reformprozessen war, sondern es schon vor ihrem Einsetzen in der Bevölkerung einen breiten Willen zu Veränderungen gegeben hat, die nur von den "68ern" beschleunigt wurden. Die Studenten waren mehr "Bewegte als selbst Beweger in einer Zeit im Aufbruch" (S. 415).
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