Die Schönheit der Dichtung
Gedichtbände können sehr besondere Kompositionen sein, bewundernswert, mit kunstvoll zueinander gefügten Versen, ein feines, oft schwebend anmutendes Gewebe. Zugleich bergen Gedichte Rätsel, machen nachdenklich oder zeigen sich als ein unwegsames Gelände. Eleni Kefala greift Momente verschiedener Epochen auf und fügt sie lyrisch in eine Sammlung von Gedichten, die philosophische Impressionen ebenso enthält wie zarte Betrachtungen über Mensch, Natur und Zeit.
Kefala sinniert über das „Nachhausegehen“, begibt sich zurück auf eine Reise in die Erinnerung, in die Schulzeit. Die Einlasspforte des Schulhauses wird gegenwärtig, der Schatten der Tür erinnert daran. Oft wird Schule noch heute als die wichtigste Institution für das Leben eines Kindes angesehen. Ist das tatsächlich so? Kefala verbleibt bei der Wahrnehmung, sie spricht von den Schatten, und hinaustrat, der wusste, die Zeit war gekommen, nach Hause zu gehen. Wie immer, doch, so scheint es, suchen auch Kinder diesen Weg. Manche freuen sich bereits, wenn sie morgens die Tür durchschreiten, dass sie sich nach etlichen Stunden, die nicht immer vergnüglich oder auch bereichernd sind, aus der Kälte dieser Einrichtung in die Geborgenheit des Zuhauses zurückbegeben. Eleni Kefala schreibt davon, wertet nicht, berichtet bloß, sanft, dichtend, Verse schreibend, „um den langen Lauf der Zeit / zu besänftigen“. Gelingt das? Es wäre der Leserschaft sehr zu wünschen, wenn sie in Dichtungen wie dieser auch Heimat finden könnten. Möglicherweise wäre es ein zu hoher Anspruch, „die Ewigkeit“ zu entdecken – und Philosophen oder Theologen, die es auch nicht wissen, mögen davon berichten. Kefala stellt die Ewigkeit als ein „würfelndes Kind“ vor. Passt dieses Bild? Das ist schwer zu sagen, aber die eingeübten Denkmodelle werden auf einmal mit einer neuen Anschauung konfrontiert, mit der Ewigkeit, die als spielendes Kind erscheint, verletzlich, unbeschwert und heiter. Wir wissen von einem „Kind“, das „immer König“ ist, und spielend erschafft es eine Welt für sich.
Fragen entdecken wir in diesen Gedichten, etwa: „Wo bist du jetzt / hinter welcher Stille versteckst du dich?“ Fühlt sich der Leser angesprochen? Möglicherweise schaut die Leserschaft nun auf das eigene Leben, denkt sich leichthin: Ich bin doch hier, aber verstecke ich mich? Ganz konkret verbirgt sich der Leser auch hinter oder in einem Buch, nämlich in diesem Gedichtband, ganz vertieft, sinnierend, gedankenvoll beschäftigt, inmitten der Stille, die zum Lesen untrennbar dazugehört. Es ist ausnehmend schön, sich hinter Büchern zu verbergen – und auch hier aus der Welt der Lektüren wieder neu aufzutauchen, mit neuen Wahrnehmungen und Sehweisen.
Was ist Dichtung? Eleni Kefala schreibt: „Dichtung ist kein Trost, sie ist kein Lied der Freude und der Trauer, sie ist kein Zufluchtsort im Mund eines Blinden, sie ist kein Museum. Dichtung ist kein Almanach der Bedeutungen, der im Regal neben den Klassikern steht, und auch keine Schönheit, die in einem Raum mit Spiegeln und halbverbrannten Holzscheiten lauert. Dichtung ist kein Meer, auch kein Schiffbruch, keine feste Erde, keine Karte und kein Kompass.“ Doch was ist Dichtung dann? Vielleicht ist Dichtung ein Schritt ins Freie, ins Offene hinaus, zudem auch Kefalas Gedichte einladen: „Dichtung ist“. Dieser Satz bleibt unvollendet, alle Leserinnen und Leser, die dankbar sein werden für diesen kostbaren, schönen Gedichtband, mögen für sich die passenden Worte finden oder einfach die Offenheit stehenlassen. Dichtung ist – niemand muss, niemand kann verbindlich festlegen, was ihr Wesen ausmacht, was sie ist oder nicht. Dichtung ist – und das genügt.

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