Karl Rahner: Würde mir Gott fehlen?

Bilder der Hoffnung

Über das Leben im Glauben und über Anfechtung, Zweifel und Unglaube hat Karl Rahner, der von 1904 bis 1984 lebte und zu den bedeutendsten katholischen Theologen aus Deutschland im 20. Jahrhundert gehörte, nachgedacht. Mit der Gottesfrage hat er gerungen, in Vorlesungen, Seminaren und Vorträgen, im Gebet, in Predigten und im stillen Kämmerlein. Andreas Batlogg und Peter Suchla haben Rahners Gedanken und Reflexionen für unser Heute ausgewählt, neu herausgegeben und publiziert – in einer Zeit, in der in der katholischen Kirche in Deutschland zwar viel von strukturellen Reformabsichten, selten aber von Gott die Rede ist.

Gott sei, so Karl Rahner, ein "dunkles Wort". Wer Gott verfügbar machen möchte, bekommt ihn nicht zu fassen. Das "dunkle Wort" begleite auch Menschen, bei denen die "Vokabel" Gott sonst nicht vorkomme. Mit diesem Wort sei "ungeheuerlicher Unfug" getrieben worden, in der Kirchengeschichte, mehr noch in Politik und Zeitgeschichte. Er könne den "Ärger" und die "Gereiztheit" verstehen, doch Rahner bekennt sich freimütig zu dem "ewigen Geheimnis". Sowohl auf den "Märkten des Alltags" als auch in den "Hörsälen der Universitäten" werde viel geredet, vieles Lässliche, manches Lästige, vieles Nichtige. Rahner erinnert an das Schweigen. Wer innehalte und schweige, spüre, wie die Summe aller Einzelfragen und mehr noch aller Meinungen zurücktritt, während das "unendliche Geheimnis" spürbar werde oder werden könne. Der Jesuit spricht von einer "ungeheuren" Erfahrung: "Ich kann auf dieses alles umfassende, alles tragende und durchdringende, alles distanzierende und doch für sich einnehmende Geheimnis zugehen, ich kann es anreden, ich kann beten."

Einige sehen heute Rituale gläubiger Menschen und zugleich nicht mehr als eine bunte Feier. Suchende fragen nach Gott und hören in der Kirche oft nur von binnenkirchlichen Programmen und Streitigkeiten.

Hoffnungsvoll spricht Karl Rahner, doch bleibt nicht auch denkbar, denkmöglich, dass ein anderer Mensch die Stille erlebt und nichts spürt? Mag nicht doch die Dunkelheit für den Einzelnen größer sein und ihn weiter seine Einsamkeit spüren lassen? Mancher möchte glauben, möchte beten können – und kann nicht, weil ihm ein redlicher Glaube versagt bleibt. Einige sehen heute Rituale gläubiger Menschen und zugleich nicht mehr als eine bunte Feier. Suchende fragen nach Gott und hören in der Kirche oft nur von binnenkirchlichen Programmen und Streitigkeiten. Karl Rahner sagt, dem Christen sei es "verboten", sich "mit weniger als der Fülle Gottes zu begnügen". Er dürfe und könne im Endlichen nicht glücklich sein. Seine Bestimmung findet der Mensch in Gottes großer Weite, vor dem Horizont, der so viel weiter reicht als die Frömmsten vielleicht denken mögen. Rahner spricht den Leser an: "Du wirst sterben, und dein Tod wird deine ganze Existenz und auch die Theorie, die du darüber machst, treffen; ist es da nicht einzig sinnvoll, mit Jesus in seinen Tod hineinzusterben (und daraufhin jetzt mit ihm zu leben)? Ich sage mir: Ist das zusammen nicht eigentlich schon das Christentum?" Die Vergänglichkeit umgibt uns, wohnt uns inne. Rahner wirbt für das Angebot des Glaubens. Richtig scheint, an die Nichtigkeit unserer philosophischen Theorien, persönlichen Meinungen und Ansichten zu erinnern. Wir bilden Theorien, aber wir könnten und können auch als gläubige Menschen leben. Verkürzt Rahner so das Christentum? Oder zeigt er die eigentliche Weite des Glaubens und dessen Schönheit? Der Theologe nimmt dem Leser die Entscheidung nicht ab. Der christliche Glaube ist aber keine Theorie, sondern die Bindung an eine Person, an Jesus Christus. Was wir wissen, so sagt Rahner eindeutig: Wir werden sterben. Wem das mitten im Leben nicht bewusst ist, der mag noch so viel wissen und weiß doch so wenig.

Der Jesuit spricht sodann von der Liebe zwischen Menschen, die kein "Egoismus zu zweit", sondern "wirklich den anderen meinen, wirklich ihn an sich und in sich selbst, nicht aber seine Bedeutung für den Liebenden selbst" sein solle. Der Liebende denkt nicht an sich, die geschenkte Liebe sei das "uneinklagbare Wunder". Das "Geheimnis der heilschaffenden Liebe" trage den Menschen in das "bergende Geheimnis Gottes" fort – und die Liebe zu Gott sei die "selige Nutzlosigkeit", die unbeschwert kindliche Freude des Glauben-Dürfens. Rahner denkt, dass der Mensch, der keinen Gott habe, "in dessen Unbegreiflichkeit er sich willig hineinfallen lassen kann", unausweichlich unter die "Herrschaft partikulärer Götzen" gerate. Dazu gehören intellektueller Hochmut, rationale Kalkulation, hedonistischer Daseinsgenuss und der "Stolz, alles machen zu können, das perfekte Funktionieren eines Systems".

"Man darf nichts einzelnes absolut setzen, auch sich selbst nicht … man muss in die weglose Unbegreiflichkeit hinauswandern ohne Furcht, sich zu verlaufen; man muss wirklich von sich wegkommen."

Rahner schreibt: "Man darf nichts einzelnes absolut setzen, auch sich selbst nicht … man muss in die weglose Unbegreiflichkeit hinauswandern ohne Furcht, sich zu verlaufen; man muss wirklich von sich wegkommen." Der letzte Gedanke zeigt uns, dass es nicht darauf ankommt, die eigenen Absichten zu verwirklichen, sondern sich von den Okkupationen und Willensbekundungen zu lösen. Es gebe Menschen, die "bloß wegen jenes Geheimnisvollen, Schweigenden, Unfassbaren, das wir Gott und seinen Willen nennen", gehorchen, die nicht sich zu profilieren versuchen, sondern ein besonderes Profil haben, die nicht den herkömmlichen Rollenbildern entsprechen können und müssen, die auf ihre Weise auch für die Welt ein Geheimnis sind. Karl Rahner wählt ein hoffnungsvolles Bild, das vielleicht vielen Menschen im Alltag heute auch noch Orientierung schenken kann. Er berichtet nicht vom großen Martyrium oder von Heiligen, sondern von einem Zeitgenossen, der uns so ähnlich sein könnte: "Da ist einer, der merkt plötzlich, wie das kleine Rinnsal seines Lebens sich durch die Wüste der Banalität des Daseins schlängelt, scheinbar ohne Ziel und mit der herzbeklemmenden Angst, gänzlich zu versickern. Und doch hoffe er, er weiß nicht wie, dass dieses Rinnsal die unendliche Weite des Meeres findet, auch wenn es ihm noch verdeckt ist durch die grauen Dünen, die sich vor ihm scheinbar unendlich auszubreiten scheinen." Vielleicht kennen auch Sie diese Erfahrung, die Karl Rahner hier beschreibt? Dieses schmale Buch schenkt Bilder der Hoffnung und des Trostes.

Würde mir Gott fehlen?
Peter Suchla (Hrsg.)
Würde mir Gott fehlen?
96 Seiten, gebunden
EAN 978-3786733164

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