Methodologische Monokultur in der politischen Ökonomie
Das Zustandekommen wirtschaftspolitischer Entscheidungen ist das Thema dieses Lehrbuchs. Damit folgt Hans Peter Grüner, Professor für Wirtschaftspolitik an der Uni Mannheim, der modernen Sichtweise, welche Wirtschaftspolitik vor allem als Ergebnis der Einflussnahme von Interessengruppen begreift. Nach einem knappen Einführungskapitel in die zwei grundlegenden Sichtweisen der Wirtschaftspolitik gliedert sich das Buch in drei Teile.
Teil I "Allokationstheoretische Grundlagen" referiert zuerst die Ziele staatlicher Wirtschaftspolitik und setzt sich dabei mit Effizienz, Gerechtigkeit, Freiheit und den Unterzielen der Wirtschaftspolitik in einer Marktwirtschaft auseinander. Das anschließende Kapitel gibt einen Überblick über einige grundlegende theoretische Erkenntnisse zu der Frage nach dem angemessenen Ausmaß staatlicher Eingriffe in das Marktgeschehen. Im Mittelpunkt stehen die Theorie des "Mechanism Design", die allgemeine Gleichgewichtstheorie und mögliche Ursachen des Marktversagens.
Teil II "Grundlagen der politischen Ökonomie" befasst sich mit der Frage, warum in einer Demokratie bestimmte wirtschaftspolitische Entscheidungen getroffen werden. Zunächst werden grundlegende formale Modelle demokratischer Entscheidungsprozesse behandelt. Danach liegt ein Schwerpunkt der politisch-ökonomischen Analyse auf Theorien, die das Zustandekommen oder das Scheitern von Reformen untersuchen. Des Weiteren werden theoretische Modelle der politischen Einflussnahme von Interessengruppen behandelt.
Teil III "Spezielle Bereiche der Wirtschaftspolitik" stellt Anwendungen der politökonomischen Grundmodelle auf wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen vor. Im Hinblick auf die Politik öffentlicher Einnahmen und Ausgaben geht es z. B. um die Größe des öffentlichen Sektors bei der Bereitstellung eines öffentlichen Gutes und bei der Einkommensumverteilung, um die Grenzen der Umverteilung von Kapital sowie vor allem um Fragen zur Staatsverschuldung. Die weiteren Ausführungen widmen sich ausgewählten Themenstellungen der Wachstums- und Geldpolitik sowie der Finanzsystemstabilität, Arbeitsmarkt- und Wettbewerbspolitik.
Schon in der sechsten Auflage wurde der Abschnitt über Finanzstabilität deutlich erweitert, erhielt ein Modell zur Fristentransformation und Bank Runs und führte auf dieser Basis in regulatorische Fragen ein. Nach einigen Verbesserungen und detaillierteren Erklärungen in der 7. Auflage enthält die vorliegende 8. Auflage einige Erweiterungen und weitere Verbesserungen. Im Vorwort weist der Verfasser darauf hin, dass der Text einen Zugang zur theoretischen Forschung über das Zustandekommen wirtschaftspolitischer Entscheidungen vermittelt. Des Weiteren wird vermerkt, dass zum Verständnis dieses Buches der Besuch der Einführungsveranstaltungen in Mikro- und Makroökonomie oder die Lektüre entsprechender einführender Lehrbücher notwendig sowie Vorkenntnisse der Spieltheorie sehr nützlich sind. Für diejenige studentische Zielgruppe, welche die genannten Voraussetzungen erfüllt und an allokationspolitischen Grundlagen sowie an formalisierten bzw. mathematischen Modellen der politisch-ökonomischen Analysen interessiert ist, dürfte die Lektüre dieses Buches zur vorlesungsbegleitenden Ergänzung und Vertiefung in der Tat durchaus zu empfehlen sein.
Als einführendes Lehrbuch in die Wirtschaftspolitik ist jedoch dieses Werk für Studenten wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge, geschweige denn für interessierte Laien, nicht geeignet. Man kann sich beim Studium des Textes, nicht zuletzt auch angesichts des Tenors etlicher im Buch enthaltenen Übungsaufgaben, des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die politische Ökonomie zu einer methodologischen Monokultur entwickelt wird, bei der die Eleganz der mathematischen Modelle den Vorrang über die praktische Relevanz und Empirie einnimmt. Wer immer versucht, durch die Lektüre dieses Lehrbuchs und ohne einschlägige Vorkenntnisse aktuelle wirtschaftspolitische Entwicklungen und Problemstellungen zu verstehen – etwa im Hinblick auf die nicht wenig umstrittene Zinspolitik der EZB der letzten Jahre oder bezüglich der schier endlosen Schuldenspirale kränkelnder Euro-Staaten oder des Wiedererstarkens protektionistischer Verhaltensweisen – wird das Buch sehr schnell enttäuscht zur Seite legen. Dies ist schon deshalb zu bedauern, als dass der Verfasser in anderen Beiträgen durchaus mit klaren und gut nachvollziehbaren Argumenten zu wichtigen und aktuellen geld- bzw. finanzpolitischen Fragen, etwa zu den umweltpolitisch motivierten Bondkäufen der EZB oder zur Einrichtung eines schuldenfinanzierten Staatsfonds zur Finanzierung der Altersvorsorge, regelmäßig Stellung nimmt.
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