Die Aufzeichnungen eines Breslauer Juden
Dass sich manche Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit des "Dritten Reichs" erhalten haben, gerade wenn diese von einem Juden verfasst worden sind, der 1941 ins KZ deportiert und dort ermordet wurde, grenzt bisweilen an ein Wunder. Die beinahe täglichen Aufzeichnungen des Breslauer Juden und Historikers Willy Cohn sind solch ein Beispiel. Norbert Conrads, emeritierter Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit in Stuttgart und ausgewiesener Kenner der schlesischen Geschichte, hat nun die Tagebücher Cohns in zwei Bänden herausgebracht. Sorgsam ausgewählt und mit sachlichen Anmerkungen versehen, stellen sie eine wichtige Quelle nicht nur zur Geschichte des Breslauer Judentums dar, sondern veranschaulichen einmal mehr den langsamen aber immer drastischeren Weg der Isolation und schließlich Ermordung der Juden in Deutschland.
Cohn, bis zu seiner Zwangspensionierung im Frühjahr 1933 Studienrat an einem Breslauer Gymnasium, war Vater von fünf Kindern, aktiv praktizierender orthodoxer Jude und in der jüdischen Gemeinde Breslaus hoch angesehen. Nach seiner Zwangspensionierung suchte Cohn Zuflucht im Wissenschaftsbetrieb, in dem er zahlreiche Vorträge hielt, Artikel für die jüdische Presse schrieb sowie an mehreren Aufsätzen über jüdische Gemeinden in Deutschland arbeitete. In der Dombibliothek und im Diozösanarchiv fand Willy Cohn die Möglichkeit, auch nach den umfangreichen Verboten für Juden sich beruflich zu betätigen, weiterhin beinahe ungestört zu arbeiten. Dennoch verschärfte sich die Lage für Cohn zusehends. Die Möglichkeiten der Publikation wurden immer mehr eingeschränkt. Der Zugang zu Bibliotheken und Archiven meist verwehrt. Dadurch spitzte sich die finanzielle Situation im Hause Cohns weiter zu.
Die Tagebücher von Willy Cohn zeigen eindringlich nicht nur die Alltagssituation des Breslauer Judentums und dessen Untergang, sondern auch wie Cohn trotz der zunehmenden Ausgrenzung an seiner konservativ patriotischen Einstellung gerade zur Außenpolitik des Dritten Reichs festhielt. So ging er konform mit den Zielen Hitlers, die "Ketten von Versailles" zu sprengen. Willy Cohn versuchte stets die guten Seiten des Regimes zu sehen und schrieb mehrmals, dass es für die Juden in Deutschland eine positive Zukunft gebe. Der Zusammenhalt der jüdischen Gemeinde Breslaus indes verstärkte sich nicht automatisch aufgrund der zunehmenden Verfolgung durch das NS-Regime. Zu verschieden waren u.a. die einzelnen Strömungen innerhalb der Gemeinde. Erschwert wurde der Zusammenhalt durch vermehrte Auswanderungen, die zu einer dramatischen Verkleinerung der jüdischen Gemeinde Breslaus führten.
Es ist Norbert Conrads Verdienst, dass die Tagebücher von Willy Cohn nun vorliegen. Er hat nicht nur dir richtige Auswahl getroffen, sondern auch für eine, allerdings nur für den Kenner der Geschichte des Nationalsozialismus, ausreichende Kommentierung gesorgt. Der Anhang mit wichtigen jiddischen Ausdrücken erleichtert die Lektüre ungemein. Vielleicht hätte eine Bibliographie der Publikationen Willy Cohns noch angefügt werden können. Der Wert der Tagebücher Cohns liegt zweifelsohne im intimen Einblick sowohl in die private Situation Cohns, als auch die Auswirkungen der Judenverfolgung auf die Breslauer jüdische Gemeinde.

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