Handeln mit Erinnerungen
"Aber was da glitzerte und glänzte, war keine der beiden Farben, sondern ihre Verwandlung, der Augenblick, in dem das eine zum anderen wurde", schreibt der in Wien gestrandete schwedische Autor Richard Swartz in seinem Buch über das Wiener Flohmarktleben. Eigentlich ist "Wiener Flohmarktleben" aber vor allem auch ein Buch über seine Kindheitserinnerungen an seinen Onkel Acke, den Kunstmaler, der für seine Fälschungen sogar ins Gefängnis musste. Geschickt verwebt der Autor die beiden Zeit- und Raumebenen - Wien jetzt und Schweden damals - zu einem Roman über das Erinnern. "Das wichtigste im Leben sei, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben", heißt es an einer anderen Stelle und schnell beginnt man zu verstehen, wie wichtig Erinnerungen im fortgeschrittenen Alter plötzlich werden: sie sind das Lebenselixier des Greisen.
Maria, hilf, Mariahilf!
In einer Art Zoom blendet Swartz von einem Gemälde, das in seiner Wiener Wohnung hängt, auf seine Kindheit in Schweden um, denn das Bild eines gewissen P. C. Ducray verbirgt eine lange Geschichte, die in Rückblenden erzählt, während sich im Hauptstrang der Handlung der Auctor mit einem russischen Juden aus Leningrad unterhält, der einen Stand am Wiener Flohmarkt in der Kettenbrückengasse unterhält. "Kratzer sind eines der sichtbarsten Zeichen für alte und echte Ware", denkt er sich, als er eine Kothgasser Porzellanvase in Händen hält, deren Ursprung für ihn genauso zweifelhaft ist, wie der Bezirk, in dem sich der Flohmarkt befindet: "Und der Niveauunterschied bestimmt den Charakter von Mariahilf: Wiens sechster Bezirk befindet sich buchstäblich auf der schiefen Ebene, stürzt sich von einer Anhöhe im Norden hinunter zu einem Fluß ohne Wasser im Süden, ein Stadtteil, der jederzeit zu kentern droht, bevölkert von sog. kleinen Leuten und einer großen Anzahl von verkrachten Existenzen einer Art, wie sie im Zentrum anderer europäischer Großstädte selten geworden ist."
Händler, Kunden und Sammler
Swartz spaziert durch das Viertel, in dem der Flohmarkt sich befindet und der Autor auch selbst wohnt, beschreibt die Stolpersteine und Deportationen der Juden, das kostenlose Wasser in Wien, das Mariahilf die Gesundheit koste, weil es überall eindringe und "eine unsichtbare Krankheit" sei, die sich überall einschliche, in das Gemäuer und in die Knochen seiner Bewohner. So wie die Fremdenfeindlichkeit, die vor allem von jenen Fremden selbst vertreten werde, um zu zeigen, dass man selbst ja assimiliert sei. "Nach fast vierzig Jahren bin ich immer noch ein Zugereister; trotz der langen Zeit hat sich daran nichts geändert", so der Autor zu seinem persönlichen Verhältnis zu Wien. Das spezielle an den Händlern des Wiener Flohmarktes sei, dass ihre "Großzügigkeit und Freundlichkeit erst dann auftrete, wenn die Ware beim Kunden und das Geld bei ihm gelandet ist", beobachtet Swartz nicht ohne kollaborative Sympathie. Die schlimmsten Kunden seien aber ohnehin die Sammler. Denn an einen Sammler verkauft zu haben, hinterlasse in einem Händler immer das Gefühl, betrogen worden zu sein.
Ein Buch über den Wiener Flohmarkt und über persönliche Erinnerungen, die sich allzu oft an materielle Gegenstände binden, weswegen man dann auch bereut, etwas verkauft zu haben. Nur die Sammler gewinnen etwas bei diesem Spiel, denn sie kaufen sich quasi eigene Erinnerungen und bekommen die fremden gratis dazu.
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