Zufall oder Fügung?
Der englische Originaltitel "Don’t look now" spielt ganz klar auf das "Sehen" an, das natürlich besonders beim Film eine wichtige Rolle spielt. Den Auftakt macht eine Regenpfütze in England, dann folgt ein Kameraschwenk in ein Kirchenfenster, ein kleines Mädchen, ein weißes Pferd, eine Schubkarre, der Bruder der Kleinen nähert sich auf einem Fahrrad. Die Spiegelung des roten Regenmantels der kleinen Christine wird parallel montiert mit einem Gespräch ihrer Eltern, in dem Laura (Julie Christie), die Mutter, ihrem Ehemann John Baxter (Donald Sutherland) erklärt, was sie im Lexikon zu finden glaubt: "Wenn die Erde rund ist, warum ist ein Teich dann flach?", die Frage ihrer Tochter Christine. John Baxter ist Restaurator und bald färbt sich das Kirchenfenster mit rotem Blut, da er sich schneidet und gleichzeitig passiert das schreckliche Unglück: seine Tochter ertrinkt im Teich ihres Gartens.
Sehen oder Das zweite Gesicht
Als die beiden aufgrund seines Berufes nach Venedig reisen, kommt als erstes die Kirche Santa Maria della Salute ins Bild, die mächtige achteckige Kirche von Palladio, am Eingang des Canal Grande, die eigentlich zum Mittelpunkt des Films hätte werden sollen. "Pietro è come tabacco", sagt John in passablem Italienisch, aber "mia moglie mi aspetta al ristorante". In eben jenem Restaurant begegnen dem Ehepaar dann die beiden Schwestern Wendy und Heather, die eine ist blind und kann "sehen", denn sie hat - ebenso wie John - "the gift". Das "Geschenk" oder "die Gabe" meint in diesem Fall, in die Zukunft sehen zu können, das "zweite Gesicht" oder auch "shining". Aber für diejenigen, die es haben, erweist es sich zumeist als Fluch, denn wer will schon seine eigene Zukunft und seinen eigenen Tod vorhersehen? Mit dem Regen im Wasser des Teichs in England hatte sich das Verhängnis schon angekündigt, denn kann es ein Zufall sein, dass John ausgerechnet in der "Stadt des Wassers", Venedig, seinen nächsten Auftrag bekommt?
Sexszene, die Filmgeschichte schrieb
"She’s lovely, lovely, she’s happy as can be", erzählt die blinde Seherin Laura am Klo des Restaurants, bald darauf fällt sie am Tisch von John um und wird unter der Tischdecke und dem klirrenden Geschirr begraben. John fährt mit Laura ins Krankenhaus und glaubt, sie sei verrückt geworden, denn gerade weil er auch das zweite Gesicht hat und es nicht wahrhaben will, wehrt er sich gegen Lauras esoterische Anwandlungen. Auf der Strecke mit dem Boot ins Krankenhaus können sie einen Wasserweg nicht passieren, weil eine Leiche aus dem Kanal geborgen wird. Der zwielichtige Kommissar, bei dem John später seine Frau als vermisst melden wird, taucht hier das erste Mal auf. In der Salute Kirche zündet Laura später sechs Kerzen an und John spielt mit einem Schalter eines elektrischen Kandelabers. Ein Priester wird von hinten gezeigt und es scheint, als würde er lachen, dabei ist es ein Erpel, der im Kanal vor ihm mit seinen Enten schwatzt. Auch eine Sexszene gibt es in dem Film, die aufgrund der Parallelmontage von Anziehen und Weggehen und explizitem Sex in die Filmgeschichte einging.
Atmosphäre des Untergangs
Später wird eine zweite Leiche aus dem Wasser gefischt, eine junge Frau. Der Hotelier des Hotels von Laura und John gibt seinen Angestellten frei, wegen der Winterpause. Alles bekommt plötzlich die Atmosphäre des Abschieds und Untergangs und als John schließlich das "rote Mäntelchen" hinter einer Arkade an einem Kanal wieder auftauchen sieht, versucht er es vor seiner Frau zu verstecken, dabei kann ohnehin nur er es sehen. Nur er hat die Gabe. Witzigerweise biegen sie just an dieser Stelle aus einer Calle ab, in der ein großes Optikerschild über den Köpfen prangt: "Don’t look now". John findet eine nackte Puppe auf einer Treppe hinter der Scuola San Rocco, hier verfolgt er auch die Person im "roten Mäntelchen" weiter, aber noch weiß der Zuseher nicht, ob es tatsächlich passiert oder er es nur "sieht". Schließlich verhaftet der zwielichtige Kommissar die beiden Tanten, weil John glaubt, Laura habe nicht das Flugzeug nach England zu ihrem Sohn genommen, da er sie auf einer Gondel mit den beiden Damen gesehen hat. Oder hat er sich das nur eingebildet?
Nichts ist, wie es scheint
Für Blinde sei Venedig gut zum Gehen, denn die tolle Klangkulisse der Stadt und der fehlende Autolärm ermöglichten eine sehr gute Orientierung, erzählt Heather John auf dem Rückweg von der Polizeistation. Venedig als Klanglabyrinth. Aber: er: "Nothing is what it seems", denn die Spiegelungen in den Kanälen Venedigs sind genauso Illusionen, wie das, was sich darüber abspielt. Eine weitere wichtige Rolle im Film spielt das Wasser, das nicht nur in der Anfangsszene mit dem Teich und dem Regen, sondern auch in den Kanälen Venedigs stets zugegen ist. Es gehe um die Zufälle in unserem Leben, meint Roeg über seinen Film, die oft wie Fügung erscheinen und doch einfach nur so passieren. So hätte etwa sein Wunschschauspieler Donald Sutherland eigentlich ein anderes Arrangement gleichzeitig zu den Dreharbeiten von "Don’t look now" gehabt und Julie Christie wollte bei einer Regierungskampagne mithelfen. Doch dann - wie durch ein Wunder - wurde beides gecancelt. Der Zufall stand also auch hier Pate. Selbst die Wahl der Kirche für die Dreharbeiten war von einem solchen begleitet, denn eigentlich war die Salute dafür vorgesehen, aber sie bekamen keine Drehgenehmigung und so wurde es die viel kleinere Kirche San Nicolá dei Mendicoli, zu Deutsch: Heiliger Nicolas, der Bettler, erzählt NicolasRoeg schmunzelnd.
Bei der Ermordung ihres Mannes, steht sie vor einem vergitterten Tor und ruft "darlings", also das Plural, die Mehrzahl. Am Schluss beim Todeszug mit der Leiche ihres Mannes auf dem Canal Grande trägt sie dann aber ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen, sie weiß, dass ihre beiden "darlings" - ihre Tochter und ihr Mann - nun für immer bei ihr bleiben. Das Lächeln der Unbesiegten, ihre Überzeugung, "I know I loved someone and I was loved", bietet Trost.
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