Vom Bankrott liberaler Illusionen
Nach dem Zerfall der Sowjet-Union, dem Ende des Kalten Kriegs und der Auflösung des Warschauer Paktes ist die Welt nicht friedlicher geworden, sondern scheint in Chaos und Regellosigkeit zu versinken. Carlo Masala betrachtet diese gegenwärtige "Unordnung" nicht als Übergangszustand, sondern als einen, an den wir uns gewöhnen müssen, "auch wenn es unserer ordnungsliebenden Natur zuwiderläuft", da er uns noch lange erhalten bleiben wird. Die Gefahr dieser "Weltunordnung" sieht der Autor weniger in einer nuklearen Konfrontation zwischen Großmächten als darin, "dass viele Regionen dieser Welt auf unabsehbare Zeit ins Chaos abgleiten, wodurch Krieg, Staatszerfall und terroristische Aktivitäten das Bild prägen".
Masala betrachtet internationale Politik als vom "Streben nach Macht" der Staaten bestimmt, wobei Großmächte die "zentralen Antriebskräfte" sind. "Sie ringen miteinander um regionale und letzten Endes auch um globale Vorherrschaft." Ihr Handeln folgt ihren nationalen Interessen. Seinen Ansatz bezeichnet Masala als "realistische Sichtweise" auf die internationale Politik, die er der "liberalen" gegenüberstellt. Liberales Denken basiert auf der Annahme, dass Staaten mit demokratischer Regierungsform friedfertig seien, untereinander kooperierten und ihre Politik am Allgemeinwohl orientierten. Doch die liberale Sicht kann gefährlich werden, wenn sie die Politik mächtiger Staaten bestimmt, die dann in Versuchung geraten, für ihre Werte zu missionieren und sie der Welt aufzuzwingen, indem sie "das Gute herbeibomben" wollen, womit sie letztendlich nur neues Chaos anrichten, wie der Autor anhand der misslungenen Interventionen in Afghanistan, Libyen, dem Irak und weiteren zeigt, wo diese zerfallende Staaten hinterließen, "in denen rivalisierende Gruppen gewaltsam um die Macht kämpfen, die Zivilbevölkerung leidet und in denen destabilisierende Tendenzen über die nationalen Grenzen hinweg auf die Nachbarstaaten übergreifen".
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts scheint das "Zeitalter militärischer Interventionen" angebrochen. An den USA lässt Masala in dieser Hinsicht kein gutes Haar, da für sie als gegenwärtig stärkste militärische Macht der Einsatz militärischer Mittel im Ausland "bevorzugtes Instrument" der Außenpolitik sei und es ihren Eliten als legitim gelte, "amerikanischen Weltordnungsvorstellungen mit Waffengewalt nachzuhelfen" und ein für die Sicherheit der USA günstiges Umfeld zu schaffen. Doch diese Interventionen in anderen Weltregionen schaffen keine Stabilität, sondern ziehen massive Probleme nach sich. Die Demokratisierungspolitik des Westens hat letztendlich dazu geführt, dass Demokratie in weiten Teilen der Welt als ideologischer Kampfbegriff wahrgenommen wird, mit dem sich der Westen lediglich weltweit Macht und Einfluss sichern will. So wird laut Masala der radikale Islamismus im Nahen und Mittleren Osten durch die westliche Einmischung nicht etwa eingedämmt, sondern sogar befeuert.
Die Einmischung des Westens in anderen Weltregionen rief Widerstand besonders gegen den Einfluss der USA, aber auch gegen die vom Westen dominierten internationalen Institutionen hervor, unter anderem durch die aufstrebenden BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.
Im 20. Jahrhundert entstand nach dem Zweiten Weltkrieg das Konzept, internationale Stabilität nicht mehr durch ein Gleichgewicht der Mächte, sondern durch im Wesentlichen von den USA initiierte internationale Organisationen zu sichern. Tatsächlich sind diese im 21. Jahrhundert derart geschwächt, dass sie "eine bestenfalls marginale Rolle" spielen. Als einzige verbliebene Weltmacht wandten sich die USA vom Multilateralismus ab und erliegen zunehmend der Versuchung unilateralen Vorgehens, da nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die Notwendigkeit entfällt, "die Reihen des Westens geschlossen zu halten". "Warum sollten sich die Vereinigten Staaten, so lauteten die Überlegungen in Washington, durch Vetorechte und Einsprüche sowie komplizierte Aushandlungsprozesse in ihren Aktivitäten binden lassen, wenn doch die Möglichkeit vorhanden war, internationale Ordnungspolitik im Alleingang und außerhalb der etablierten Institutionen zu betreiben." Als Instrumente globaler und regionaler Ordnungspolitik sind Institutionen wie die Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert kaum noch relevant, und die Hoffnung auf eine auf Institutionen basierende neue Weltordnung "erweist sich als Illusion". Stattdessen kommt es zunehmend zu "Ad-hoc-Koalitionen" zwischen Staaten außerhalb der internationalen Organisationen. "Bestehende Organisationen werden schrittweise entwertet und neue Formen internationaler Kooperation werden erprobt", die exklusiv und nicht legitimiert sind, mächtige Staaten bevorzugen und ohne völkerrechtliche Grundlage stattfinden. Sie schaffen allerdings keine berechenbare Ordnung, die längerfristig Bestand haben könnte, keine Stabilität.
Laut Masala fehlt es deshalb an globaler Ordnung, "weil die Großmächte keine gemeinsame Idee von dieser Ordnung haben". Aufgrund der gegenwärtigen Instabilität wird sich die Politik im 21. Jahrhundert von "großen Strategien" verabschieden müssen. "Strategische Überraschungen und Unvorhersagbarkeit von Entwicklungen werden in Zukunft die Rahmenbedingungen für außen- und sicherheitspolitisches Handeln darstellen." Außen- und Sicherheitspolitik kann daher nicht länger universale Ziele verfolgen, sondern muss notgedrungen selektiv sein und in "Koalitionen der Willigen" erfolgen anstatt in den etablierten internationalen Institutionen. Der Bundesrepublik Deutschland rät der Autor infolgedessen, ihr Handeln an den eigenen Interessen auszurichten, zu denen natürlich die Sicherheit und Stabilität Europas gehört. Deutschland muss jedoch anerkennen, dass es Konflikte und internationale Entwicklungen gibt, die es nicht beeinflussen kann. Dazu gehören sezessionistische Tendenzen in Teilen Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens. Die Politik sollte sich nach Masalas Auffassung nicht aufgerufen fühlen, immer und überall Ordnung zu stiften und die westlichen Vorstellungen über gutes Regieren durchzusetzen, sondern nur punktuell in Regionen, in denen Instabilität Folgen für die eigene Sicherheit und Stabilität hat.
Der fünften Auflage des Buchs von 2022 ist ein zehnseitiges Kapitel zum Überfall Russlands auf die Ukraine angefügt. Dieser kam keineswegs unerwartet. Bereits im Sommer 2020 baute Russland eine Drohkulisse gegen die Ukraine auf und im Dezember 2021 übermittelte Russland der NATO einen Forderungskatalog, dessen Inhalt, zum Beispiel die Rückabwicklung der NATO-Osterweiterung, für die NATO inakzeptabel war. Dennoch hielt der Westen an seiner Fehleinschätzung fest, Russland werde keinen Krieg beginnen. China indessen instrumentalisiert laut Masala den Krieg für seine eigenen Ziele, nämlich Gegenmacht gegen die USA aufzubauen, und enttäuscht die Hoffnung des Westens, es werde in dem Konflikt vermitteln.
Der Krieg zerschlug die liberale Illusion einiger europäischer Länder von Annäherung und Förderung des Friedens durch ökonomische Verflechtung. Tatsächlich beweist der Krieg, dass diese Länder, zu denen Deutschland gehört, dadurch einseitig erpressbar wurden und nun mangels Alternativen gezwungen sind, täglich dreistellige Millionenbeträge nach Moskau zu überweisen, mit denen dieses den Krieg finanziert.
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