Was den Endverbraucher so beschäftigt
Harald Martenstein möchte gern politische Kolumnen mit einer Prise Wahnsinn schreiben. Hoffentlich findet sich bald eine Zeitung, die ihm so etwas anbietet: eine politische Kolumne, die sich selbst nicht so furchtbar ernst und wichtig nimmt, die Witz hat und genüsslich den ein oder anderen Tabubruch oder eine politisch Unkorrektheit begeht.
Die Endverbraucher-Kolumnen aus der hier vorgelegten Sammlung wurden Woche für Woche in der ZEIT veröffentlicht, allerdings im Teil "Leben", in dem offenbar mehr Freiheiten erlaubt sind als im hohen Politikteil. Viele Kolumnen hatten eine aktuellen Anlass; und doch liest man sie gerne nach ein oder zwei Jahren wieder.
Martenstein nimmt alltägliche Dinge zum Auslöser, die Gedanken schweifen zu lassen und scharfe, manchmal auch böse Beobachtungen anzustellen. Er formuliert diese so scheinbar naiv und mit unschuldiger Einfalt, dass es oft regelrecht befreiend ist. Dabei greift er schon mal zu lexikalischen Neuschöpfungen: "Das deutsche Theater ist ein Schrumpfpürzel." (Leider nicht in diesem Band, dafür aber umso treffender.)
Martenstein schreibt über die Kriterien, nach denen Leute ihr Urlaubsziel auswählen, über Wochenendhäuser und schlampige Handwerker, über menschliche Schwächen, über Berlin, über Drogen. Immer wieder nehmen die Texte unvorhergesehene Wendungen und lassen den Leser überrascht zurück. Was hat die Tarifgestaltung der Deutschen Bahn mit der Endphase der DDR gemeinsam? Bei beiden wollte die Führung ihr Scheitern noch dann nicht eingestehen, als es längst unübersehbar war.
In Rumänien bekommt man für Sex am Strand sieben Jahre Knast. Am "Strand nebenan", in Bulgarien, schlimmstenfalls eine Verwarnung. Fazit: "Der Stalinismus hat das Rechtsgefühl der südostmitteleuropäischen Völker in einen vollkommen verwirrten Zustand versetzt." (S. 152) Dagegen die islamischen Staaten, z.B. Ägypten: Hier landet man für dieses Vergehen "nur" für drei Jahre im Kerker, in der Türkei sogar nur für zwei Monate. "Warum soll dieses liberale Land nicht reif sein für die EU?" (S. 150) Manchmal sollte man Dinge weniger verbissen betrachten.
Hoffentlich bekommt Martenstein bald seine politische Kolumne. Dann könnten wir mehr interessante Gedanken lesen, wie die zu der großen Frage, wie einer rechtskonservativen Partei dauerhafter Erfolg beschieden sein würde: mit einer "von namhaften Experten zusammengestellten, perfekt funktionierenden Partei mit fachlich und menschlich hoch qualifizierten Mitgliedern", die sich garantiert nicht spaltet, deren Kandidaten sich nicht bestechen lassen und keine Drogen nehmen, sondern geistig gesund sind und einen IQ von mindestens 105 haben (S. 118). Glücklicherweise Utopie.
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