Die Versager der High Society
Der Münchner Autor und Rechtsanwalt Georg Oswald hat mit "Im Himmel" seinen fünften Roman vorgelegt. Er schreibt gekonnt und abwechslungsreich. Das neue Buch ist so spannend, dass man es in einem Rutsch durchliest. Doch zurück bleibt eine gewisse Leere. "... denn ich könnte nicht sagen, dass mir klar wäre, was ich mit meiner Geschichte sagen will", erklärt der Ich-Erzähler, ein zwanzigjähriger Schulversager und Sohn eines erfolgreichen Münchner Anwaltes, gleich auf Seite 9. "Es ändert sich ja nie etwas, egal, was passiert.", lautet denn auch der Schlusssatz (S. 185). Konsequent. Das Problem ist aber nicht eines des Ich-Erzählers, sondern des Autors. Das anfängliche Bekenntnis wirkt wie ein Trick. Oswald kann schreiben, hat aber derzeit offenbar nicht viel zu sagen. Die Geschichte spielt an einem fiktiven Ort am Starnberger See, dem Wohnort der Münchner High Society. Deren Kinder werden den von den Eltern gesetzten Standards nicht gerecht: Schulversager, im Beruf und im Leben Gescheiterte. Sie lehnen sich auf, begehen mit fast dreißig Jahren die Dummheiten Pubertierender, sind abhängig vom Geld der Alten, sonnen sich in den Möglichkeiten, die der Reichtum bietet, finden aber ihren eigenen Weg nicht. Diese Orientierungslosigkeit gepaart mit der Verlogenheit hinter den glänzenden Fassaden ist also der Inhalt des Buches. Gesellschaftskritik und Voyeurismus. Dummerweise wirkt das Ganze nicht authentisch. Die Figuren und ihre Gefühle, das Milieu, alles ist Klischee, nichts wirklich Echtes, Lebendiges. Die Schilderungen erscheinen wie gemalt von einem, der diese Gesellschaft von außen beobachtet und sich dabei vorstellt, welche Dramen hinter der Oberfläche verborgen sein könnten, ohne das wirklich zu wissen. Vor allem die Frauenfiguren bleiben vollkommen leer. Nicht einmal die Mutter des Erzählers erhält menschliche Züge. Ansatzweise findet sich so etwas bei zwei älteren Männerfiguren, dem Nachbarn und dem Chef der Mutter, aber auch hier deutet sich ein Charakter nur diffus an. Wirklich schade, dass Oswald nicht genauer beobachtet. Schließlich nimmt man dem Ich-Erzähler seine zwanzig Jahre, seine Ziellosigkeit und seine Drogen- und Alkoholexzesse nicht ab. Er schreibt viel zu routiniert, zu gewählt und - vor allem - zu ruhig. Wer so schreibt, ruht in sich selbst, beobachtet von außen, ist aber nicht selbst involviert. Insofern ist die Ich-Form nichts als ein Stilmittel, um etwas Erfundenes authentisch erscheinen zu lassen. Also diesmal leider kein Meisterwerk.
Im HimmelDie Traditionelle Chinesische Medizin TCM
Grundinformationen über die Traditionelle Chinesische Medizin.
Die Heilkunst der ChinesenSoziologisches zu unserer Umwelt
Wer sich mit Umweltsoziologie beschäftigt, begegnet zwangsläufig den Autoren Andreas Diekmann und Peter Preisendörfer, denn sie gehören im deutschsprachigen Raum zu den einschlägigen Wissenschaftlern des Umweltbereichs. Eine Einführung in die Umweltsoziologie, wie sie das vorliegende Taschenbuch bietet, gab es bisher nicht. Grundlegende Standardwerke waren bis anhin Aufsatzsammlungen, wie zum Beispiel Diekmann, Andreas / Jaeger, Carlo C. (Hrsg.) 1996: Umweltsoziologie, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Sonderheft 36, Westdeutscher Verlag oder Monografien, deren Autoren aber jeweils einer bestimmten Richtung zugeordnet werden können, wie zum Beispiel Beck, Ulrich 1986: Risikogesellschaft - Auf dem Weg in eine andere Moderne, Suhrkamp. Aufsatzsammlungen enthalten zwar ein Fülle von Information, sind aber als Einführungstext weniger geeignet, da sie nur grob strukturiert werden können. Monografien, die einer bestimmten Theorie bzw. Sichtweise verpflichtet sind, geben der Forschung zwar neue Impulse, aber keinen befriedigenden Überblick über das Fach, da sie dies auch nicht anstreben. Dass nun ein Einführungshandbuch zur Umweltsoziologie erschienen ist, wertet den Stellenwert der Umweltsoziologie als eingenständiges Teilgebiet der Soziologie auf und erleichtert den Einstieg in die Materie erheblich. Die Autoren vermitteln das nötige Grundwissen und vermeiden Exkurse, die in einer Einführung nicht angebracht wären. Im ersten Kapitel legen sie dar, welche Stellung und Aufgabe die Soziologie in der Umweltforschung hat und wie die Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaftern gestaltet werden sollte. Anschliessend gehen sie auf Theorien der Modernisierung, Systemtheorie, die Perspektive des Konstruktivismus und die Theorie des rationalen Handelns ein, wobei sie deren Stärken und Schwächen einschätzen. In einem gesonderten Kapitel befassen sie sich dann mit der in ihren Augen zentralen Perspektive von Umweltproblemen als Allmende- oder soziale Diemma-Situationen. Kapitel IV ist dann dem Umweltbewusstsein und Umweltverhalten von Individuen gewidmet. Hierzu gehört die Problematik der statistischen Erhebung von Umweltbewusstsein und -verhalten, sowie die scheinbare Diskrepanz zwischen Bewusstsein und Verhalten. Das darauffolgende Kapitel befasst sich mit denselben Fragen in Bezug auf Wirtschaftsunternehmen. Hier versuchen sie, Fragen zu beantworten, wie: "Ist es so - wie die "Schönwetterthese" nahe legt -, dass sich nur erfolgreiche Unternehmen den "Luxus" des Umweltschutzes leisten können? Oder sind genau umgekehrt Unternehmen auf dem Markt erfolgreicher, wenn sie sich systematisch um Umweltbelange kümmern und eine "ökologische Reputation" aufbauen?". Die beiden abschliessenden Kapitel handeln dann einerseits von sozialen Bewegungen und daraus hervorgegangenen Organisationen sowie andererseits von dem politischen Umgang mit Umweltfragen. Das Buch gibt einen guten Überblick über die Umweltsoziologie und ist wohl in die Reihe der Standardliteratur einzuordnen. Allein schon die Literaturangaben sind sehr nützlich.
UmweltsoziologieWenn der Phallus nicht mehr mitmacht
Wir schreiben das Jahr 2020. Die USA und China haben sich gegenseitig atomar zerbomt, es hat weniger Menschen, weniger Verkehr, mehr Unsicherheit und Gewalt, kaum Polizei, keine Regierung und einige Schutzgelderpresser. Die Vögel zwitschern von den Dächern, Rehe pflücken frische Triebe in den Gärten der Menschen und die Menschen gehen arbeiten, gucken fern, lesen Zeitung, vermehren sich, spielen Golf. Die einen leben in ihren grossen Häusern am Meer, die anderen sind kriminell, gehen für Drogen auf den Strich und dann gibt es noch die, die irgendwo dazwischen sind. Ben Turnbull gehört zu denen mit den Häusern. Er war einmal Börsenmakler und ist heute pensioniert. Ihn kratzen die Schutzgelderpresser nicht weiter, er kann es sich leisten. Gloria, seine Frau, definiert er über die ewige Hysterie, in die sie verfällt, wenn das unschuldige Reh ihre Pflanzen maltretiert und sie von ihm kriegerische Massnahmen fordert und über das, was einmal war, aber nicht mehr ist. Ben wird alt. So richtig lebendig wird er, wenn es um die Befriedigung seines sexuellen Triebes geht, für die hat er ja Deirdre, die für Drogen auf den Strich geht. Als dann Gloria über längere Zeit (für ihn unerklärlich) weg ist, entwickelt er eine Beziehung zu Deirdre, wobei die Beziehungsentwicklung wohl einseitig bleibt, denn sie setzt sich bald wieder ab (natürlich nicht ohne einiges mitgehen zu lassen). Gloria kehrt zurück. Ben kriegt Krebs. Als Folge des operativen Eingriffs verliert sein geliebter Phallus die Funktionstüchtigkeit. Ben sieht keinen Sinn mehr. Das Reh ist ermordet. John Updike hat mit diesem Buch, einen Roman aus der Sicht eines Mannes geschrieben (es sind Bens Notizen, die wir lesen), der merkt, dass es mit ihm zu Ende geht. Das einzige, was der Hauptfigur dabei anscheinend zu schaffen macht, ist der Niedergang seines Sexualorgans. Seine Entwicklung in diesem Roman geht vom sexuell Aktiven zum sexuell gezwungenermassen Inaktiven. Viel mehr lässt sich nicht ausmachen. Trotz einigen amüsant zu lesenden Passagen und gekonnt geschilderten Beziehungen in interessanten Situationen, überzeugt die Geschichte nicht wirklich. Die botanischen Ausschweifungen (die Natur soll offensichtlich metaphorisch den Werdegang des Protagonisten widerspiegeln) und Gedankengänge über Physik oder Historie werden meist nur von Bens sexuellen Phantasien oder Taten unterbrochen. Der Schluss könnte ebenso gut der Anfang sein. Oder war das Absicht?
Gegen Ende der ZeitLogo statt Logos
2001 erschien "39,90" von Frédéric Beigbeder in Deutschland. Was man von diesem Buch, das in Frankreich für einen der üblichen Skandale sorgte, für das Leben im 21. Jh. lernen kann ist: Sich nicht auflehnen, sondern sich enthalten. So, wie Octave, der sympathisch unsympathische Held des Romans, der der Werbefirma, bei der er angestellt ist, nicht kündigen will, sondern sich lieber vom System der "zerebralen Vergiftung" feuern lassen möchte, um in den Genuss der Arbeitslosenversicherung zu kommen. Zitiert werden sowohl Goebbels, Marx als auch die Bibel. Und trotz der reichlichen Fäkalsprache, der pornographischen Phantasien und der Publikumsbeschimpfung ist dies ein politisch sehr korrektes Buch. Die Frage ist natürlich, aus welchem Blickwinkel man das behauptet. Aus dem Blickwinkel der Aktionäre und Arbeitgebervertreter ist "39,90" sicher ein schlimmes Buch. Aus der Perspektive des zum Verbraucher degradierten Demokratiebürgers ist es eine Offenbarung, ein Versuch, ihm die Würde wiederzugeben. Denn vom Logos der abendländischen Philosophie, so der Autor, seien uns nur noch die Logos der Firmen geblieben. "Kennt ihr den Unterschied zwischen Arm und Reich? Die Armen verkaufen Drogen, um sich Nikes zu kaufen, und die Reichen verkaufen Nikes, um sich Drogen zu kaufen." So schlagwortartig sind viele der Analysen, die Beigbeder uns gibt. Dass dabei keine soziologisch differenzierten Gesellschaftsbilder entstehen, ist klar. Und darum kann es in dem Buch ja auch nicht gehen. Was hier gelingt, ist vielmehr die Darstellung eines Beispiels stellvertretend für die übergreifenden Mechanismen. Seine Drastik und daher seine Wirksamkeit bezieht "39,90" aus der grellen Fiktion, die leider doch wahr sein könnte und deren reale Entsprechungen sich täglich zwischen uns abspielen. Mit witzigbösen Anekdoten, unterhaltsamer Sprache und schmerzhaften Fakten geht der Text daran, das Bild einer harmlosen Globalisierung, von der alle etwas haben, ins rechte Licht zu rücken. "Barbie verkauft weltweit zwei Puppen pro Sekunde. 2,8 Milliarden Erdenbewohner leben von weniger als zwei Dollar pro Tag" oder "zwei Millionen Menschen sind 1998 [in Afrika] an Aids gestorben, vor allem weil Pharmaunternehmen wie die amerikanische Firma Bristol-Myers-Squibb [...] sich weigern, die Preise zu senken." Solche Sätze müssen nicht kommentiert werden und stehen deswegen einfach so mitten im Text, lassen einen kurz aufschauen und den Kopf schütteln, ehe man sich wieder Beigbeders mitreißenden Schilderungen hingibt. Mitreißend sind diese Schilderungen aus der dekadenten Sicht des überbezahlten Texters nicht zuletzt wegen der temporeichen, im Werbebusiness geschulten Sprache, der dargestellten Absurditäten und der ernsten Botschaft, die dieses Buch mitbringt. Und auch das Anekdotenhafte des Romans stört nicht. Vielmehr macht es das Lesen äußerst kurzweilig, ohne dass die Spannung der erzählten Geschichte verloren geht. Das Buch endet, wie es anfängt: in einer Enthaltung. Nur ist es jetzt eine Verweigerung dem Leben gegenüber, dem Leben, das ohnehin zum Werbetrailer verkommen war. Auflehnen kann man sich nicht, so vermittelt uns Beigbeder. Verweigerung ist die einzige Chance, denn sobald man nur irgend etwas tut, macht man mit. Das Dilemma ist, dass die Verweigerung, will sie konsequent sein, Tod bedeutet. Das weiß der Autor und so ist auch Beigbeders Buch eher eine Auflehnung als eine Verweigerung. Das sagt uns schon der zynische Titel: "39,90" war der Preis des Buches in D-Mark.
39.90