Die Schönheit der Kraniche 

Bernhard Weßling lässt Leser teilhaben an seiner Leidenschaft für die Naturbeobachtung und wirbt für ein neues Verständnis von Mensch und Natur.

Der Ruf der Kraniche

Die Wundermaschine, die wir immer dabei haben

Die grandiose Geschichte des menschlichen Körpers, von der Haarwurzel bis zu den Zehen.

Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers

Entscheide selbst

Jordan B. Peterson macht Mut zum aufrichtigen Selber-Denken. Und er legt darüber hinaus ein engagiertes und anregendes Plädoyer gegen den moralischen Relativismus vor.

12 Rules For Life

Es ist nicht alles so, wie es scheint

Dieser clever gemachte Thriller verdeutlicht, wie Voreingenommenheiten und Verschwörungstheorien unsere Wahrnehmung nicht nur beeinträchtigen, sondern in die Irre führen.

Vor dem Fall

Autogen trainieren mit Lindemann

Mit Hannes Lindemanns Standardwerk zum Autogenen Training den hektischen Alltag meistern.

Autogenes Training

Prechts Bildungs"revolution"

Eine Bildungsrevolution sähe anders aus. Der Revolutionär entpuppt sich als ein autoritärer, der auf den Staat als Heilsbringer setzt.

Anna, die Schule und der liebe Gott

Parallelwelten

Kathrin Weßlings Buch über Depressionen ist erhellend, keineswegs deprimierend, sondern hilfreich sowohl für Betroffene als auch für all jene, die mit betroffenen Menschen zu tun haben.

Drüberleben

Eigentlich wissen wir nichts

Die beiden Autoren erklären auf unterschiedliche Art und Weise für Laien verständlich, was man heute über das Universum weiss, respektive meint zu wissen. Denn eine Frage ist noch nicht beantwortet: Was ist Dunkle Materie?

Kosmologie für helle Köpfe

Afrika: Ein Kontinent auf der Suche nach sich selbst…

Birahima, die Hauptfigur in Kouroumas lesenswertem Roman, steht für eine ganze Generation ihres Glückes beraubter Kindersoldaten und für ganze Heerscharen Leid tragender Zivilisten.

Allah muss nicht gerecht sein

Michel de Montaignes Lebenswerk

Michel de Montaignes Essais, deren Lektüre sich auch ein paar hundert Jahre später noch lohnt, hervorragend übersetzt von Hans Stilett.

Essais

Familie Kaminer

In jeder Familie gibt es sie, die kleinen und großen skurrilen Ereignisse des Alltags. Wladimir Kaminer lässt uns am Leben seiner Familie teilhaben. Dies tut er mit viel Humor. Wir erfahren vom Ideenreichtum des Vaters, der manchmal ein wenig absonderlich anmutet. Wir lernen Olga, die Ehefrau des Autors, und seine beiden Kinder, Sebastian und Nicole, kennen, denen die Kreativität offenbar vererbt wurde: Sie bauen ihre Schildkröte durch Einsatz eines Ventilators und von Rädern zu einem Porsche um. Zur Familie gehören auch noch der Großvater und die schwangere Katze Marfa sowie die Tante, die aber nicht will, dass über sie berichtet wird. Kaminer erzählt von seiner Kindheit in Russland und den Hürden der deutschen Bürokratie, die auch von einem Dreijährigen Angaben über seine Ex-Frauen verlangt, von der Mentalität der Ostdeutschen und dem Urlaub im sonnigen Süden - eben von Ereignissen des Alltags. Der Leser wird sich und sein Leben wiedererkennen, dabei schmunzeln oder zustimmend nicken. Die kurzen, unabhängigen Episoden lesen sich leicht, ohne aber anspruchslos zu sein. Kaminer bringt die Dinge auf den Punkt, indem er sie einfach beschreibt, so, wie sie sind. Eine unterhaltsame Lektüre, die einem den Blick für die Kleinigkeiten und vermeintlichen Banalitäten des Lebens offenbart. Gerne kann uns Wladimir Kaminer mit weiteren Geschichten dieser Art beglücken. Seine ersten sind es ja nicht...

Ich mache mir Sorgen, Mama

Ein Istanbul voller Verbrecher

Das dritte Buch von Chistoph Peters ist eines über ganz verschiedene Lebenswege, die doch eines verbindet: Sie sind so destruktiv, dass sie geradewegs auf den Tod zusteuern. Ein amerikanischer Edelsteinhändler, Mr. Miller, macht Geschäfte mit dubiosen russischen Mafiosi, ist sich des damit verbundenen Risikos bewusst und wird schließlich ermordet. Albin, ein deutscher Bildhauer, als Kind an der Gewalttätigkeit seines Vaters zerbrochen, säuft sich zu Tode. Die Mutter, von ihrem Mann so brutal tyrannisiert wie dieser jüngste Sohn, kann sich trotz seines Verschwindens nicht von ihm lösen und bringt sich in Raten mit Beruhigungsmitteln und Alkohol um. Albin reist auf Drängen seiner Freundin Livia nach Istanbul in der Hoffnung, die eigentlich bereits zerbrochene Beziehung ließe sich nochmals kitten, lernt in der Hotelbar Mr. Miller kennen und beobachtet am nächsten Morgen offenbar als einziger Zeuge, wie dieser erschossen wird. Anstatt nun das Gesehene der Polizei anzuzeigen, versucht er auf eigene Faust die Mörder zu finden, die wohl der russischen Edelsteinschmugglerszene in Istanbul angehören, und verhält sich dabei so risikofreudig, dass man ständig seine baldige Ermordung befürchtet. Livia und Albin lernen dann im Hotel noch eine deutsche Kunststudentengruppe kennen, der sie sich anschließen. Nach Albins ungeklärtem Tod versucht einer der Studenten zu rekonstruieren, was Albin in der gemeinsam verbrachten Woche in Istanbul widerfahren ist. So laufen in dem Roman zwei Erzählstränge parallel: Albin schildert seine Erlebnisse, die, je näher sein Ende rückt, mehr und mehr unterbrochen werden von Erinnerungen an seine Kindheit, seinen Vater, seine Mutter und die ersten Jahre mit Livia. Der Student schildert Albins und Livias Tage in Istanbul, wie er sie aus den Erzählungen der anderen und seinen eigenen Beobachtungen erschließen kann - eine spannungsreiche Konstruktion. Doch der Rest, die ganze Handlung, ist banal und ohne Aussage. Dann liefert das Buch noch die Beschreibung einer fremden, undurchschaubaren, bedrohlichen Stadt. Das Ganze ist recht spannend und gut geschrieben. Allerdings wird die Lesefreude von der vollkommen negativen Stimmung, in der es keinen Lichtblick gibt, getrübt. Istanbul hat nichts Schönes oder Liebenswertes zu bieten, nur Dreck, Betrüger, Verbrechen, Korruption und Gewalt. Auch als Livia sich in einen der Studenten verliebt, hellt sich nichts auf. Die Studenten profitieren nicht von der Klassenfahrt, untereinander vertragen sie sich nicht. Die Geschichte wirkt völlig konstruiert. Ganz Istanbul scheint in die Tat verwickelt zu sein, die Mörder und ihre Komplizen allgegenwärtig, die Polizei ebenso mit von der Partie oder zumindest Touristen gegenüber extrem feindselig. Wenn dieses Komplott als Hirngespinst eines Alkoholikers kurz vor dem Delir verstanden werden könnte, wäre die Geschichte vielleicht gut. Doch die Feindseligkeit und mysteriöse Verschwiegenheit wird genauso von dem an sich neutralen Beobachter im zweiten Erzählstrang empfunden. Dass Istanbul so ist, dass ein Nobelhotel gemeinsam mit der Polizei einen Mafiamord vertuscht, von dem doch jedermann bis hin zum Barkeeper oder Teppichhändler weiß, dass Türken, Zigeuner, Russen, Polizei und Zöllner nichts anderes zum Ziel haben, als Touristen um Unsummen von Geld zu bringen, das alles möchte man so nicht glauben.

Das Tuch aus Nacht

Eine Mutter hatte vier Töchter

Die 62 jährige Inger Alfvén gehört zu Schwedens Bestsellerautorinnen. Ihr Thema sind Frauenleben. Jedes Kapitel der insgesamt 319 Romanseiten schildert das Geschehen aus einer anderen Sicht, wobei das Wort Geschehen nicht ganz passend ist. Es ist keine konventionelle Handlung mit Anfang, Mitte und Ende aus der Sicht eines Erzählers. Es treten verschiedene Menschen auf, bei den meisten ist Ottilia ein Bindeglied. Ottilia selbst tritt erst ganz spät im Roman in Erscheinung, als der/die LeserIn sie schon längst durch die Wahrnehmung der anderen Protagonisten kennengelernt und sich ein Bild gemacht hat. In psychologisch dichter Atmosphäre schildert Alfvén das innere Erleben dieser Menschen, die in der schwedischen Stadt Huvudstaden leben. Die wichtigsten dabei sind Katarina, Lisa und Herta, die Töchter Ottilias aus ihrer Ehe mit Wilhelm. Die ersten beiden sind erwachsen und leben nicht mehr zu Hause. Herta, die jüngste Tochter, hat keinen nennenswerten Bezug zu ihren älteren Schwestern Lisa und Katarina. Der Vater Wilhelm ist in das Landhaus gezogen und hat sich dort zur Ruhe gesetzt. Hillevi ist ebenfalls eine Tochter Ottilias, sie wurde aber zur Adoption freigegeben und erfuhr erst als sie heiraten wollte, dass sie nicht die ist, die sie zu sein glaubte. Die Erkenntnis erschüttert ihr Leben und sie flüchtet in die Stadt, Ottilia zu suchen. Den weiblichen Hauptprotagonisten gemeinsam ist eine etwas angestrengte Beziehung zur Mutter. Ottilias Mutter Olga lebt in einem Pflegeheim, sie ist meist verwirrt, doch war sie ihr Leben lang psychisch krank. Das Kind Ottilia war schon früh auf sich gestellt und musste sich einen Panzer zulegen. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, genießt Ottilia als Erwachsene den beruflichen Aufstieg ihres Mannes und, nachdem sie sich entschlossen hat selbst berufstätig zu werden, den eigenen Erfolg, insbesondere in materieller Hinsicht. Katarina ist der Mutter am ähnlichsten, sie ist eine erfolgreiche Innenarchitektin. Auch sie ist auf ein geregeltes und sicheres Leben bedacht, symbolisiert auch in ihrem perfekt eingerichteten Haus. Lisa dagegen ist eine erfolglose Malerin, von Geldsorgen geplagt, sie wünscht sich mehr Verständnis und Liebe von der Mutter, die aber dieses Leben überhaupt nicht nachvollziehen kann und auch Lisas Kunst nicht versteht. Herta ist 17 Jahre alt, auf dem Weg sich zu finden, vom Vater fühlte sie sich schon als Kind besser verstanden, er passte sich ihrer Gedankenwelt an, die Mutter blieb die kühle Realistin. Und Hillevi? Es scheint, dass Hillevi auf dem besten Weg ist, in die Fußstapfen ihrer Großmutter Olga zu treten. Es sind zwei Persönlichkeiten, die in ihr agieren und sich streiten. Hillevi tritt in Kontakt zu Ottilia, gibt sich aber nicht als Tochter zu erkennen. Eine Mutter hatte vier Töchter, so heißt der schwedische Originaltitel und gibt damit das Thema dieses Romans vor. Die Mutter Ottilia ist eine Frau, die sich spät ein eigenes Leben aufgebaut hat, in diesem Leben hat Familie im bestverstandenen Sinn wenig Platz und doch macht sie sich insgeheim viele Gedanken um die Töchter, die so verschieden sind. Sie ist ihnen gegenüber nicht indifferent, auch wenn sie ihre Gefühle durch ein strenges und abweisendes Verhalten verstecken will. Sie ist erfolgreich und genießt dies, spürt aber nicht, dass sie hierbei auch Verdrängung betreibt. Von ihrem ersten Kind weiß niemand, und auch sie selbst scheint wenig Gedanken daran zu verschwenden. Dieses Kapitel hat sie so tief in sich verborgen, dass sie selbst kaum damit konfrontiert wird. Sie ist aber nicht wirklich oberflächlich, sie ist eine Frau an der Wegscheide, sie spürt, das Alter kommt und mit den sich ankündigenden Wechseljahren auch unbestimmte Ängste. Der Roman ist als eine psychologische Studie über diese vier Töchter und ihre gemeinsame Mutter angelegt. Doch das Thema, welches die Leser am brennendsten interessiert hätte, wird ausgespart. Hillevi gibt sich der biologischen Mutter nicht zu erkennen und so wissen wir auch nicht, ob und wie Ottilias Leben und das ihrer anderen Töchter sich verändert hätte. Dies ist schade, denn es bleibt das Gefühl, dass dies nur der Beginn war und das Buch wird am Ende mit offenen Fragen zugeschlagen.

Vier Töchter

Ein anderes Amerika

James Lee Burke ist kein Anfänger. Der 1938 geborene Schriftsteller publizierte bereits mit 19 Jahren Jahren einen ersten Text, mit 34 hatte er vier Romane verfasst. Dann kam ein Publikationstief. Nachdem es schließlich zu einer Veröffentlichung kam, wurde ausgerechnet ein jahrelang abgelehnter Roman für den Pulitzerpreis nominiert. Seit den 80er Jahren schreibt Burke Kriminalromane. Der als deutsche Erstveröffentlichung bei Goldmann erschienene Titel "Straße ins Nichts" stammt aus dem Jahre 2000 und heißt im Original "Purple Cane Road". "Straße ins Nichts" ist kein Krimi, der sich schon nach ein paar Seiten als "Pageturner" erweist, also als ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann, so gespannt ist man auf den weiteren Verlauf. Es wirkt lange Zeit unstrukturiert, muss der Autor doch Rückgriffe machen, um Motivationen und Situationen zu erklären. Manchmal geschieht dies unvermittelt, so dass man glauben könnte, der Text sei gekürzt, es fehle ein Stück. Nach einiger Lesezeit gibt sich dieses Problem und der Roman wird im Aufbau in konventionellere Bahnen gelenkt, was der Aufmerksamkeit des Lesers dienlich ist. Dave Robicheaux, Polizist in Louisiana, erfährt, dass seine Mutter, die 30 Jahre zuvor die Familie verlassen hatte, nicht nur eine Prostituierte gewesen sein soll, sondern von Polizisten als unerwünschte Zeugin ermordet wurde. Dieses Wissen läßt ihn nicht mehr los, er will nicht glauben, was er erfahren hat. Also versucht er, die Umstände des Lebens und Todes seiner Mutter zu erfahren. Dabei stößt er auf viele Widerstände, die er brechen muss. Was an diesem Buch interessiert, ist die Charakterzeichnung der Protagonisten und die atmosphärische Stimmung Louisianas. Einerseits zeigt Burke die schönen Seiten der Landschaft und die ruhige Atmosphäre des Südens. Auf der anderen Seite aber, beschreibt er auch die unglaublich ärmlichen Verhältnisse, die man in den Südstaaten antreffen kann. "Dann bogen wir auf eine unbefestigte Piste ab, die durch Ackerland, an farblosen Hütten und Brachen im Zuckerrohr vorbeiführte, auf denen allerlei Wellblechschuppen und landwirtschaftliches Gerät standen. Inzwischen war es später Nachmittag, und der Wind hatte zugelegt und fegte durch die Zuckerrohrfelder. Wolken zogen vor der Sonne vorbei, und die Luft roch nach Regen, Salz und den modernden Kadavern toter Tiere in den Abwässergräben." Burke zeigt mittels der Stimmungsbilder und der atmosphärischen Beschreibung ein anderes Amerika. Ihm geht es nicht um das glatte und über Klimaanlagen heruntergekühlte saubere Amerika, wie wir es aus dem Osten der Vereinigten Staaten kennen. Seine Welt ist der ländliche Süden mit seinen subtropischen Klimaverhältnissen, der an den Nerven zerrenden hohen Luftfeuchtigkeit, den materiell armen Menschen, den Sumpflandschaften mit Alligatoren und Schlangen. Wer schon einmal durch die Südstaaten gefahren ist - gemeint ist der tiefe Süden und nicht Florida oder Washington D.C. -, dem ist aufgefallen, dass man es mit einem gespaltenen Land zu tun hat, dass es eine unsichtbare Grenze, ein Nord-Süd-Gefälle gibt, die Folgen des Bürgerkrieges noch immer zu spüren sind. In Burkes Roman haben die Menschen sich angepasst, der Sumpf der Landschaft findet seine Entsprechungen in den Menschen und Korruption ist an der Tagesordnung. Aber Dave Robicheaux ist kein Engel, der angetreten ist, nur Gutes zu tun und den Sumpf trockenzulegen. Er ist trockener Alkoholiker, dem Gewalt nicht fremd ist und der mit sich kämpfen muss, seine Wut und seinen Zorn im Griff zu behalten. In den Text eingestreut sind immer wieder politische Kommentare, so zum Strafvollzug, der Todesstrafe, aber auch der allgemeinen Politik, wie der fehlenden Umweltpolitik der USA. Wer einen anderen amerikanischen Süden kennenlernen will, die Bilder, die "Vom Winde verweht" in unseren Köpfen hervorgerufen hat, aktualisieren will, dem sei die Lektüre dieses Kriminalromans empfohlen.

Strasse ins Nichts

Die Vergangenheit in der Gegenwart

Dass der Engländer Peter Ackroyd in Deutschland vielen ein Unbekannter geblieben ist, läßt sich aus zwei Indizien schließen: einerseits ist mit dem jetzt bei btb erschienenen Band "Das Haus des Magiers" ein Roman in deutscher Erstveröffentlichung erschienen, der im Original schon 1993 auf den Markt kam und anderseits ergab ein Suchlauf bei amazon.de, dass einige der ins Deutsche übertragenen Titel Ackroyds nicht mehr erhältlich sind. Deshalb zunächst einige Worte zum Autor: Peter Ackroyd wurde 1949 geboren und ist der führende Kritiker für Literatur bei der renommierten britischen Times. Seine eigenen zahlreichen Bücher stammen aus den Genres Lyrik, Roman, Biografie und Literaturwissenschaft. Für den Roman "Hawksmoor" erhielt er 1985 mehrere Preise, darunter den "Prix Goncourt". Literarischen Ruhm erntete Ackroyd insbesondere für seine Arbeit als Biograf literarischer Größen wie T. S. Eliot oder Charles Dickens. Auch in seinen Romanen beschäftigt sich Ackroyd gerne mit bekannten historischen Persönlichkeiten. In einem literaturkritischen Werk setzte er sich mit der zeitgenössischen englischen Literatur auseinander und kritisierte darin das konventionelle realistische Erzählen als nicht mehr zeitgemäß. In Konsequenz seiner eigenen Forderung sind in den Romanen Ackroyds die traditionellen Erzählstrukturen aufgehoben, so auch im "Haus des Magiers". Dieser Roman beschäftigt sich mit einer historischen Figur des elisabethanischen Englands, nämlich John Dee, dem Alchemisten und Mathematiker, der von 1527 bis 1608 lebte. Dee, Astrologe der Königin Mary Tudor, wurde als Magier verhaftet, 1555 aber wieder entlassen. Im Roman nun erbt der Historiker Matthew Palmer von seinem Vater ein Haus, von dem Matthew zuvor nicht einmal wusste, dass es im Besitz des Vaters war. Er spürt sofort, mit dem Haus hat es etwas auf sich, es muss eine Geschichte haben und er beginnt dieser nachzuspüren. Bald findet er heraus, es gehörte in früheren Zeiten dem Magier Dr. Dee. Die Zeitebenen und Perspektiven im Roman vermischen sich dann immer mehr. Anfangs wechselt die historische Perspektive des Dr. Dee noch mit der zeitgenössischen des Matthew Palmer, bis beide Protagonisten sich auf einer nicht definierbaren zeitlichen Ebene treffen, denn nichts vergeht wirklich, weil in der Gegenwart auch die Vergangenheit enthalten ist. Doch ist dies nicht nur die Geschichte von Dr. Dee, auch Matthew findet zu seinem Innersten. Versucht man diesen Roman mit Schlagworten zu beschreiben, ist es ein Roman über den Begriff der Zeit, über Menschen mit und ohne Liebesfähigkeit. Es ist aber auch ein Roman über London, nämlich das London des Dr. Dee. Ackroyd ist es gelungen, das Milieu der elisabethanischen Zeit nicht nur im Sprachduktus, sondern auch in der Beschreibung der Straßenszenen wieder auferstehen zu lassen. Besonders gelungen scheint mir aber die elisabethanische Sprachgewalt des John Dee zu sein, die Ackroyd mit einer Leichtigkeit benutzt, als sei sie seine eigene Sprache. Nie erscheint sie gequält oder gekünstelt, sondern wirkt auch im Kontrast zu der modernen Sprache des Matthew Palmer echt.

Das Haus des Magiers

Sprechende Tote

Die Autorin wird einigen bekannt sein, denn "Der Flusskönig" ist immerhin der vierzehnte Roman der 1952 geborenen Amerikanerin. Es ist kein lautes Buch, keines das nach einer Fortsetzung oder Verfilmung ruft! Der Roman lebt von seinen Bildern, er ist überaus stimmungsvoll und poetisch erzählt. Es ist ein leises Buch, welches keinerlei großer Aktionen bedarf um die Atmosphäre des kleinen fiktionalen Ortes Haddan am gleichnamigen Fluss in Massachussetts zu beschreiben. In diesem Haddan gibt es eine Internatsschule von Tradition und nun wäre es einfach zu sagen, "Der Flusskönig" steht in der Folge von Donna Tartts "Die Geheime Geschichte". Es erinnert lediglich an Tartt, und ist doch ein ganz anderes Buch. Es gibt nicht ein Thema des Buches, es sind viele zwischenmenschliche Inhalte, die angerissen und angesprochen werden: Freundschaft/Familie, es geht um Tote und Überlebende, um Schuld und Reue, aber auch Schuld und Sühne, Ignoranz/Arroganz, Mut und Feigheit, Hass und Liebe und - nicht zu vergessen, - die Trauer, die das ganze Buch wie ein roter Faden durchzieht: die Trauer der Toten und die Trauer der Überlebenden. Die Haddan School besteht seit mehr als hundert Jahren und doch ist sie ein Fremdkörper für die Einheimischen geblieben. Einwohner und Lehrpersonal haben nichts miteinander zu schaffen. Die letzte Gelegenheit, dies zu ändern, ging mit der unglücklichen Ehe zwischen der Dorfschönheit Annie Jordan und dem Schuldirektor Dr. Howe gründlich daneben und endete mit Annies Selbstmord. Schulangehörige und Einheimische leben nebeneinander her, es gibt keine offenen Feindseligkeiten, aber auch keine Freundschaften. Daran würde normalerweise auch der Tod eines Schülers, Augustus Pierce, nichts geändert haben, wäre da nicht der Polizist Abel Grey, der spürt, hinter Gus' Tod steckt mehr als ein Unfall. Und Abel läßt sich von nichts und niemandem abhalten, eine Erklärung zu finden, denn "(...) Abe wusste, wie es sich anfühlte, wenn die Toten sprachen und den Lebenden die Schuld zuwiesen an allem, was sie getan oder unterlassen hatten." Er läßt sich auch nicht ablenken, als er ganz überraschend feststellt, dass er, obwohl er sich für immun gehalten hatte, die Liebe zu einer Frau gefunden hat. Im Verlauf des Romans muss Abel erkennen, dass ihm die vertraute Welt fremd wird, das was er zu kennen glaubte, entpuppt sich als etwas anderes. Die Menschen und die Umgebungen verändern sich, verlieren den gewohnten Anblick. Oftmals sind es die kleinen Dinge, die das Buch so liebenswert machen, wie die Erwähnung der Mäuse und ihrem Treiben, wie überhaupt die Natur mit Tieren und Pflanzen eine eigene Rolle im Personal des Romans haben dürfen: "Im Oktober, wenn die Ulmen ihre Blätter abwarfen und die Eichen von einem Tag auf den anderen gelb wurden, kamen die Mäuse aus dem hohen Gras am Flussufer und machten sich auf die Suche nach einem Unterschlupf. Die Mädchen in St. Anne's fanden sie oft in den Schubladen ihrer Kommode oder eingekringelt in ihren Schuhen neben dem Bett." An diesem Beispiel zeigt sich auch, dass es der Autorin nicht um Tempo geht, sie ist mehr daran interessiert, zu beobachten und daran zu erinnern, was zu Beginn des Herbstes geschieht. Ein weiteres Beispiel zeigt eine sensible Autorin, der es gelingt mit kleinen Sätzen große Wirkung zu erzielen: "So ist das Leid: Es verfolgt den, der vor ihm flieht, und hinterlässt eine endlose Spur der Trauer." Wer Alice Hoffman als Autorin noch nicht kennt, dem sei dieses 352 Seiten starke Buch empfohlen, wer sie kennt, wird es ohnehin lesen.

Der Flusskönig

Katatonie

Der New Yorker Peter Moore Smith macht uns in seinem Debütroman mit den Untiefen des menschlichen Gehirns und der Psyche bekannt. "Die vergessene Zeit" erzählt die Geschichte zweier sich ungleicher Brüder und ihrer Familie, den Airies. Einst bestand diese aus den Eltern und drei Kindern, bis die kleine Tochter Fiona eines Abends spurlos verschwand und ihr Schicksal nie aufgeklärt werden konnte. In der Folge trennten sich die Eltern. Der ältere Bruder Eric entwickelte einen extremen Ehrgeiz und wurde Gehirnchirurg. Seinem Bruder Pilot dagegen gelang es nicht, Fuß zu fassen. Die Handlung setzt 20 Jahre nach dem Verschwinden Fionas ein. Pilot kommt mit seinem Leben nicht mehr klar, Eric holt ihn nach Hause. Die Mutter leidet an einer unerklärlichen Sehschwäche, sie nennt es "Gespenster sehen". Eines Tages, Pilot ist auf dem Weg die Mutter abzuholen, kommt er nicht am Ziel an. Drei Tage später wird er im Wald, der an das Grundstück der Airies grenzt, aufgefunden. Er hat einen psychotischen Schub erlitten und wird in die Psychiatrie eingewiesen. Die Diagnose lautet zunächst Schizophrenie. Doch zweifelt die Therapeutin Katherine, ob Pilot wirklich schizophren ist und beschäftigt sich deshalb mit dem Geschehen um Fionas Verschwinden. Sie beginnt nachzuforschen. 20 Jahre lang Katatonie, 20 Jahre lang Stillhalten der Beteiligten, 20 Jahre lang Verdrängungsmechanismen, und dann das Bewusstwerden der Erinnerung, so könnte man den Roman auch beschreiben. Der Originaltitel ist "Raveling", was so viel heißen kann wie "verwirrend". Verwirrend sind die Fallstricke unseres Gehirns und die Täuschungen, denen Erinnerungen erliegen können bzw. die Unsicherheiten an einer Erinnerung. Die Protagonisten sind verwirrt, nicht unbedingt in einem krankhaften Sinn. Doch verwirrt, weil plötzlich Gedanken und Gefühle auftauchen, vor denen sie immer geflüchtet waren. Es ist, als hätte Fiona beschlossen, dass 20 Jahre Geheimnis genug sind, und die Wahrheit nun ans Licht muss. Es ist natürlich nicht Fiona, sondern Pilot, der die Dinge in Gang bringt. Sein Unterbewusstsein und seine Therapeutin ermuntern ihn, die erlebte Wahrheit ans Licht kommen zu lassen, das Knäuel von Gefühl und Erinnerung, von Täuschung und Realität zu entwirren. Ungewöhnlich ist die Erzähltechnik von Smith. Der Roman ist aus der Sicht Pilots erzählt, doch in verblüffender Weise besteht die Erzählhaltung sowohl aus der ersten und der dritten Person und trägt erheblich dazu bei, die Motivation des Buches zu beschreiben und real zu machen. Der Leser ist zunächst irritiert, erkennt jedoch sehr schnell, dass das Buch und der Spannungsverlauf von diesem stilistischen Mittel lebt und profitiert. Zudem gelingt es Smith einen Begriff darüber zu vermitteln, wie man sich wohl unter dem Einfluss von Psychopharmaka fühlt. Dieser psychologische Roman entwickelt auf den letzten 100-150 Seiten die meiste Spannung, zuvor glaubte der Leser sich ein Bild machen zu können, die Geschehnisse einordnen zu können. Doch dann kommt plötzlich Unsicherheit auf, denn immer dann, wenn man glaubt, die Lösung zu kennen, wird sie wieder in Frage gestellt.

Die vergessene Zeit