Venedig sehen und dort leben
"Ich war in Venedig. Ich fühlte mich zu Hause", schreibt Giovanni Monanaro in "Warten auf Marie" in der vorliegenden literarischen Einladung des Wagenbach-Verlages. Die Herausgeberin, Susanne Müller-Wolff, die selbst in Venedig gelebt hat, betont in ihrem Vorwort, dass die vorliegende literarische Einladung weniger von Reisenden und Bewunderern der Stadt als vielmehr von überwiegend italienischen Autoren, die selbst in Venedig gelebt haben oder sogar dort geboren wurden, ausgesprochen wird. Die kurzen Ausschnitte aus Texten, die sich mit der Lagunenstadt beschäftigen, sind sämtlich nach 1945 entstanden, schildern die Serenissima also quasi aus heutiger Sicht, eine Geschichte sogar im Jahre 2027.
Die Pferde von Venedig
Die Gewohnheit sei eine Feile, schreibt Diego Valeri in seinem Porträt Venedigs, aber Venedig sei so beschaffen, dass es "ständig die Aufmerksamkeit jedes Einheimischen oder Fremden, der seinen Blick auf einige der tausenderlei Gestalten und Lebensformen richtet, erweckt und magisch festhält". In Venedig wird das Auge also geschult und man sieht statt den vier Pferden auf der Basilica bald fünf, aber eigentlich sind es sogar sechs, wenn man genauer hinauschaut. Venedig ist eigentlich "die jüngste der antiken italienischen Städte", schreibt Valeri, aber sie biete Artefakte aus der ganzen Welt und allen Zeiten, denn die Seefahrerrepublik war immer kosmopolitisch und international. Auch Jean Cocteau habe die Stadt sehr geschätzt und von ihr geschwärmt, da dort die Tauben zu Fuß gingen und die Löwen Flügel hatten. Die vollkommen "menschengerechte Stadt", wie Gianfranco Bettin sie nennt, ist in humanistischen Dimensionen gebaut, denn alles ist zu Fuß erreichbar. Nur Touristen nehmen die ohnehin überfüllten Vaporetti, die ohnehin länger brauchten als per pedes über eine der unzähligen Brücken zu schreiten (Paolo Barbaro nennt alle 400).
Das Große Wasser
Am Sonntag erwache die Stadt vornehmlich beim Läuten unzähliger Glocken "als vibriere hinter deinen Gazevorhängen ein gigantisches Teeservice aus Porezellan auf einem silbernen Tablett im perlgrauen Himmel", schwärmte einst Joseph Brodsky sowie Peggy Guggenheim sich geehrte fühlte, dass auf den Wegweisern der Biennale auch ihr Name stand, ganz so als würde es sich ebenso um ein europäisches Land handeln. Im Jahr des größten Hochwassers, 1966, gab es in Venedig noch 14 Kinos, schon dreißig Jahre später waren es nur mehr fünf, weiß Roberto Bianchin in "Das Große Wasser". Erst am 4. November, also vor 51 Jahren, ging der Wasserspiegel wieder zurück und die Menschen konnten wieder aufatmen, außer in Pellestrina, wo das Meer ein ganzes Dorf verschluckt hatte. Einen tollen Übergang findet die Herausgeberin zwischen der Geschichte von Daniele del Giudice und Andrea Zanzottos Erzählung und Gaston Salvatore weiß, dass die Maueröffnung in Berlin auch konkrete Vorteile für die Besucher des Café Florian und Café Quadri am Markusplatz hatte. Simonetta Greggio verrät uns, dass es die besten Focacce in der Pasticceria Tonolo und die süßesten bei Nino Coluss in San Barnabo gibt. Im Gasthaus Madonna dell’Orto soll man auch heute noch gut essen. Venedig ist für sie ohnehin "ein geteiltes Geheimnis".
Weiße Laken und schwarze Autos
"Nizioleti" heißen die weißen Hinweistafeln in Venedig, die die Straßennamen angeben, also "kleine Laken", denn sie sind weiß wie Schnee. In Antonio Scuratis futuristischer Geschichte, die im Jahre 2027 spielt, ist Venedig zum Protektorat Chinas geworden und natürlich findet auch der Karneval und ein Rezept der Sarde sogar noch Platz in dieser literarischen Einladung in die schönste Stadt der Welt, die jeden Tag den Feinstaub von 14'000 Autos abkriegt, wenn wieder ein Kreuzfahrtschiff den Canale della Giudecca passiert, wie Roberto Ferrucci beklagt. Thomas Morus definierte die Utopie als ein Gemeinwesen, welches sich auf die Kultur gründe und von Wasser umgeben sei. Venedig erfüllte wohl die besten Voraussetzungen dafür, wenn nur die Verantwortlichen endlich etwas unternähmen und die Stadt vor den Kolossen retten würde, lange Zeit ist bis 2027 ja nicht mehr...
Laut Agenturmeldung vom 8.11.2017 hätte sich die Vernunft aber doch noch durchgesetzt.
Die literarische Einladung Venedig vereint Autoren wie Roberto Ferrucci, Andrea Molesini, Giovanni Montanaro, Daniele del Giudice, Cesarina Vighy, Ginevra Lamberti, Antonio Scurati, Andrea Zanzotto, Diego Valeri, Roberto Bianchin, Gianfranco Bettin, Enrico Palandri, Tiziano Scarpa, Joseph Brodsky, Donna Leon, Peggy Guggenheim und Ulrich Tukur in einem Band, der daran erinnert, welches Paradies vor unseren Augen liegt.
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