Wohin treibt die katholische Kirche?
Einige Jahre lang fand eine besonders aus religionswissenschaftlicher Sicht höchst bemerkenswerte Diskursveranstaltung in der katholischen Kirche in Deutschland statt. Mit dem Skandal des sexuellen Missbrauchs begründet tagten viele Jahre lang Bischöfe, Theologen, Funktionäre und Laien regelmäßig und berieten über Reformen in der Kirche, die für viele Außenstehende mit den Straftaten Einzelner kaum in Verbindung zu stehen schienen. Breit wurde der "Synodale Weg", vorstellbar als eine "anders katholisch" (Bischof Bätzing) imprägnierte religiöse Parallelgesellschaft, in den Medien erörtert. Umstrittene Thesen wurden diskutiert, als seien sie absolut gültige Wahrheiten. Etliche Statements von Aktivisten im Umfeld hatten Bekenntnischarakter, so etwa die Forderung der Vorsitzenden des "Zentralkomitees der deutschen Katholiken", Irme Stetter-Karp, die leidenschaftlich für die Einrichtung von flächendeckenden Möglichkeiten für Abtreibungen warb. Viele Christen, aber auch Agnostiker und Andersgläubige begleiteten diesen höchst speziellen Auftritt von binnenkirchlichen Kirchenkritikern mit Skepsis. Der vorliegende Aufsatzband leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über diese denkwürdige Veranstaltung in der Kirchenprovinz Deutschland.
Die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz fragt zu Beginn mit Blick auf die dortigen Diskurse pointiert: "Wer hätte vor wenigen Jahren gedacht, man müsse die Zweigeschlechtlichkeit von Mann und Frau verteidigen?" Sie fragt zudem: "Gibt es also doch Geschlecht?" Zumindest dann, so Gerl-Falkovitz, wenn man das Naturrecht, die Bibel und die Schöpfungsordnung ernst nimmt. Die Auflösung der biologischen Geschlechter in den sogenannten Humanwissenschaften, die von Michel Foucault inspiriert sind, halten viele Autoren in diesem Band für einen zeitgenössischen Irrweg, ja für eine säkulare Agenda, die in der Politik allgegenwärtig ist und nun auch kirchenpolitisch breit erörtert wird. Ludger Schwienhorst-Schönberger indessen hält an der "binären Geschlechterkonstellation" fest, die nicht nur in der Bibel, sondern auch in der griechischen Philosophie bestehe. Zugleich weist er Deutungen ab, die in biblische Freundschaftserzählungen die Apologie homoerotischer Wirklichkeiten hineinlesen. Auch in jenen Beziehungen träten Formen spezifischer Freundesliebe auf, die aber die "Tiefe personaler Beziehungen" zeige, nicht den "Vollzug sexueller Akte": "Im Horizont biblischer Anthropologie ist es also möglich, im Zusammenhang einer gleichgeschlechtlichen Freundschaft von Liebe zu sprechen. Doch diese Konstellation wird nicht mit jener Beziehung auf eine Ebene gestellt, die in einer heterosexuellen Konstellation als Ehe verstanden wird." Eine "Intensität der Beziehung" könne auch auf gleichgeschlechtlicher Ebene bestehen, deswegen führe dies aber nicht zu einem "Vollzug sexueller Handlungen". Sichtbar wird eher die Fixierung des postmodernen Denkens auf sexuelle Akte und eine Blindheit für die Tiefe der Bibel.
Im Sog der postmodernen Beliebigkeit wird das Ich zum letzten Gradmesser, vielleicht auch die herrschende oder medial verbreitete Meinung.
Der Theologe Christian Schaller, ein international anerkannter Experte für die Schriften Joseph Ratzingers, betont: "Die Auflösung der Geschlechter ist letztlich die Rückführung des Menschen in eine innerweltliche Verfügbarkeit – Mann- und Frausein sind nicht gottgewollt, sondern unterliegen den gestalterischen Möglichkeiten von menschlichem Konstruktionswillen –, die, denkt man konsequent weiter, Abhängigkeiten schafft, Unfreiheit erzeugt und die Freiheit des Christenmenschen untergräbt. Eine Freiheit, die in einem Geschaffensein gründet und ihn unverfügbar werden lässt. Seine Würde erhält der Mensch als Mann und Frau aus dieser Ur-Ordnung am Anfang allen Seins." Schaller – und mit ihm viele andere Autoren – tritt biblisch reflektiert und theologisch fundiert für die Lehre der Kirche ein.Der Dogmatiker Karl-Heinz Menke analysiert die Machtbestrebungen auf dem Synodalen Weg in Deutschland und erkennt einen Bindungsverlust an die Dogmen der Kirche. Die subjektive Plausibilität wird ins Spiel gebracht und gilt als "Instrument der Macht": "Man setzt auf die Eigendynamik dialogischer und synodaler Prozesse, auf die Implantierung demokratischer Spielregeln und auf die Relativierung alles Dogmatischen und Institutionellen zugunsten der inneren Überzeugung des je Einzelnen." Im Sog der postmodernen Beliebigkeit wird das Ich zum letzten Gradmesser, vielleicht auch die herrschende oder medial verbreitete Meinung. Dies reiche bis hin zur "Definition des eigenen Geschlechts". Zudem beschreibt Menke das Denken der Gegenwart: "Es ist die Intention des einzelnen Menschen, die darüber entscheidet, ob ein sexueller Akt erlaubt ist oder nicht." Wenn sich, so sind die Autoren dieses Bandes überzeugt, die katholische Kirche daran anpasst, wendet sie sich ab vom Evangelium Jesu Christi, von der Bibel und von der verbindlich gültigen Lehre der Kirche und begibt sich in ein bunt illuminiertes Land säkularer Fantasien und Illusionen. Menke kritisiert eindeutig die "Tendenztheologie", die an vielen Fakultäten und auch in zahlreichen Ordinariaten der Kirche in Deutschland vorherrscht. Spielt die Frage nach Gott in den christlichen Kirchen heute eigentlich noch eine Rolle? Das mag so mancher Beobachter und Leser erwägen.
Wer heute einfach "anders katholisch" sein möchte, ist möglicherweise noch irgendwie Christ, aber vielleicht nicht mehr römisch-katholisch.
Zahlreiche Personen, die öffentlich als Vertreter der deutschen Katholiken auftreten, scheinen einen zweiten Reformationsprozess initiieren zu wollen. Andere sehen nur eine Anpassung an eine bestimmte Variante des virulenten säkularen Zeitgeistes. Zugleich zeigt sich bei Protagonisten dieser Bewegung, wenn man die Lehre der Kirche berücksichtigt, eine Entfremdung vom Zweiten Vatikanischen Konzil.Für Religionswissenschaftler sind diese binnenkirchlichen Gesprächsprozesse höchst interessant, zeigen sie doch eine Selbstauflösung des christlichen Glaubens in Deutschland an. Aber ist dieser Diskursprozess wirklich repräsentativ für die Lage der katholischen Kirche? Der Aufsatzband dokumentiert fundierte kritische Einwendungen zu gegenwärtigen Strömungen im deutschen Katholizismus, die – sehr wahrscheinlich – auch von der Mehrheit der Gläubigen nicht getragen werden. Der instruktive Band verdient eine breite Rezeption. Wer angesichts bestehender Diskurse in der katholischen Kirche sich fundiert informieren und nicht der Meinungsflut sowie dem Mainstream huldigen möchte, sollte diesen eminent wichtigen Band zur Kritik des Synodalen Weges lesen. Nach der Lektüre dieses Buches entsteht der Eindruck: Wer heute einfach "anders katholisch" sein möchte, ist möglicherweise noch irgendwie Christ, aber vielleicht nicht mehr römisch-katholisch.
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