Unternehmerische Handlungsspielräume in der NS-Diktatur
Branchenuntersuchungen haben in der aktuellen Wirtschaftsgeschichtsforschung Konjunktur. Nachdem Gerd Höschle im Sommer letzten Jahres seine Dissertation über die Textilindustrie in der Zeit von 1933 bis 1939 vorgelegt hat und Paul Erker jüngst die deutsche und amerikanische Reifenindustrie im 19. und 20. Jahrhundert vergleichend betrachtete, liegt nun die Dissertation von Michael C. Schneider vor.
Anhand dreier Unternehmen der Maschinenbauindustrie in Chemnitz lotet der Autor die Handlungsspielräume der Unternehmer in der nationalsozialistischen Diktatur aus. "Sie fragt vergleichend nach Zielen und Strategien [...] sowie den Chancen ihrer Umsetzung in den verschiedenen Phasen des NS-Regimes, der Bereitschaft der Unternehmensleitungen, ihre Strategien an die Wirtschaftspolitik des NS-Staates anzupassen, aber auch Differenzen zwischen den Zielen der NS-Wirtschaftspolitik und jenen der Unternehmen, wie auch den ihnen zugrund liegenden Gründen". Da die Maschinenbauindustrie zum einen noch gänzlich unerforscht ist und zum anderen eine Schlüsselstellung in der Rüstungsindustrie einnahm, eignet sie sich hervorragend für die Beantwortung der obigen Fragen. Bevor Schneider in medias res geht, erfolgen einige theoretische Vorbemerkungen. "Unternehmen" versteht Schneider als funktionale und soziale Organisationen, die auch in der NS-Wirtschaftspolitik Autonomie besaßen und an langfristiger Profitabilität interessiert waren. Schneider geht also von einem Idealtyp des Unternehmens, wie er in der Markwirtschaft am ehesten erscheint, auch für das NS-System aus, um so die Abweichungen deutlicher benennen zu können.
Die ausgewählten Unternehmen, namentlich die Astrawerke AG, die Wanderer Werke AG und die Maschinenfabrik Kappel AG werden in den einzelnen Kapiteln, die durchweg chronologisch aufgebaut sind, näher untersucht. Die Ergebnisse bringen zum Teil neue Impulse für die Erforschung der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik. So machte sich die partielle Suspendierung unternehmerischer Autonomie am stärksten auf dem Gebiet der Personalpolitik der Wanderer Werke AG bemerkbar. Der Druck des Gauwirtschaftsberaters sowie der Gauleitung, jüdische Vorstandsmitglieder zu entlassen, wurde nach 1933 immer größer. Bei den beiden anderen untersuchten Unternehmen fanden keine Interventionen in der Personalpolitik statt, da diese keine Juden in den höheren Leitungsebenen beschäftigten. Im Bereich der Produktion konnten die Unternehmen weitestgehend ihr angestammtes Profil beibehalten, wenngleich eine stärkere Ausrichtung auf Rüstungsgüter zu beobachten ist. Jedoch meist nicht aufgrund einer ideologischen Nähe zum NS-Regime, sondern vielmehr wegen der lukrativen Gewinnmöglichkeiten. Warum Michael C. Schneider nicht näher auf die aktuelle wirtschaftshistorische Forschung Bezug nimmt und beispielsweise die Bruttoanlageinvestitionen der drei Firmen näher untersucht, ist nicht nachvollziehbar, denn so hätte eine noch genauere Ortsbestimmung der Unternehmensentscheidungen in der NS-Diktatur erfolgen können.
Keines der untersuchten Unternehmen profitierte von regionalen Netzwerken. Die Verbindungen der Firmenleitungen nach Berlin, wo alle wichtigen Entscheidungen getroffen wurden, waren weitaus wichtiger als "Verbindungen in die unmittelbare Region". Insgesamt bewertet Michael C. Schneider das Verhältnis zwischen Unternehmen und NS-Staat anhand seiner Fallbeispiele wie folgt: Die Unternehmerische Autonomie unterlag nach der Machtübernahme (der Autor spricht leider immer noch von Machtergreifung) einem stetigen Autonomieverlust, "bis sie schließlich in der Phase des "totalen Krieges" dort suspendiert war, wo es um die Festlegung des Produktionsprofils ging". Unternehmen blieben die gesamte NS-Zeit über "Unternehmen", weil sie jederzeit strategische Planungen anstellen konnten. Zumindest für die Maschinenbauindustrie in Chemnitz konnte dies bewiesen werden. In anderen, vor allem nicht rüstungsrelevanten Branchen, kann dies aber nicht bestätigt werden. Hier kam es bereits 1934 zu umfassenden staatlichen Interventionen. Diese betrafen nicht nur die Rahmenbedingungen, sondern auch den Produktionsprozeß und das Produktionsprofil. Die generellen Aussagen von Michael C. Schneider in seiner Zusammenfassung müssen also an dieser Stelle teilweise relativiert werden. Insgesamt aber ist dem Autor eine profunde Studie gelungen, die auf umfangreichem Quellenmaterial basiert und dem großen Puzzle "NS-Wirtschaftssystem" ein weiteres Stück hinzufügt.
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