Hoffnung auf Zukunft
In seinem neuen Roman erzählt der österreichische Schriftsteller Arno Geiger von Menschen, die im Jahr 1944 in einem kleinen Ort namens Mondsee bei Salzburg zu Füßen der Drachenwand versuchen, in einer Atempause des Zweiten Weltkrieges zu sich selbst zu finden.
Hauptperson ist der ich-erzählende kriegsversehrte Soldat Veit Kolbe. An der Ostfront schwer verletzt worden, reist er auf Anraten eines Hauptmannes im Lazarett nach Mondsee aufs Land, wo ihm ein Onkel, der dort als Postenkommandant Dienst tut, eine Unterkunft verschafft. Kolbes Vermieterin ist eine bösartige Frau, die ihm während seines gesamten Aufenthalts das Leben schwer macht. Richtig gefährlich werden kann ihm allerdings der Mann der Vermieterin, ein fanatischer Nazi, der bei seinen Heimaturlauben alle mit Durchhalteparolen quält.
Veit Kolbe leidet, so würde man es heute nennen, unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, hat immer wieder Panikattacken und kann ohne das Medikament Pervitin nicht sein. Er hat auf dem Weg der Wehrmacht nach Osten alles gesehen, "was niemand sehen will". Massenerschießungen von Juden, die wahllose Zerstörung von Dörfern und die Liquidierung unzähliger Zivilisten haben sich in sein Gedächtnis eingebrannt und er wird die inneren Bilder einfach nicht los.
So wie sein literarischer Schöpfer selbst es einmal von sich sagte, versucht auch Veit Kolbe mit Schreiben diese Leerstellen des Grauens zu füllen und zu bannen. Er hofft, dass sein Genesungsurlaub so lange dauern wird, bis der Krieg zu Ende ist, und er tut auch einiges selbst dafür, ihn immer wieder zu verlängern. Dennoch schwebt die Rückkehr an die für ihn dann sicherlich tödliche Front wie ein Damoklesschwert über ihm und bedroht die zarten Pflänzchen der Liebe, die mit der in der Wohnung neben ihm zusammen mit ihrem Baby wohnenden Margot aus Darmstadt keimen.
Langsam lässt Arno Geiger ihre Beziehung sich entwickeln. Ähnlich behutsam führt er sukzessive weitere Personen in seinen dichten Roman ein. Da sind die Mädchen im Lager Schwarzindien, die aus verschiedenen Städten des Reichs dorthin gebracht wurden. Insbesondere das Schicksal des Mädchens Nanni Schaller bewegt ihn und seinen Erzähler, denn als es spurlos verschwindet, sind nicht nur die Bewohner Mondsees erschüttert, sondern auch der Cousin des Mädchens, dessen zahllose unbeantwortete Briefe von der Front an seine Freundin Geiger dokumentiert. Er wechselt auch immer wieder nach Darmstadt, der Heimat von Margot, und lässt deren Mutter, die ihr Überleben in einer von Bomben gänzlich zerstörten Stadt zu organisieren sucht, zu Wort kommen.
Und da ist der "Brasilianer", ein aus Brasilien zurückgekehrter Auswanderer und Bruder der garstigen und fanatischen Vermieterin. Veit Kolbe und Margot freunden sich mit dem regimekritischen Reformbiologen an, und führen, als er wegen einer abfälligen Bemerkung über das Regime für sechs Monate in Haft kommt, sein Gewächshaus weiter.
Doch der wichtigste Erzähler neben Veit Kolbe ist wohl der jüdische Zahntechniker Oskar Meyer. Er ist mit seiner Familie nach langem Zögern aus Wien nach Budapest geflohen, wo er als Zwangsarbeiter zufällig auf Veit Kolbe trifft. Sonst allerdings gibt es keine Verbindung zwischen Oskar Meyer und dem Geschehen am Mondsee.
Selten habe ich die inneren Nöte einer jüdischen Familie, die versucht, sich vor der tödlichen Gefahr der Nazis zu retten, so eindringlich und unter die Haut gehend beschrieben gelesen wie in den Schilderungen von Arno Geiger.
Nachdenklich und eindrücklich erzählt Arno Geiger vom Krieg und von Menschen, die die Hoffnung nicht aufgeben, dass es nach dem Ende des Krieges eine Zukunft für sie geben kann. Wenn er in einer Nachbemerkung zu seinem Roman das Leben bzw. Sterben dieser fiktiven Figuren nach dem Krieg dokumentiert, verleiht er ihnen eine Form von Realität, die weit über die Fiktion hinausgeht und weit mehr ausdrücken möchte als ein herkömmliches versöhnliches Ende. Es ist Hoffnung auf Zukunft trotz dem gerade zu Ende gegangenen Schrecken.
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