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Lesley M. M. Blume: Und alle benehmen sich daneben

Hemingway: Ikone der Männlichkeit im Wanken

Im Vergleich zu Fitzgerald ("The Great Gatsby") sei Hemingway kein Strauss gewesen, der eine große Tradition zur Vollendung brachte, sondern ein Strawinsky. Sein Stil war nicht altmodisch, sondern virtuos und nicht nur der Verlagsleiter Scribner würde wohl zustimmen, wenn man Hemingway bezichtigte, das für die Literatur getan zu haben, was Picasso für die Malerei getan hat, wie Lesley M. M. Blume in ihrem Vorwort prahlend schreibt. Ihre Untersuchung will klären, wie Ernest Hemingway zu dem wurde, als das er in die Geschichte eingegangen ist und welchen Zufällen damals die wichtigste Rolle zukam.

Mit 22 1921 arm in Paris

Als Hemingway 1921 im Alter von 22 Jahren mit seiner Ehefrau Hadley in Paris ankam, fanden sie eine weit weniger gloriose Zukunft vor sich, als das, was man sich heute unter dem Paris der Zwanziger vorstellt. Die Stadt und ihre Bewohner litten immer noch unter den Folgen des Krieges und nur für die aus dem Ausland kommenden Amerikaner war die Stadt ein "Fest fürs Leben", wie der Untertitel zu seinem wohl bekanntesten Roman lautet. 1925 sollen schätzungsweise 5'000 Amerikaner jede Woche in Paris angekommen sein, weil Paris für US-Amerikaner in den Twenties unverschämt billig war und das zog eben nicht nur reiche Amerikaner an, sondern auch arme. Zu letzterer Kategorie hätte man 1921 auch das Ehepaar Hemingway zweifellos gezählt, hätte man nicht inzwischen herausgefunden, dass nur ihr Lebensstil ärmlich war und nicht ihre Einkommensverhältnisse. Die acht Jahre ältere Hadley "Hash" Richardson-Hemingway hatte regelmäßige Einkünfte aus einem Treuhandfonds, die sie bereitwillig mit Ernest teilte. Der Journalist für den Toronto Star schien ihr ein vielversprechender Schriftsteller zu sein, an den sie glaubte. Damit war sie sicherlich nicht die erste Frau, die hinter einem erfolgreichen Mann stand. 1927 - nur wenige Jahre nach der "Paris-Erfahrung" - war ihre Ehe ohnehin Geschichte.

In Paris: Amerikaner unter sich

Minutiös schildert die Autorin, wie sich Hemingway die richtigen Kontakte verschaffte, um seine Karriere zu befördern. Sobald er in den angesehenen Gertrude Stein Kreis aufgenommen wurde, winkten auch schon die Verlage mit Verträgen und das obwohl Hemingway eigentlich erst Kurzgeschichten verfasst hatte. "Er machte ungeniert Anleihen bei ihr, begann aber, ihre Ideen zu hemingwayifizieren, indem er sie alle subtiler, attraktiver, zugänglicher machte", schreibt Blume. Faszinierend sind die Einblicke, die die Autorin in die kleine, amerikanische Gemeinde in Paris gewährt und authentisch deren Beziehungen inklusive unerwarteter Inkriminierungen untereinander schildert. So soll Hemingway Fitzgeralds Frau Zelda schon bei der ersten Begegnung gehasst und damals schon prophezeit haben, dass diese ihn vernichten werde. Aber vielleicht waren es gar nicht die Frauen, die daran die Schuld trugen, dass die größten Talente verschwendet wurden: "Es war nicht mehr ihr Fehler, dass sie betrunken, ziellos und destruktiv waren; sie waren durch einen schändlichen Krieg und die fehlerhaften Institutionen ruiniert worden, die dem Leben einen Sinn zu geben pflegten.", schreibt Blume über die Generation, für die Ernest Hemingway zum Protagonisten wurde: der Lost Generation.

Protagonist der Lost Generation

Im Mittelteil des vorliegenden Buches befindet sich auch ein "Familienalbum" der kleinen amerikanischen Gemeinde und Beery-poppa und Feather-kitty im Paris der Zwanziger. Eine gut recherchierte mit vielen Quellen ausgestattete Biographie einer engagierten Frau über die Ikone der Männlichkeit. "Ich habe Interviews mit den Nachfahren dieser Leute geführt und nachgeforscht, wie ihr Leben weiter verlief, und habe festgestellt, dass ihr Auftritt in dem Roman "Fiesta" jeweils großen Einfluss auf ihr weiteres Schicksal hatte. Manchen von ihnen gelang es nie mehr, sich aus dem Schatten des Romans zu befreien. In Hemingways Augen waren das Kollateralschäden. Schließlich revolutionierte er die Literatur, und bei jeder Revolution rollen Köpfe", so die Autorin in einem Interview über ihr Buch.


von Juergen Weber - 22. Juli 2017
Und alle benehmen sich daneben
Lesley M. M. Blume
Jochen Stremmel (Übersetzung)
Und alle benehmen sich daneben

Wie Hemingway seine Legende erschuf
dtv 2017
Originalsprache: Englisch
511 Seiten, gebunden
EAN 978-3423281096