Kein Platz für Rüpel
Ist in einer Welt, in der wir einerseits nahezu täglich rüde Umgangsformen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft beobachten und mit Respektverfall, asozialem Verhalten und Gleichgültigkeit konfrontiert werden, ein Buch über Umgangsformen überhaupt noch zeitgemäß? Andererseits wünschen sich laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov 75 Prozent der Deutschen "Benehmen" sogar als Schulfach und sind offensichtlich der Meinung, dass gute Umgangsformen im Privat- und Berufsleben noch immer enorm wichtig sind.
"Umgangsformen sind eine Ausprägung von Höflichkeit und Rücksichtnahme. Sie erleichtern das Zusammenleben – Robinson brauchte auf seiner Insel keine Umgangsformen, bis Freitag kam. Sie vermeiden Misshelligkeiten, schaffen eine angenehme Atmosphäre und nehmen für die Person ein, die sie beachtet. Sie sind nicht genetisch bedingt, sondern können erlernt werden. Durch dieses Buch zum Beispiel." Mit dieser Feststellung leitet Wolfgang Schultheiß – jahrzehntelang im diplomatischen Dienst Deutschlands im In- und Ausland tätig, somit auch im Umfeld von Protokoll und Etikette, u. a. als Botschafter und Leiter der Auslandsabteilung des Bundespräsidialamts und damit außenpolitischer Berater sowie Begleiter der Bundespräsidenten Rau und Köhler auf allen ihren Auslandsreisen und gesellschaftlichen Terminen – das Vorwort zu seinem Buch ein. Er betont, dass der richtige Umgang mit Menschen nicht an gesellschaftliche Schichten oder Berufe gebunden sei, sondern letztlich eine Frage der inneren Einstellung ist. Es geht primär darum, die Rechte und Gefühle anderer zu respektieren. Gutes Benehmen sagt zwar nichts über die Qualität eines Menschen aus, öffnet diesem aber doch so manche Türen – privat und im Beruf – und ist bei nicht wenigen Vorstellungsgesprächen und Personalentscheidungen ein wichtiger Wettbewerbsfaktor.
Das Buch versteht sich keineswegs nur als Ratgeber für Politiker und Diplomaten, sondern richtet sich im Grunde an jeden, vom Berufsanfänger bis hin zum Vorstand und Firmenchef. Eben weil Umgangsformen sich längst nicht nur in strikten und immer gültigen Anstandsregeln bzw. nur in einem dogmatischen Formenzwang erschöpfen, sondern eher situations- und rollenabhängig praktiziert werden, führt die Anwendung der Regeln des Etiketts oftmals zu Unsicherheiten. Umso größer ist der Bedarf für einen Ratgeber, der traditionelle und moderne Etikette-Regeln, berufliche und private Umgangsformen und Kommunikationsstrategien sowie nationale und interkulturelle Verhaltenserwarten systematisch aufgreift.
Das vorliegende Werk hilft hier weiter, indem es umfassend und kenntnisreich eine breite Palette einschlägiger Themen anspricht und zahlreiche praktische Problemlösungen anbietet, u. a.:
Haltung und Kleidung: Stehen, Sitzen, Körpersprache, äußeres Erscheinungsbild, Dresscodes und Orden. – Beispiele: Lieber "overdressed" als "underdressed"? Was verbirgt sich hinter den Dresscode-Hinweisen Informal/Informell, Casual, Sportlich, Smart casual, Creatice casual, Business casual, Casual day oder Casual Friday, Come as you are, business suit, tenue de ville?
Begrüßung: Reihenfolge. Was sagt man? Wie grüßt man? Wie stellt man sich und andere vor? Duzen und Siezen. – Beispiele: Welche Amtsbezeichnungen bzw. Adelsbezeichnungen und formelle Anreden sind gebräuchlich? Wie wird die Visitenkarte bei gesellschaftlichen und beruflichen Anlässen im In- und Ausland richtig eingesetzt?
Rangordnung und ihre Folgen: Vortritt. Aufstehen oder sitzen bleiben? Ehrenplatz. (Staats-)Protokoll. – Beispiele: Wer geht beim Betreten eines Restaurants oder auf einer Treppe üblicherweise voran? Wo ist der Ehrenplatz beim Gehen, Stehen und Sitzen? Wer steht bei einer Begrüßung auf oder bleibt sitzen?
Tischordnung: Grundregeln. Geschäftsessen. Delegationsessen und Hochzeitstafel. – Beispiele: Wie wird die Tischordnung bei einem Zehner- oder Zwölfer-Tisch arrangiert? Sollen Ehepaare nebeneinandergesetzt werden?
Tischmanieren: Sitzen bei Tisch. Servieren und nehmen. Gebrauch des Bestecks. Brot, Frühstücksei und weitere Fragen. Trinken. Im Ausland. – Beispiele: Wünscht man sich noch "Guten Appetit", bevor man zu essen beginnt? Ist es vornehmer, immer mit Messer und Gabel zu essen? Wie signalisiert die Ablage des Bestecks der Hausfrau, dass Sie noch etwas essen wollen, und dem Kellner, dass er Ihnen den Teller noch nicht wegnehmen soll? Und wann kann ich mit den Fingern essen?
Wir laden ein: Einladungsliste und Einladungskarte. Was biete ich an? Wie decke ich den Tisch? Menü- und Tischkarten. Der Ablauf des Abends. Ein Empfang. – Beispiele: Wen kann und sollte man einladen? Wie gestalte ich die Menü- und Tischkarten? Was kann man nach dem Essen zum Kaffee und "Pousse-café" anbieten?
Wir werden eingeladen: Vor dem Essen. Bei Tisch und danach. Wir gehen zu einem Empfang. – Beispiele: Was kann man als Gastgeschenk mitbringen? Welche Themen sind bei der Konversation eher zu meiden? Welche Regeln gelten für Tischreden?
Fragen des Alltags: Geschenke. Komplimente. Gesundheit. Im Restaurant. Kirche und Theater. Zu Hause. Beflaggung. – Beispiele: Wann kann ich sogar Geld schenken? Wie verfährt man mit dem Bezahlen bei einer geschäftlichen Einladung ins Restaurant oder wenn man mit einer Gruppe unterwegs ist? Erhält der Inhaber eines Restaurants Trinkgeld? Wovon hängt die Höhe des Trinkgelds ab?
Kommunikation: Briefe. E-Mails. Der Umgang mit dem Handy. Telefonieren. Textnachrichten. Netiquette/Soziale Netzwerke. Reden. – Beispiele: Werden akademische Grade, Berufs- oder Amtsbezeichnungen beim Absender und in der Anschrift angegeben und falls ja, auf welche Art und Weise? Welche Regeln sollte man beim Abfassen von E-Mails, im Umgang mit dem Handy und in sozialen Netzwerken beachten?
Im Büro: Kollegen und Vorgesetzte. Besuchsprotokoll. – Beispiele: Wie verfahren Sie als Chef mit Lob, Kritik und Vertrauen? Wie wird ein Besuch anhand eines Besuchsprotokolls vorbereitet?
Englischer Teil: In Zeiten globaler Vernetzung sollte man auch wissen, wie man ausländische Partner auf Englisch anspricht und anschreibt. Deshalb wird beiden Themen noch einige Kapitel gewidmet. – Beispiele: Wie lauten mündliche Anreden, Begrüßungs- und Entschuldigungsformeln? Welche Regeln gelten für Briefe in England und den USA?
Ein informativer Anhang mit vielen Beispielen in deutscher und englischer Sprache sowie mit Auszügen aus dem Knigge, zwei Test-Sketchen und einem detaillierten Register, das hilft, schnell Antworten auf Fragen zu finden, rundet das Werk ab. – Beispiele: akademische Grade, Amtsbezeichnungen, Verdienstorden, häufige Fehler in der Zeichensetzung im Englischen sowie hilfreiche Formulierungen für den privaten wie für den beruflichen Bereich, etwa bei Auskünften, in Briefen oder in Verhandlungen.
Der Verfasser zeigt die alltagstaugliche Summe seiner Erfahrungen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger eines Oberlehrers und nur in einer Richtung diktierend, sondern schreibt elegant, mit viel Esprit, oftmals humorvoll und amüsant. Doch nicht nur der persönliche stilistisch erfrischende Sprachduktus macht den besonderen Reiz dieses Buches aus, sondern die Vielzahl der darin enthaltenen lehrreichen Beispiele, Erfahrungen und Anekdoten aus einem langjährigen Ausflug selbst in Königshäuser. Und Diplomatie, so postuliert der Verfasser, promovierter Jurist, mehrsprachiger Spitzendiplomat, Herausgeber beachtlicher Sammelbände und politischer Buchautor, habe viel mit Umgangsformen zu tun: "In beiden Fällen geht es darum, Konfliktpotentiale zu entschärfen oder erst gar nicht entstehen zu lassen."
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