Meron Mendel: Über Israel reden

Israel im Gespräch

Gelingt es, im persönlichen Austausch, im akademischen Diskurs und in der politischen Debatte kundig, differenziert und sachgerecht über Israel zu reden? Die Hoffnung darauf, dass solches möglich ist oder sein könnte, hegt der 1976 in Israel geborene, seit 2001 in Deutschland lebende Historiker Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main. Sein Buch veranschaulicht die Debatten dieser Zeit, geschichtliche Hintergründe und auch die sensiblen Punkte in den öffentlichen Kontroversen.

Dass Mendels Blick auf den Nahen Osten deutlich biographisch getönt ist, gesteht der Autor gleich zu Beginn des Buches ein. Er erinnert sich an den "Sound von Panzermotoren und Artilleriesalven" in der Kindheit, an die "virtuosen Manöver" der Kampfjets am blauen Himmel über Israel und an die Scud-Raketen, die der Irak im Zweiten Golfkrieg auf Israel abfeuerte: "Zu Hause im Kibbuz hielten wir uns für links, tolerant und weltoffen. Die Lebensrealität war aber wenig bunt: Hier lebten nur Juden – und so ist es bis heute. Arabern begegneten wir nur, wenn wir in die Zelte der benachbarten Beduinen eingeladen waren. … In der Theorie wollten wir alle in Frieden mit den Arabern leben, aber als tatsächlich eine arabische Familie in unseren Kibbuz ziehen wollte, stand ihre Aufnahme nicht einmal zur Debatte." Mendel schildert die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse anschaulich, nuanciert und sensibel. Er vergegenwärtigt behutsam die Situation, die er in seiner Kindheit und Jugend erlebte, die Zuversicht, die durch das Friedensabkommen von Jitzchak Rabin und Jassir Ararat entstand, und die bald enttäuschten Hoffnungen auf eine friedliche Zukunft nach der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten im Jahr 1995. Als Soldat erlebt er die Unruhen in den Palästinensergebieten. Die Rede von der "humanen Besatzung", von der zahlreiche israelische Politiker sprachen, nennt er die "große Lebenslüge vieler Israelis": "Die Erfahrung in Ramallah zeigte mir, dass es so etwas nicht geben kann, denn jedes Besatzungsregime funktioniert nur über die Gewalt der Besatzer und die Angst der einheimischen Bevölkerung." Zugleich weist er darauf hin, dass die Soldaten israelische Siedler gegen palästinensische Angriffe verteidigen mussten. Ebenso gab es Übergriffe gegen die palästinensische Zivilbevölkerung.

Der Nahostkonflikt bleibt Mendel auch lebendige Gegenwart, als er nach Deutschland geht, und dass er sich manchmal wünschte, "keine Meinung dazu zu haben": "Wenn ich über Israel spreche, denke ich an meine Familie und an meine jüdischen und arabischen Freunde dort. Es ist ein permanenter Versuch, meine politischen Urteile mit meiner Empathie für die Menschen vor Ort in Einklang zu bringen. Denn an Rechthaberei und einseitiger Identifikation fehlt es in diesem Konflikt bekanntlich nicht."

"Israelis und Palästinenser haben einen ähnlichen Sinn für Humor. Wir schmunzeln gerne über die Deutschen, eine Nation mit 80 Millionen Nahostexperten."

Die deutsche Auseinandersetzung über Israel nimmt Mendel in den Blick und die Schwierigkeiten, über die Lage im Nahen Osten sachlich und zugleich mit Empathie zu sprechen: "Wird die deutsche Schuld und Verantwortung für den Holocaust instrumentalisiert, um Israel gegenüber Kritik zu immunisieren? Oder anders gefragt: Soll man in Deutschland mehr Rücksicht auf Israel nehmen als in anderen westlichen Demokratien?" Mendel beantwortet diese Fragen zunächst dahingehend, dass "gut gemeinte Ratschläge" von Deutschen "ohne jede Zurückhaltung" erteilt würden – das deutsche Schulmeistertum besteht also fort, belehrend und distanzlos. Er schreibt: "Israelis und Palästinenser haben einen ähnlichen Sinn für Humor. Wir schmunzeln gerne über die Deutschen, eine Nation mit 80 Millionen Nahostexperten. Auch wenn wir es nur selten offen sagen, wissen wir es alle: Die leidenschaftlichsten Unterstützer der israelischen und palästinensischen Sache leben in Deutschland – aber die meist von ihnen haben nicht die leiseste Ahnung von der Situation vor Ort."

Dass Israels Sicherheit zur deutschen Staatsräson gehöre, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 gesagt hatte, hält Mendel für problematisch, zumal diese Aussage auch nicht an den Fortbestand der israelischen Demokratie geknüpft war. Er sehe "mit Angst auf die politischen Entwicklungen in Israel und stelle fest, dass die größten Gefahren für die Sicherheit des Landes nicht nur von den arabischen Nachbarländern ausgehen, sondern auch und ganz besonders vom Aufstieg des religiösen Nationalismus, von der Intoleranz und Demokratiefeindlichkeit in der israelischen Gesellschaft selbst". Mendel fragt: "Wie kann eine deutsche Staatsräson für Israels Sicherheit das Land vor der Gefahr der demokratischen Selbstzerstörung schützen?"

Darüber hinaus zeigt der Autor die Verknüpfung von antisemitischen und antiisraelischen Positionen in Deutschland. Er diskutiert etwa den "BDS-Streit". Die Anhänger dieser Organisation, die Boykott, Desinvestment und Sanktionen gegen Israel fordern, vertreten eine "totalitäre Ideologie", die nicht den Siedlungsbau in Israel stoppe, sondern "Friedens- und Dialogprojekte in Israel und Palästina": "BDS wirkt weltweit anziehend auf Antisemiten – und einige der bekanntesten Gesichter der Bewegung schöpfen für ihre Statements und Aktionen tief aus dem Giftbrunnen des Judenhasses."

Mendel verweist mehrfach auf spezielle Form der Belehrung, etwa dahingehend, dass deutsche Antiimperialisten in den Israelis die "neuen Nazis" sähen, "weil sie Palästinenser aus ihren Dörfern vertrieben haben, weil sie Palästinenser in den besetzten Gebieten unterdrücken, weil sie aus einer Position der Überlegenheit eine Minderheit drangsalieren": "In dieser Sichtweise sind die Palästinenser die Opfer der Opfer von damals, und die Israelis haben aus dem Holocaust nichts gelernt. So fühlen sich die Nachfahren der Täter in der Pflicht, die Nachfahren der Opfer moralisch zu belehren; die Deutschen haben in diesem Sinne etwas aus Auschwitz gelernt, die Israelis jedoch nicht. Es verwundert vielleicht nicht, dass eine derart selbstgerecht vorgetragene Kritik bei den meisten jüdischen Israelis nicht ankommt, selbst da, wo sie in der Sache berechtigt sein mag."

Offensichtlich ist die "Empathielosigkeit gegenüber Juden", die oft als die "privilegierten Anderen" dargestellt würden. Zugleich sei eine "klare Absage an den Rechtsextremismus" angezeigt, auch dann, wenn er im israelischen Kabinett nötig sei: "Es braucht heute eine moralisch legitimierte Politik, die den demokratischen und humanistischen Kräften in der israelischen Gesellschaft zur Seite steht." Nachdenklich macht Mendels Frage am Ende des Bandes: "Wird es jemals möglich sein, hier in Deutschland eine sachliche Debatte über Israel zu führen?" Die Nachdenklichkeit bleibt lange über die Lektüre dieses Buches hinaus beim Leser gegenwärtig. Meron Mendels Band ist unbedingt lesenswert.

Über Israel reden
Über Israel reden
Eine deutsche Debatte
220 Seiten, gebunden
EAN 978-3462003512

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