Geographie und Geschichte der Türkei
Dieser Band aus der Reihe "Wissenschaftliche Länderkunden" ist ein sowohl umfassendes als auch tief gehendes Geographiebuch, das höchsten Ansprüchen genügt. Ausführlich schildern die Autoren die physischen Gegebenheiten der Türkei und legen dabei besonderes Augenmerk auf die anthropogenen Einflüsse. Sie rekonstruieren die Faktoren, die zur heutigen Reliefgestaltung und Vegetation führten; gleichzeitig machen sie auf Risiken aufmerksam, so z. B. auf die erhebliche, flächenhafte Bodenabspülung durch Entwaldung, Beackerung und Überweidung, seit vor etwa 7000 bis 8000 Jahren Ackerbau und Herdenviehzucht begannen. Die so genannte Hangrinnenerosion gehört heute in Inner- und Südanatolien selbstverständlich zum Landschaftsbild und verdeutlicht die irreversiblen Bodenverluste, deren Auswirkung auf das landwirtschaftliche Potenzial der Türkei nach Ansicht der Autoren in ihrer Bedrohlichkeit nicht voll erkannt wird. Eine besondere Qualität des Buches ist, wie die Autoren an vielen Stellen die historischen Hintergründe für heute zu beobachtende Eigenheiten des Landes aufhellen. So führen sie die heutige große Mobilität der Bevölkerung auf deren 800 Jahre alte nomadische Tradition zurück. Interessant ist auch, dass heute "Türkentum" zentralasiatischer Herkunft "für jeden Türken ein stolzes nationales Bekenntnis" ist (S. 135), obwohl doch Kleinasien erst ab dem 11. Jahrhundert von Turkmenen erobert wurde. Die Eroberung ging - nachdem zuvor verheerende Einfälle und Beutezüge von Persern und Arabern das Land geschwächt und stark entvölkert hatten - so zügig vonstatten, dass eine Flucht der verbliebenen byzantinischen und armenischen Bevölkerung unwahrscheinlich ist. Daher müsste nach Ansicht der Autoren jeder heutige Türke eigentlich "zugeben, unter seinen Vorfahren mindestens ebenso viele Erzfeinde, christliche Griechen oder Armenier, wie eigentliche Türken zu haben" (S. 135). Griechische Dialekte wurden z.B. im Raum Kayseri - also in Zentralanatolien, nicht etwa in Thrakien - noch im 19. Jahrhundert gesprochen. Doch dem heutigen "Durchschnittstürken sind die Antike und Byzanz so fremd wie dem Durchschnittsdeutschen das Neolithikum" (S. 135). Die politische Situation im Land, die im Titel gleichwertig neben Geschichte und Wirtschaft steht, streifen die Autoren jedoch eher knapp und oberflächlich. Ein kurzer Anhang liefert "Einblicke" u.a. in die Religion und Kultur. Zahlreiche Graphiken veranschaulichen klimatische Faktoren, Erdbebenrisiko, Vegetation, landwirtschaftliche Nutzung, Energieversorgung, Siedlungsformen, ethnische Zusammensetzung, Schulbildung, Verteilung des Fremdenverkehrs und vieles mehr. Vielleicht hätte man sich eine etwas detailliertere Karte gewünscht als die auf der Umschlaginnenseite im Maßstab von 1:6000000. Oft hat der Leser große Mühe, die im Text genannten Orte, Flüsse oder Berge wenigstens ungefähr zu lokalisieren. Ansonsten lässt das sorgfältig gemachte Buch kaum Wünsche offen.
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