David Bowie in Berlin
Der dramaturgische Höhepunkt der vorliegenden "Helden"-Biographie über Bowies Berliner Schaffensperiode läuft auf die 750-Jahr-Feier der Stadt hinaus: am 6. Juni 1987 spielte David Bowie vor dem Reichstagsgelände, auf westlicher Seite, und von Osten her kamen die Jugendlichen und pochten an die Mauer, die zwei Jahre später unter dem nun stärker werdenden Klopfen endgültig zusammenbrechen sollte. "Tear down this Wall", hatte Ronald Reagan an Gorbatschow gerichtet gerufen, aber vielleicht war es vielmehr Bowies Song "Helden", der über die Mauer hinweg, den eigentlichen Schlachtruf zum Niedergang des Kommunismus formuliert hatte: "I, I remember/ Standing by the wall/ And the guns shot above our heads/ And we kissed as though nothing could fall/ And the shame was on the other side/ Oh we can beat them for ever and ever/ Then we could Heroes just for one day".
In einer geschickten Zeitmontage aus Timothy Garton Ash, Max Frisch, Ernst Bloch, Michel Foucault und Marlene Dietrich, schneidert sich Tobias Rüther sein Berliner Bowie Sittenbild zusammen. Und er ist ein geschickter Schneider, denn auch ohne jemals mit Bowie selbst gesprochen zu haben, vermag er es, eine durchaus authentische Zwangsjacke für ein Chamäleon zu schneidern, er nennt es - und das nicht nur einmal - sein "Berliner Triptychon". Die drei Bowie-Alben Low, Heroes und Lodger, die in Berlin entstanden sind, haben nur mitnichten etwas miteinander zu tun. Musikalisch stand zwar jedes Mal Brian Eno an den Hebeln und Bowie lernte nach "Young Americans", das noch in L.A. erschienen war, endlich wieder gute und auch experimentelle Musik zu machen. Dennoch ist das Berliner Triptychon, wie auch Bowie selbst die drei Alben bezeichnet haben soll, keineswegs aus einem Guss, aber gut genug um für Tobias Rüther den Handlungsrahmen seiner Bowie-Biographie abzustecken.
"Berlin=Bowie" heißt es denn auch gewagt an einer Stelle, denn wie die Stadt ewig dazu verdammt sei, zu werden, sei es auch David Bowie. "Bowie verkörpert diesen Satz. (…) Mit Berlin findet Bowie einen neuen Meister." Tatsächlich wirkte sich Berlin wie eine Entziehungskur auf unseren jungen, damals 30-jährigen Helden aus, denn als er aus L. A. nach Berlin kommt, gleicht er tatsächlich jenem "thin white duke", den er in einem seiner Lieder besungen hat: er ernährt sich hauptsächlich von seiner "weißen Diät", Milch und Kokain. Dementsprechend paranoid muss Berlin, die damals wohl "langweiligste Stadt des Planeten" auf ihn gewirkt haben. Seine Nazi-Phantasien liest Rüther aber vor allem - und zu recht - vor dem Hintergrund des englischen Königreichs. "Weimar lag in der Luft". Auch wenn Bowie längst nicht mehr in seiner Heimat lebte, setzte er sich wohl doch (un)bewusst mit ihr auseinander und das England der Siebziger, war keineswegs ein gelobtes Land, sondern von der Ölkrise und von Arbeitsniederlegungen gekennzeichnet, Staatsstreich im Londoner Smog inklusive. David Bowie wurde mit erhobenem Arm (by the way, es war der linke, nicht der rechte) an der Victoria Station aus Hitlers Mercedescoupe winkend gesehen und schwafelte von einem neuen Führer, der das Land reinigen werde. Dennoch wird man ihn wohl kaum als Nazi bezeichnen können, selbst wenn er zu dieser Zeit blaue Augen (zumindest eines) und blond gefärbte Haare trug.
Thomas Rüther läuft zu Hochform auf, wenn er Max Frischs "Ich probiere Geschichten an wie Kleider" für Bowie einfach umkehrt und auch wenn sich in diesem letzten Kapitel vieles wiederholt, was er in den vorhergehenden bereits gesagt hat, verliert das Buch doch bis zum letzten Moment die Spannung nicht. Das verdankt es einem andauernden Name-Dropping (Liste siehe oben) und sogar der deutsche Herbst wird als Projektionsgrund von Bowies Helden bemüht: "Schüsse reißen die Luft", wie es in der Bowie-mundgerechten Übersetzung von Antonia Maaß heißt als Replik auf die Baader-Festnahme, deren Ausgang auf dem Lodger-Cover seine Zitierung gefunden haben soll? Thomas Rüther zeigt auch den Maler David Bowie, der sich in seiner Schöneberger Wohnung mit dem deutschen Expressionismus auseinandergesetzt hat, sowohl schriftlich als auch malerisch. Stammt die Inspiration für Heroes eventuell doch von Otto Muellers Gemälde "Liebespaar zwischen Gartenmauern" (1916) und nicht von dem Hansa-Studio Ausblick? Interessant und erquickend sind auch die Beschreibungen der schauspielerischen Darbietungen Bowies in Filmen, die in dieser Zeit entstanden sind und ihn sogar an der Seite von Marlene Dietrich zeigten (allerdings nur als Montage). Thomas Rüther weiß auch die eine oder andere Anekdote über Iggy Pop, Bowies Schützling Mitbewohner und Inspiration in den Berliner Jahren zum Besten zu geben und natürlich fehlt es ihm auch nicht an der dazugehörigen Portion Humor, etwa wenn er sich über Bowies Deutschkenntnisse (Kreutzburg statt Kreuzberg, Neuköln statt Neukölln) amüsiert. Aber was kann einer der die Sprache nicht spricht schon anderes erleben, als Isolation, zumal die Berliner wohl auch nicht so gerne Englisch sprachen, trotz (oder wegen) der Befreiung durch Briten und Amerikaner?
Bowie selbst sagte übrigens über seine drei Berliner Jahre: "Berlin war meine Klinik. Ich habe hier wieder unter die Menschen gefunden". Auf Inseln sei die Artenvielfalt besonders groß, schreibt Rüther und vielleicht hat genau das, das Chamäleon Bowie geerdet: mit lauter Verrückten um sich, wird der Verrückte wieder normal. Bowies Geburtstag ist übrigens am 8.1.1947, unter eine der Bildunterschriften im Buch hat sich wohl der Fehlerteufel eingeschlichen. Vier Wochen nach Bowies "Heroes" erschien übrigens "No more Heroes" von den Stranglers. The Year that Punk broke out. David Bowie hatte das viele Jahre zuvor schon vorweggenommen, als es passierte, lebte er aber längst auf einem anderen Stern. Eine lesenswerte Biographie nicht nur für Bowie-Liebhaber.
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