Plaths beklemmende Kurzgeschichten erhalten ebenbürtige Bilder
Sadie Shafer, Alice Denway, Myra Wardle und eine namenlose Sekretärin einer Psychiatrischen Anstalt, sie alle stehen für das Alter Ego der amerikanischen Lyrikerin Sylvia Plath. Der Mannheimer Kunstanstifter Verlag hat vier ihrer Kurzgeschichten neu aufgelegt, in der sich die Welt der Literatin dem Leser eindringlich offenbart. 2007 wurde der Verlag gegründet und hat seither zum Ziel, Lesen zu einem sinnlichen Erlebnis zu gestalten. Während das Papier von handschmeichlerischer Qualität ist, wird das Auge durch die hochwertigen Illustrationen erfreut.
Im vorliegenden Erzählband sind es die Holzschnitte der jungen Künstlerin Nicole Riegert, die dem Leser die Lektüre bildhaft werden lässt. Sylvia Plaths Werk gehört zur Gattung der Bekenntnislyrik. Ihre Lyrik und Prosa ist durchdrungen von Selbstbezogenheit und trägt häufig autobiographische Züge. Die ersten beiden Kurzgeschichten "Der Schatten" und "Unter den Hummeln" spiegelt ihre traumatische Kindheit im Amerika der 40er Jahre wieder. Sadie Shafers als auch Plaths Vater waren von deutscher Abstammung. Die Ächtung, die der jungen Sylvia in einer intoleranten Gesellschaft widerfährt, findet in der Geschichte "Der Schatten" seinen Niederschlag. Es ist die Zeit kurz nach Pearl Harbour. Ein kindlicher, zwischenmenschlicher Ausrutscher der kleinen Sadie Shafer wird von den Erwachsenen dankbar als Gelegenheit angenommen, über die Herkunft des Vaters herzufallen und die Familie aus dem Hort der kleinbürgerlichen Glückseligkeit auszuschließen. Nicole Riegert visualisiert das traumatisierte Kind, welches sich zu Unrecht für das Geschehen verantwortlich fühlt. Mit hängenden Schultern und Mundwinkeln steht das Mädchen allein mit ihrer Puppe außerhalb dieser ordentlichen, glücklichen Welt. Bereits in dieser Eingangsgeschichte und in den Drucken der Illustratorin wird die gewichtige Rolle des (Über-)Vaters deutlich. Er wird als unerschütterlicher Hüne dargestellt, unfehlbar aber auch unnahbar. Mit verschränkten Armen steht er vor der mit weit aufgerissenem Mund mäkelnden Mutter. In "Unter den Hummeln" wird deutlich, warum sich Sylvia Plath zeit ihres Lebens verlassen und verraten fühlt. Mit acht Jahren verliert sie ihren Vater durch eine schwere Krankheit. Dieses traumatische Erlebnis wird sich wie ein roter Faden durch Plaths Werk und Leben ziehen.
Während in den ersten beiden Geschichten das Böse noch klar von Außen oder Innen klar definiert ist, erschließt es sich in "Sweety Pie und die Dachrinnenmänner" subtiler. Mit Myra Wardle präsentiert Plath die maskierte Boshaftigkeit und demontiert gleichzeitig ihr eigenes öffentliches Auftreten. Sie konnte sich nach außen herzlich und interessiert geben, stets ein perfektes Lächeln aufgesetzt. In ihrem Inneren, so erfährt man aus ihren Tagebüchern, sah es dagegen düsterer aus. Die gespielte Perfektion bekommt in der Figur der Myra jedoch Risse. Der Besuch bei einer alten Freundin fordert Myras gesamte Konzentration, damit ihr das freundliche Gesicht bei dem belanglosen Geplauder nicht verrutscht. Es sind jedoch die boshaften Attacken der älteren Tochter ihrer Freundin, die Myra in den Bann zu ziehen scheinen. Sie ist weniger entsetzt als fasziniert und man kann sich als Leser nicht des Eindrucks erwehren, dass sogar eine Art Gleichgesinntheit zwischen den beiden Protagonistinnen herrscht.
Die vierte Erzählung, "Johnny Panic und die Bibel der Träume", lässt vollständig die Grenzen zwischen Realität und Wahn verwischen. Die Sekretärin einer Psychiatrischen Klinik fühlt sich zu Höherem berufen. Heimlich durchwühlt sie Krankenakten auf der Suche nach den Träumen der Patienten und überträgt diese in die Bibel der Träume. Ihr Auftraggeber ist der mysteriöse, gerissene Johnny Panic. In Johnny Panic sieht die Sekretärin den Schöpfer aller Träume, daher ist es allein ihr, seiner rechten Hand im Zusammentragen aller Träume, vorbehalten, den Traum aller Träume träumen zu dürfen. Johnny Panic ist die personifizierte Panik. Die Liebe zur Angst sei der Anfang der Weisheit und das Einzige, was es zu lieben gilt. Doch die Ärzte kommen dem großen Werk auf die Schliche und versuchen, mit Hilfe von Elektroschocks Johnny Panic ein für alle mal auszutreiben. Es sind Sylvia Plaths schockierende Erlebnisse aus der Psychiatrie. Die nachhaltige Wirkung dieser Therapie wird im letzten Abschnitt der Geschichte ad absurdum geführt: "Das Zeichen ist gegeben. Die Maschine betrügt sie. In dem Augenblick, als ich glaube völlig verloren zu sein, erscheint Johnny Panics Gesicht in einem Heiligenschein strahlenden Lichts über mir. Ich zittere wie ein Blatt in den Zähnen der Herrlichkeit. Sein Bart ist der Blitz. Der Blitz ist in seinem Auge. Sein Wort lädt das Universum auf und füllt es mit Licht. Die Luft knistert von seinen blauzüngigen, blitzgekrönten Engeln. Seine Liebe ist der Sprung aus dem zwanzigsten Stock, ist der Strick um den Hals, ist das Messer auf dem Weg zum Herzen. Er vergisst die Seinen nicht."
Johnny Panic hat Sylvia Plath tatsächlich nicht vergessen. Kaum einunddreißigjährig wählt sie den Freitod, zynischerweise durch den Gashahn. Bis zuletzt schrieb sie Gedichte und den einzigen Roman "Die Glasglocke". Ein Großteil dieses Werkes wurde jedoch erst postum veröffentlicht und verhalf der Lyrikerin erst zu einem verspäteten Ruhm.
In den Graphiken der 1980 geborenen Illustratorin spiegelt sich die Prosa auch stilistisch wieder. Sie scheinen allesamt den 50er Jahren entsprungen zu sein. Die Wahnfigur des Johnny Panic erinnert fern an eine Comicfigur dieser Zeit. Am eindrücklichsten wird jedoch die von Wahn und Verlustangst durchzogene Atmosphäre der Erzählungen veranschaulicht. Neben dem monolithischen Vater, der verzweifelten Mutter, dem maskenhaften Alter Ego erscheinen Monstrositäten, die Wahn und Depression personifizieren. So schön wurde wohl selten das Gefühl der Beklemmung dargestellt.
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