Die Geburtsstunde der Renaissance aus einem neuen Blickwinkel
Gleich vorneweg: dies ist ein auf vielfältige Weise wunderbares Buch und ein Leseerlebnis ganz besonderer Art. Worum geht es? Um ein zweitausend Jahre altes Gedicht von Lukrez mit dem Titel 'De rerum natura' (Von der Natur).
Während seines Studiums stösst Stephen Greenblatt, Professor für Englische und Amerikanische Literatur und Sprache an der Harvard Universität, auf eine Prosaübersetzung dieses Gedichts und ist hingerissen. "Schaut man zum Nachthimmel auf und wundert sich, unerklärlich bewegt, über die zahllosen Sterne, dann, so Lukrez, betrachtet man nicht das Handwerk von Göttern, auch keine kristalline Sphäre, die losgelöst wäre von unserer vergänglichen Welt. Im Himmel erblicke man die gleich materielle Welt, deren Teil man selbst sei und aus deren Elementen man auch selbst bestehe."
"Die Wende" handelt einerseits davon, wie Lukrez' Gedicht im 15. Jahrhundert wieder entdeckt worden ist - und das liest sich wie ein Krimi und ist gleichzeitig allerbeste Aufklärung über die Zeit der Renaissance und der Antike - , erläutert andrerseits, was 'De rerum natura' ausmacht und führt schlussendlich aus, inwiefern dieses Gedicht spätere Denker (etwa Montaigne) beeinflusst hat.
Hier ein paar Gedanken, die das Gedicht enthält, und die Greenblatt ausführlich kommentiert:
Alles Seiende ist aus unsichtbaren Teilchen zusammengesetzt.
Diese elementaren Teilchen der Materie sind ewig.
Diese elementaren Teilchen sind unendlich in ihrer Zahl, aber begrenzt in Gestalt und Grösse.
Alle Teilchen bewegen sich in einer unendlichen Leere.
Das Universum wurde weder wegen noch für die Menschen geschaffen.
Die Seele ist sterblich.
Es gibt kein Leben nach dem Tod.
Das höchste Ziel des menschlichen Lebens ist Steigerung des Genusses und Verringerung des Leidens.
Nicht Leid ist das grösste Hindernis auf dem Weg zur Lust, sondern Täuschung.
Lukrez' philosophischer Messias ist ein Grieche: Epikur, der im Jahre 342 vor unserer Zeit auf der ägäischen Insel Samos geboren wurde, lehrte, dass es nur Atome und leeren Raum gibt und sonst gar nichts. Und dass, wer sich diese Tatsache immer wieder vor Augen führt, damit nachhaltig sein Leben verändert. "Erlöst vom Aberglauben, so Epikur, ist man frei, der Lust zu folgen." Dabei ging jedoch meist unter, dass "er Genuss sehr massvoll und in verantwortungsvollen Begriffen definierte."
Montaigne sah in Lukrez "den sichersten Führer zum Verständnis dessen, wie die Dinge sind; mit ihm liess sich das Selbst so weit bringen, dass es ein Leben voller Lust leben und dem Tod mit Würde begegnen konnte."
'De rerum natura', schreibt Greenblatt "ist etwas äusserst Seltenes: ein grosses Werk der Philosophie und zugleich ein grossartiges Gedicht." Das gilt genauso für "Die Wende".
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