Sex Sells Music
"Beauty cannot exist without naked beauty displayed", ein Zitat von William Blake wird dem Plattencover-Bilderreigen, der von der bekannten Dian Hanson und Eric Godtland (Ex-Village People Manager) für den Taschen-Verlag zusammengestellt wurde, als Motto vorangestellt. Was immer die Absichten der diversen Cover-Gestalter war: "sexy" ist ein ganz schön dehnbarer Begriff. Sachen zum Schmunzeln ("Die alten Rittersleut'") finden sich ebenso darunter wie renommierte Künstler:innen wie Grace Jones, die sich ebenfalls bemüßigt sahen, sich sexy darzustellen.
"The oddball, obscure and unexpected"
"Hammond Hits à Gogo" heißt eine Schallplatte, am Cover eine psychedelisch bemalte Frau mit zwei Granaten mit Zündschnur auf den Brüsten. Man kann sich vorstellen, aus welchem Jahrzehnt dieses Cover stammt. Dass vor allem deutsche Lieder als Titel verzeichnet sind, mag ebenso wenig wundern. Dian Hanson und Eric Godtland haben ihre Anthologie nach musikalischen Genres geordnet, denn der Marketingspruch "Sex Sells" macht vor keiner Kategorie Halt. Selbst der Jazz, Easy Listening, Soundtracks oder sogar Punk und Ryhtm & Blues sind im Inhaltsverzeichnis gelistet. Von anderen Genres wie Hip-Hop oder Disco, Exotica, oder Sex Talk hätte man sich vielleicht gar nichts anderes erwartet. Aber kommen wir zuerst zum erkenntnisleitenden Interesse in den Eingangskapiteln: "The Joy of Sex" von Dian und "Men of Culture" von Eric. Es gebe natürlich viele berühmte Sexy Covers, schreibt Dian in ihrem Geleitwort, aber dieses Buch sei mehr über "the oddball, obscure and unexpected", obwohl natürlich auch Roxy Music's "Country Life" oder Ry Cooder's "Borderline" sowie Alben der Cramps gewürdigt werden. Dass "Jazz" etwas mit Sex zu tun hatte, wusste Dian Hanson ohnehin schon von ihren anderen Publikationen für Taschen, aber dass es ihn schon seit 1895 gibt, ist nur eine von vielen Überraschungen, die sie bei ihren Recherchen zu vorliegender Anthologie, aufdeckte. Auch auf die Orgien eines gewissen William Door, Herausgeber des Comedy-Labels FAX Records, stieß sie bei diesen Recherchen. Gefunden hatte man ihn in seinem Bett mit seiner Frau, beide tot, und die Wände zugepflastert mit pornografischen Bildern. Und das schon im Jahr 1963(!). Auch orgasmisches Stöhnen gibt es übrigens schon seit 1958 auf Platte. Der Künstler Chino verewigte es auf seinem Album "Jungle Mating Rythms" während andere vor dem HUAC-Comittee wegen Kommunismus verhört wurden. Verrückte Welt! Im tatsächlich kommunistischen Russland hatte zur Zeit der Oktoberrevolution wiederum ein gewisser Lev Sergeyevich Termen ein Instrument erfunden, um dem neuen bolschewistischen Staat und Lenin zu huldigen. Er sollte mithilfe seines nach ihm benannten Theremins quasi "Werbung" dafür machen. In New York tat er genau das, spionierte und wurde während des Zweiten Weltkriegs zurückbeordert, inhaftiert und erst mit 93 Jahren wieder entlassen. Seine Geschichte hat übrigens auch Hanson zu Tränen gerührt.
"Music for pussy cats"
Eric Godtland - seines Zeichens ehemaliger Manager der Village People und heute Manager der amerikanischen Band Third Eye Blind sowie weltweiter Plattensammler - widmet sich in seinem Beitrag dem Parallelismus zwischen dem jugendlichen Erwachen des Musikgeschmacks und der Entdeckung der eigenen Sexualität. Aus Ermangelung an anderen Quellen für "pornografisches" Material war in den Sechzigern und Siebzigern ein Plattencover tatsächlich die wohl einzige Möglichkeit, die weibliche Anatomie besser zu studieren. Dieser Tatsachen waren sich auch Labelbosse bewusst, die ganz klar auf bewusst "sexy" Gestaltungen von Plattencovern setzten. Im Kapitel "Jazz" erfahren wir auch Interessantes über die Genese des Wortes und die mannigfaltigen Bedeutungen des Ausdrucks. Dass Jazz von Anfang an eine schwarze Sache war, aber später auch Weiße begeisterte, dafür steht auch die Tatsache, dass die Stadt New Orleans, eine der Geburtsstätten des Jazz, die Musikrichtung ab 1922 von öffentlichen Schulen gesetzlich verbannt hatte. Das Gesetz bestand dort bis 2022(!). Das Jazz-Age, die Zwanziger, war zwar von einer großen Liberalisierung gekennzeichnet, aber ausgerechnet der Alkohol wurde verbannt. Und gerade in den Speak Easys des Jazz Age hört man vor allem: Jazz. In dieser Zeit wurde auch der Playboy gegründet. Man mag über Hugh Hefner und sein Männermagazin denken wie man will, aber eines muss doch gesagt werden: er war ein großer Jazzfan und gegen Rassismus. Und das schon in den Fünfzigern! Die "Playboy"-Connection die viele Alben, die in dieser Zeit erschienen, haben, sei u. a. auch darauf zurückzuführen.
"Music for pussy cats" zeigt eine junge Dame mit einem Kätzchen in der Hand, leicht bekleidet im Negligé. Was heute wie eine plumpe sexuelle und sexistsche Anspielung wirkt, war damals ganz einfach eine Möglichkeit, die Zensur zu umgehen. Denn die Sittenwächter schliefen im Zeitalter des HUAC nicht. Ein Cover das nur mehr gesteigert wird von "My Prayer La Mia Preghiera Vol.2" (1978), das den Kopf der Frau durch den einer Miezekatze ersetzt. Die Herabsetzung der Frau zu einem sexuellen, "possierlichen" Objekt feierte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine Urständ und wäre heute unvorstellbar. Inzwischen bemächtigen sich aber gerade Frauen wieder der Zurschaustellung ihres Körpers. Etwa die Künstlerin "Lorde", die auf ihrer Platte "Solar Power" (2021) tief blicken lässt. "Photographische Spezialität für Stellungssuchende, ein Superprogramm" titelt an anderer Stelle ein Plattencover. Aber auch die Rolling Stones, James Brown, Charles Mingus, 2 Live Crew und Queen, Dwarves, Kult-Favoriten wie Chicks on Speed und die Comic-Band Blowfly sowie Acts mit offen pornografischen Namen wie Sex Organs, V8 Wankers und The Pleasure Fuckers sind vertreten.
Voyeurismus für Arme
Die nackigsten, witzigsten und schrägsten Plattencover aller Zeiten aus Nord- und Südamerika, Europa, Asien, Afrika und Australien. Die meisten wurden von kleinen Labels mit begrenzter Produktion veröffentlicht und waren außerhalb ihrer Herkunftsländer nie zu sehen, aber die vorliegende Taschen-Publikation macht nun möglich, was bisher unmöglich war. Alle benutzten Sex, um ihre Musik zu verkaufen und Teenagerträume zumindest für einen Moment greifbar zu machen. Eine frivole, überraschende und absolut witzige Publikation, natürlich im Vinyl-Format 29.3 x 29.3 cm und selbstverständlich völlig frei von Voyeurismus oder Sexismus, zwei längst aus der Mode gekommener Erscheinungen männlicher Lust des ewig vergangenen 20. Jahrhunderts.

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