"on se retire pour mieux voir et puis ... on attaque" wandelt Žižek Lenins liebstes Napoleon-Zitat ab: "On s’engage et puis ... on voit". Im Erleben des Orgasmus kommen wir Menschen mit dem Absoluten in Berührung, schreibt er dann ganz im Sinne Sloterdijks, der in der orgiastischen Erfahrung gar einen ontologischen Gottesbeweis sieht. Aber was hat der dialektische Materialismus mit Sex zu tun?
Als alter Marxist kennt Žižek seinen revolutionären Katechismus natürlich auswendig und erklärt munter ein paar marxistische Grundbegriffe zwischen seinen Ausführungen über die philosophischen Gedankengebäuden von Hegel und Kant bis zu Alain Badiou oder Julia Kristeva. Trendy und gefällig, wie es unsere globalisierte Welt erfordert, lässt er dabei aber auch immer wieder sein Wissen über die zeitgenössische Film- und Popkultur durchblicken. Man erinnert sich noch an seine Dokumentationen "The Pervert’s Guide to..." in denen er den philosophischen Hintergrund einiger seiner Lieblingsfilme in seinem unverwechselbaren Idiom live vor der Kamera erklärt und erneut mitfiebert. Denn keiner macht Philosophie zu so einem körperlichen Erlebnis wie der Philosoph aus Slovenien, dessen Gedanken in über 60 Büchern, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurden, publiziert werden.
"Sex und das verfehlte Absolute" ist eine mehr als 500-seitige Abhandlung über alles, was dem Denker dazu einfällt. Es ist von der Kenosis Gottes genauso die Rede wie von der Quanten-Protorealität und dem transzendentalen Supplement. "Und dieser Andere sind wir selbst", schreibt Žižek, das Subjekt als Objekt also. "Was Lacan als objet a bezeichnet – das unmöglich-reale objektale Gegenstück des Subjekts -, ist ebenso ein 'imaginiertes’ (phantasmatisches, virtuelles) Objekt, das nie positiv existiert hat – es tritt durch seinen Verlust zutage, es wird unmittelbar als Fossile geschaffen." Il n’y a pas de hors-texte, bedeutet, es gibt nichts außerhalb des Textes. Die Grundstruktur allen Lebens und unser symbolisches Universum werden durch diesen "allgemeinen Text" miterschaffen, der sich so stets irgendwie außerhalb der Realität befindet.
Wir alle leiden im Grunde genommen also an dem, was Žižek den nach einem Hitchcock-Film benannten Vertigo-Komplex nennt: Nachdem Scottie seine Madeleine verloren hat, entdeckt er, dass es das, was er verloren hat – Madeleine – nie gegeben hat. Die Theorie der Assemblage rundet dieses Mammutwerk zu einem Ganzen ab und eröffnet neue Perspektiven auf ein Multiversum der Multitude.