Wenn einer plötzlich fernbleibt
"Heute, Mittwoch, gab es Selleriesuppe, paniertes Schweinskotelett, gemischten Salat und Weincreme - das übliche Mittwochsmenü. Das einzig Ungewöhnliche war nur, dass Lambert noch nicht da war, obwohl wir schon fast halb zwei hatten.", beginnt die Geschichte von Monsieur Lambert, einem Büroangestellten, der immer im gleichen Restaurant zu Mittag isst. Im "Chez Picard" finden sich tagtäglich die gleichen Angestellten zum gemeinsamen Mahl ein. Sie vertreiben sich ihre Mittagspause mit Diskussionen über die wirklich wahren Männerthemen - sofern man davon heute überhaupt noch sprechen kann: Politik und Fußball.
Sempé, französischer Autor und Zeichner, ist vor allem für seine Geschichten des "Kleinen Nick" bekannt geworden, die er gemeinsam mit dem Asterix- und Lucky Luke-Autor René Goscinny entwarf. Hervorragend sind auch seine, gemeinsam mit Patrick Süßkind gestalteten Bildgeschichten. Seine Erzählungen über die kleinen wundersamen Ereignisse im Alltag wecken in ihrer Intimität oft längst vergessene Sehnsüchte und Erinnerungen. Sie sind von einer solchen Faszination, dass sie die Banalität des Alltags zum blühen bringen und wahre Schätze bergen.
Die einfallsreiche Kombination aus Text und Illustration unter Einbezug von Sprechblasen belebt in "Monsieur Lambert" die grafisch perfekt abgestimmte Choreografie aus Text und Bild und lässt den Leser-Betrachter förmlich an einem Nachbartisch im besagten Restaurant Platz nehmen. So erlebt dieser hautnah die tagtäglichen Debatten über die Politik in der französischen Republik der 60er Jahre und das permanente Suchen nach der richtigen Besetzung der Stürerposition in der "Equipe Tricolore". Erquickend sind auch die Anekdoten des mürrischen Monsieur Cazenave, der mit seiner inneren Unruhe die Seele des Restaurants, die Wirtin Lucienne, an den Rand der Verzweiflung bringt.
Von einem Tag auf den anderen erscheint Lambert immer unpünktlicher zum gemeinsamen dejeunieren, bis er bald ganz fernbleibt. Selbstredend bleibt dies von den Tischnachbarn nicht unbemerkt und schon gar nicht unkommentiert. Und so beginnt das große Spekulieren und Fabulieren über das Liebesleben des Monsieur Lambert. Denn, wie soll es anders sein, eine Frau ist der Grund für Lamberts seltsame Wandlung.
Zunehmend tritt Lamberts Abwesenheit dezent in den Hintergrund und die scheinbar längst vergangenen amourösen Geschichten und Anekdoten seiner Tischnachbarn bestimmen den Rhythmus der Erzählung. Gemeinsam mit Lambert erleben sie die Höhen und Tiefen der Liebe, das abenteuerliche Brennen junger Liebe ebenso wie die erschlagende Tristesse des Scheiterns.
Mit "Monsieurs Lambert" ist Sempé wieder einmal ein wirkliches Meisterwerk gelungen. Mit der Text-Bild-Kombination setzt er nicht nur ein literarisches, sondern zugleich auch ein künstlerisches Ausrufezeichen. Eine anrührende Geschichte, die in ihrer gleichzeitigen Schlichtheit und Eleganz den Leser in den Bann zieht und mit ihrer Intimität das Herz erwärmt. Einfach schön.
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