Sebastião Salgado: Mein Afrika
Sebastião Salgados im Jahre 2007 erschienenes Werk "Africa" (bei Taschen in Köln) ist ein breitformatiges, sehr ansprechend gemachtes und recht schweres Coffee Table Book, von dem der Tages-Anzeiger schreibt, dass es ein Bild von Afrika zeige, das problematisch sei und Kritik bei Salgados Kollegen in Afrika hervorrufe.
Doch beginnen wir mit den Fotos: Der Band wird eingeleitet mit Aufnahmen aus Angola aus den Jahren 1974/75, als dort Bürgerkrieg herrschte; dann folgen Fotos von Tabak-Plantagen aus Rhodesien, wie Zimbabwe 1976 noch hiess, von mosambikanischen Flüchtlingen in Malawi (1994), von einer religiösen Zeremonie, bei der mosambikanische Witwen die Geister ihrer im Krieg gefallenen Männer exorzieren (1994), von der Lebensmittelverteilung an ehemalige Soldaten der FRELIMO (1994) sowie von einer Frau mit ihren Rücken an Rücken liegenden Drillingen, die sie gerade in einem Spital der "Ärzte ohne Grenzen" zur Welt gebracht hat (1994).
Weiter finden sich Bilder von Kriegsopfern in Angola, Flüchtlingskindern in Mosambik, den nomadisierenden Himbas in Namibia, von Leoparden, Pelikanen, Zebras, Gemsböcken und Landschaften. Es sind grossartige, atemberaubende Aufnahmen, die einem wieder einmal eindrücklich bewusst machen, dass man mit einer Kamera anders sieht als mit blossem Auge und dass nicht alle mit einer Kamera vor dem Auge die Welt auf gleiche Art und Weise sehen. Der Tages-Anzeiger kommentiert: "Die Landschaftsbilder sind ein Vorgeschmack auf Salgados neues Projekt "Genesis", in dem er die Natur- und Tierwelt Afrika so ursprünglich wie möglich zeigen will: Als wolle er demonstrieren, dass alles doch nicht gar so schlimm ist. Vielleicht ist es auch eine Art Wellness-Übung des Fotografen, der den Kopf auch voller schrecklicher Bilder haben muss. Die Ernüchterung folgt sogleich, der Rest des Buches ist wieder afrikanischen Schreckenszonen, den Hungergebieten von Niger 1973 über Somalia und Äthiopien bis zum Sudan 2006, gewidmet."
Es versteht sich: man kann diese Flora- und Fauna-Aufnahmen auch ganz anders wahrnehmen, zum Beispiel als eigenartig unwirklich, die Realität Transzendierendes, ja magisch - als die Welt als Wunder vor Augen führend.
Auch die Bilder von Menschen im Krieg, auf der Flucht oder bei der Arbeit wirken sonderbar irreal, wie nicht von dieser Welt. Es haftet ihnen manchmal etwas Verlorenes an und häufig Theatralisches, ähnlich den Standaufnahmen beim Film, obwohl die Bilder deswegen nicht gestellt scheinen. Sie sind ganz einfach mit einem dramatisch geschulten Auge aufgenommen worden.
Zur Frage des problematischen Afrika-Bildes und zur Kritik von drei Afrikanern: In der Berliner Zeitung lassen sich der Fotograf Santu Mofokeng aus Johannesburg, der Fotograf Akinbode Akinbiyi, der in Berlin lebt, sowie Sylvester Ogbechie, der als Professor für Kunstgeschichte an der Universität von Santa Barbara, Kalifornien lehrt zu Salgados Buch vernehmen.
Ein Ausschnitt:
AKINBODE: … er fotografiert die Menschen in dieser heroischen Riefen-stahl'schen Ästhetik. Und er fügt in diesem Buch neuere Bilder hinzu, die er "Genesis" nennt. Das sind menschenleere, ja großartige Landschaften aus der Namib Wüste von 2005. Und Tiere!
SANTU: Das ist eben das alte koloniale Projekt. Afrika wird auf Fauna und Flora reduziert. Und wir sind die Fauna da drin. Wir sind der Zoo für die europäischen Betrachter. Wir Eingeborenen kennen das gut und lange.
SYLVESTER: Hier, dieses Foto eines Himba-Mädchens - das ist ein total pornografisches Bild vom Leid. Dabei ist sie jung, gesund, hinter ihr die herrliche Rinderherde, alles sehr idyllisch. Das ist eine super Postkarte, verkauft sich bestimmt gut.
Dass für einen Afrikaner Afrika anders aussieht als für einen Brasilianer, ist klar, auch wenn einen der Nordosten Brasiliens gelegentlich durchaus an Afrika erinnern kann. Doch wenn Akinbode sagt: "Ich will nicht, dass unser Afrika vermarktet wird als verrotteter Kontinent, der Hilfe von außen braucht. Es gibt viel mehr Afrikas", fragt man sich unwillkürlich, was das mit Salgados Buch zu tun hat, in dem doch ganz verschiedene Facetten dieses Kontinents gezeigt werden.
Sie habe in dem Buch gerade mal zwei Autos gezählt, sagt die Gesprächsleiterin Sabine Vogel. Und führt aus: "Das eine davon ist ein zerschossenes Wrack, neben dem Leichen liegen. Es gibt keine Stadt, keine Urbanisation - auch keine Slums - keine Moderne in diesem Afrika-Buch. Die einzige Maschine ist die Nähmaschine in einem Flüchtlingslager, und als wenige Requisiten der Zivilisation gibt es nur ein paar alte Regenschirme."
Nun ja, wenn Frau Vogel und ihre Diskutanten ein anderes Afrika-Buch haben wollen, bitte schön, sollen sie selber eins machen, doch einem Fotografen vorzuhalten, was er nicht gemacht, was er anders hätte machen sollen und welches Afrika überhaupt abgebildet werden sollte, verkennt schlicht das Wesen der Fotografie, bei der es nämlich darum geht, dass der Fotograf (es kann, wie immer, auch eine Frau sein) entscheidet, was er fotografieren und was er (und sein Verlag) davon veröffentlichen will. Schliesslich gibt es so viele Afrikas wie es Menschen gibt. Und wenn Akinbode meint: "Mein Haupteinwand gegen dieses Buch besteht darin, wie der Fotograf Salgado den Namen Afrika vereinnahmt hat. Der Titel impliziert, es wäre ein Buch über Afrika. Aber für mich ist das ein sehr begrenzter Blick. Und total altmodisch. Salgado zeigt nur ländliche Gebiete, Hunger, Elend, Krieg, Flüchtlinge. Es ist eine sehr engstirnige Sicht auf Afrika. Man kann das machen, aber man darf es nicht generalisierend "Afrika" nennen, meinetwegen "Elendes Afrika" oder "Mein armes Afrika"", kann man ja so recht eigentlich nur innerlich aufstöhnen ob solcher Pseudo-Differenziertheit. Glaubt der Mann ernsthaft, irgendwer bedürfe solch hanebüchener politisch korrekter Belehrung?
Und überhaupt: Nicht nur Fotos aufnehmen ist eine persönliche Sache, ist subjektiv und kann auch gar nicht anders sein - das Betrachten von Fotos ist es ebenso. So interessiert sich zum Beispiel nicht jeder für das moderne Afrika oder für das koloniale Afrika, er gibt auch solche, die ganz besonders das zeitlose Afrika fasziniert, die finden, dass das in erster Linie Spannende, Einzigartige, Wunderbare, Bewegende an Afrika nun einmal Flora und Fauna seien. Und diese (aber eben nicht nur diese) zeigt Salgado anders und eindrücklicher als man sie bisher wahrgenommen hat.
Übrigens: Nicht alle Afrikaner haben Mühe mit Salgados Afrika. Die Texte im Buch stammen vom mosambikanischen Autor Mia Couto.
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