Schottland fürs Handgepäck

Den Schotten den Spiegel vorgehalten

Wie bereitet man sich frühzeitig auf eine Schottlandreise vor? Oder auch auf einen längeren Aufenthalt bei den Andersbriten? Vielleicht, indem man sich ein wenig mit den Traditionen des eigensinnigen Inselvolks befasst. Einen normalen Reiseführer zu kaufen, dazu ist es am Bahnhof oder am Fährhafen noch früh genug. 

Eine literarische Annäherung an Urlaubs- und Gastländer bietet der Unionsverlag mit seiner hervorragenden Reihe … fürs Handgepäck, in diesem Fall: Schottland. Sechzehn Autor(inn)en hat Herausgeberin Gabriele Eschweiler in ihrem Band versammelt, von Jimmy Boyle und Bill Bryson (um mit den modernen zu beginnen) über die Traditionalisten Walter Scott und Jules Verne bis hin zur erfrischen schrägen Virginia Woolf. 

Es sind nicht alles Briten, die hier zu Wort kommen, auch ausländische Schottlandaficionados dürfen ihre Liebe zu Land und Leuten ausbreiten. Oder auch ihre Reserviertheit, was ja zumindest nicht schlecht ist für die Aussagekraft eines Textes. Hier sticht der Beitrag eines zumindest dem Rezensenten bislang völlig unbekannten Autors heraus.

Es geht um Loch Ness. Vor achteinhalb Jahrzehnten tauchte das Ungeheuer, das sich in dem See tummelt,  erstmals auf. Zumindest in den Schlagzeilen des Inverness Courier: Die Zeitung berichtete von einem merkwürdigen Fund im zweitgrößten und zweittiefsten See Schottlands, dessen Nordostende zehn Kilometer von Inverness entfernt ist. John Mackay aus Drumnadrochit wurde von der Gazette als Augenzeuge präsentiert, bestätigt von seiner Frau, die in dem Bericht zwar keinen Namen, dafür aber einen glaubwürdigkeitssteigernden Universitätsabschluss besitzt. Ihr Gatte hatte auch etwas aufzuweisen: ein Hotel in Drumnadrochit, am Westufer des schottisch Loch Ness genannten Gewässers, von Inverness aus bequem per Bahn oder Auto und sogar, via kaledonischem Kanal, per Schiff zu erreichen. 

Vollends brach der Hype aus, als das erste Foto des Nessie getauften Monsters erschien.  Geschossen hatte es Robert Wilson, ein angesehener Londoner Chirurg und überdies Armeeoffizier, was seine Glaubwürdigkeit noch steigerte. Das Bild zeigt Kopf und Hals einer Seeschlange? eines Drachens? eines Sauriers? Falls es sich um letzteren handelte, schien das Exemplar ziemlich klein. 

Mangels weiterer belastbarer Aufnahmen existiert das Ungeheuer ausschließlich in der Phantasie der Einheimischen und vor allem der jährlich rund 300'000 Urlauber weiter. Warum das so ist und wie der Mythos wirkt, hat überaus treffend ein Deutscher beschrieben, der Loch Ness 1961 besuchte. Günther Klotz, 1925 in Schlesien geboren, 2001 in Berlin gestorben, war Professor für englische Literatur an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften und lektorierte nebenbei im Aufbau-Verlag. Seine Satire ist das Beste, was je über Loch Ness geschrieben wurde. 

Klotz beschreibt in seiner Satire (einer sehr realen!), was entsteht, wenn gutgläubige Reisende, eine sensationshungrige Presse, umsatzwitternde Hotelmanager und zwischen Genervtheit und Geschäftssinn schwankende Einheimische zusammenkommen. Köstlich, wie Klotz allen Beteiligten, die ihn hinters Licht zu führen suchen – Wissenschaftler, Journalisten und sogar einen Pfarrer -  den Spiegel vorhält und alle sehr schlecht aussehen lässt. Das Allerbeste ist der Trick, mit dem die Redaktion des berüchtigten Courier hereingelegt wird. Bitte kein Mitleid – er hat es verdient. 

Dank sei Gabriele Eschweiler für diese Trouvaille! Auch sonst hat sie einen guten Job gemacht, weshalb ihr Handgepäckstück unbedingt mit nach Edinburgh, Glasgow, Inverness oder sogar Loch Ness fahren sollte.

Schottland fürs Handgepäck
Schottland fürs Handgepäck
Geschichten und Berichte - Ein Kulturkompass
192 Seiten, broschiert
EAN 978-3293206441

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