Sachlich neu

Sachlichkeit in der Fotografie: von nüchtern bis magisch

Die Sachlichkeit ist eine Kunst-Strömung, die sich im frühen 20. Jahrhundert als bewusste Abkehr von subjektiver Romantik und expressiver Stilisierung entwickelte. Ihr Ziel: die objektive, nüchterne Darstellung der Realität – ohne künstlerische Überhöhung, ohne dramatisches Pathos. Stattdessen stehen Präzision, Struktur und Klarheit im Mittelpunkt. In Deutschland fand diese Haltung besonders starken Ausdruck in der sogenannten Neuen Sachlichkeit, die nicht nur in der Fotografie, sondern auch in der Malerei, Literatur und Architektur ihren Widerhall fand. Mit der Ausstellung unter gleichem Namen in der Kunsthalle Mannheim 1925 unter der Leitung Direktors Gustav Friedrich Hartlaub, war der Name Neue Sachlichkeit definitiv gesetzt.

Drei Vertreter dieser Fotografie – August Sander und Albert Renger-Patzsch, die zu den wichtigsten Initiatoren der Strömung zählen, sowie Robert Häusser als Vertreter einer neuen Generation – zeigen, wie vielfältig sachliche Fotografie sein kann, auch wenn sie einem ähnlichen Grundprinzip folgt. 100 Jahre nach der Mannheimer Ausstellung präsentieren die Reiss-Engelhorn-Museen zusammen mit dem Forum Internationale Photographie unter dem Titel „Sachlich Neu“ Fotografien der drei Künstler in einer Sonderausstellung. „Sachlich neu: Fotografien von August Sander, Albert Renger-Patzsch & Robert Häusser“ ist auch als Buch erschienen.

August Sander – Der Mensch im Fokus

August Sander ist vor allem für sein monumentales Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ bekannt. Sein Ziel war es, ein typologisches Porträt der deutschen Gesellschaft zu schaffen – von Bauern über Handwerker bis hin zu Intellektuellen und Aussenseitern. Jeder Mensch wurde mit einer ruhigen, würdevollen Präsenz inszeniert, meist frontal, ohne emotionale Überhöhung, oft in ihrer typischen Kleidung oder an ihrem Arbeitsplatz.

Sander verfolgte einen dokumentarischen Ansatz, wollte die Menschen zeigen „wie sie sind“ – nicht idealisiert, nicht verzerrt, sondern in ihrer sozialen Rolle. Er glaubte an die Kraft der Fotografie als soziales Dokument und an die Möglichkeit, durch fotografische Genauigkeit ein Bild der Gesellschaft zu formen.

Albert Renger-Patzsch – Die Dinge selbst sprechen lassen

Albert Renger-Patzsch, ein Zeitgenosse Sanders, vertrat eine noch radikalere Form der Sachlichkeit. In seinem berühmten Fotoband „Die Welt ist schön“ (1928) zeigt er Pflanzen, Industrieanlagen, Alltagsgegenstände – alles mit der gleichen kühlen Präzision und technischen Brillanz. Für ihn war Schönheit nicht das Ergebnis künstlerischer Inszenierung, sondern lag im Wesen der Dinge selbst.

Sein Motto: „Die Dinge sollen so sachlich wie möglich wiedergegeben werden“. Dabei ging es ihm weniger um Menschen als um die Ästhetik der Welt an sich – in ihrer strukturellen, oft geometrischen Klarheit. Renger-Patzsch suchte die Ordnung im Sichtbaren, die stille Poesie der Form.

Robert Häusser – Zwischen Dokumentation und Poesie

Robert Häusser, der eine Generation später wirkte, gilt als eine der wichtigsten Stimmen der sogenannten „subjektiven Sachlichkeit“. Er verband die Klarheit und Strenge der Neuen Sachlichkeit mit einer persönlichen, fast lyrischen Bildsprache. Seine Schwarzweiss-Aufnahmen von Landschaften, verlassenen Höfen oder einfachen Gegenständen wirken reduziert, oft minimalistisch, manchmal geheimnisvoll.

Häusser brachte eine emotionale Tiefe in die sachliche Fotografie – eine stille Melancholie, ohne ins Sentimentale abzudriften. Diese Verbindung aus dokumentarischem Blick und subjektivem Empfinden macht ihn zu einer Brücke zwischen den Generationen.

Das Buch wird eingeleitet von einem Text über „Die neue Sachlichkeit“ von Inge Herold, der die Kunstströmung generelle erörtert und auf die Entstehung der legendären Ausstellung in Mannheim eingeht. Klaus Honnef beleuchtet speziell die „Menschen-Darstellung“ im Werk von August Sander und Robert Häusser und Claude W. Sui thematisiert, welchen Stellenwert Robert Häussers Fotografien in der Neuen Sachlichkeit einnehmen und inwiefern Häusser diese hin zum „Magischen Realismus“ weiterentwickelt hat.

Im Bildteil werden Fotografien der drei Vertreter, aufgeteilt nach Themen, einander gegenübergestellt. Es ist erstaunlich, welche Nähe die Bilder aufweisen, gleichzeitig aber eine ganz andere Stimmung transportieren. Besonders augenfällig ist dies bei der Gegenüberstellung von Albert Renger-Patzsch und Robert Häusser. Es wird deutlich, dass Häusser zwar weiterhin sachlich abbildet, aber dennoch eine gewisse Emotionalität zulässt. Das Buch ist eine Fundgrube für Fotografieinteressierte und eine Inspirationsquelle für eigenes Schaffen.

Sachlich neu
August Sander (Fotografie)
Robert Häusser (Fotografie)
Sachlich neu
Fotografien von August Sander, Albert Renger-Patzsch & Robert Häusser
168 Seiten, gebunden
Hirmer 2024
EAN 978-3777444369

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